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Ein Toter und viele offene Fragen

Nach einem Streit in einer Disko soll ein 23-Jähriger von einem Auto überrollt worden sein. Dreieinhalb Jahre danach ist das Amtsgericht auf Wahrheitssuche.

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Alexander Schneider

Es war von Anfang an ein rätselhafter Fall, und er ist es auch nach dreieinhalb Jahren. Nach einem Streit unter Jugendgruppen in und vor einer Disko in der Lohrmannstraße wurde ein 23-Jähriger tödlich verletzt. Angeblich kam er unter das Auto des heute 26-jährigen Carl L., der versucht hatte, vor einer Auseinandersetzung zu flüchten. Das war am Morgen des 1. Mai 2010 kurz nach 5 Uhr. Offenbar gehörten sowohl der Getötete als auch der Kia-Fahrer zu den Gruppen, die dort an jenem Samstagmorgen mehrfach aufeinander losgegangen waren.

Carl L. steht seit gestern wegen fahrlässiger Tötung vor dem Amtsgericht Dresden. Für die folgenschwere Fahrt sollte er 6.000 Euro Geldstrafe zahlen, legte aber gegen den Strafbefehl Einspruch ein. Laut Anklage war der Kia von einer Personengruppe umringt, als der Fahrer rückwärts losgefahren sei und Martin S. erfasst habe. Der Körper des 23-Jährigen unter dem Kia wurde zehn Meter mitgeschleift, sagte Staatsanwalt René Zuber. Richter Ralf Schamber muss nun klären, wie es zu dem Unfall kam und ob er vermeidbar gewesen wäre. Er hat mehrere Verhandlungstage angesetzt und will zahlreiche Zeugen befragen.

Schon die Ermittler der Polizei hatten sich mit dem Hergang der Auseinandersetzung schwergetan. Zunächst waren sie offenbar davon ausgegangen, L. sei absichtlich über Martin S. gefahren. Das ist wohl vom Tisch, da die Anklage von einer fahrlässigen Tat ausgeht. Der arbeitslose Einzelhandelskaufmann Carl L. schwieg zunächst zum Vorwurf und zu der Auseinandersetzung. Sein Verteidiger Carsten Brunzel schloss aber nicht aus, dass sein Mandant später etwas dazu sagen werde.

Die Zeugen hatten Probleme, sich nach so langer Zeit an Einzelheiten zu erinnern. Zunächst befragte das Gericht zwei Anwohner, die von dem Krach auf der Lohrmannstraße aufgeschreckt worden waren. Eine Frau berichtete, sie habe Silvesterknaller und Geschrei gehört. Am Fenster habe sie dann den Kia gesehen, der schnell aus der Reicker Straße kam. Vor den Männern in der Lohrmannstraße habe er gehalten und sei dann mehrfach vor- und zurückgestoßen. Ob Menschen auf das Auto schlugen oder versuchten, die Tür zu öffnen, könne sie nicht mehr sagen: „Der Fahrer wollte aber weg“. Das sei klar gewesen. Plötzlich habe sie den Verletzten am Boden liegen sehen. Wie er unter das Auto geraten war, habe sie nicht gesehen.

Eine Frau, die in jener Nacht in der „Nachtcantine“ bedient hatte, sagte, es habe schon in der Disko eine Auseinandersetzung gegeben, an der L. beteiligt war. Der Stammkunde sei ihr bis dahin nie negativ aufgefallen. Auch draußen sei das Gerangel weitergegangen. Sie habe L. dann mit mehreren Personen im Auto Richtung Reicker Straße wegfahren sehen. Etwa eine Minute später sei er zurückgekehrt und habe nun alleine im Auto gesessen. Sie habe ihn erkannt, als er an ihr vorbeifuhr. „Wollen Sie nicht einräumen, dass Sie gefahren sind?“, fragte Richter Schamber den Angeklagten. Der schwieg weiter. Dabei hatte sich doch L. schon am Abend des 1. Mai bei der Polizei gestellt und gesagt, dass er gefahren sei. Der Prozess wird fortgesetzt.