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„Eine große Nachlässigkeit“

Wegen einer späten Hüftuntersuchung bei ihrem Baby hat eine Oderwitzer Familie viel Stress. Das hätte vermieden werden können, sind die Eltern überzeugt.

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© Matthias Weber

Von Mario Sefrin

Es kommt in diesen Tagen nicht so oft vor, dass der kleine Finn so ruhig ist wie auf dem Bild. Meist ist er unruhig und weint. Ob daran die Hüftbeugeschiene, die das knapp sieben Wochen alte Baby tragen muss und die zu einer Zwangshaltung führt, Schuld hat, ist nicht herauszubekommen. Finn kann schließlich noch nicht sagen, was ihn stört. Dass die Schiene aber der Grund für Finns Unbehagen ist, liegt nahe. „So eine Schiene, die die Beine beinahe rund um die Uhr in einer Lage ruhig stellt, stört doch“, sagt Ralf H., der Vater. Und das beschäftigt Finns Eltern, die in Oderwitz wohnen, sehr.

Der Grund dafür, dass Finn die Hüftbeugeschiene tragen muss, ist nicht besonders schlimm, weiß Ralf H. „Die rechte Hüfte ist noch nicht vollständig ausgeprägt. Der Hüftknochen sitzt noch nicht richtig in der Pfanne“, erklärt der Vater, der sich in den zurückliegenden Wochen darüber kundig gemacht hat. „Bei Neugeborenen wird bis zum Alter von fünf Wochen eine Hüftsonografie durchgeführt. Bei dieser Ultraschalluntersuchung zeigen sich solche Befunde schnell, sodass man reagieren kann“, sagt der Oderwitzer. Das Problem: Manche Kliniken führen eine solche Hüftsonografie direkt nach der Geburt gleich selbst durch, andere tun das nicht in jedem Fall und überlassen diese Untersuchungen den niedergelassenen Kinderärzten.

In Finns Fall hat es eine Hüftsonografie erst Wochen nach der Geburt gegeben. „Damit ist die Unterentwicklung recht spät entdeckt worden. Wäre das eher passiert, hätte man eher handeln können und alles vielleicht auch schneller beheben können“, sagt der Vater. Nun müsse sein Sohn die unbequeme Hüftbeugeschiene aber mindestens fünf Wochen tragen, sagt er leicht verbittert. Der Oderwitzer richtet dabei indirekt einen Vorwurf ans Görlitzer Klinikum, wo Finn am 12. Juni geboren wurde. „Finn war ein Wunschkind, das im Ebersbacher Klinikum zur Welt kommen sollte“, erzählt Ralf H. Aufgrund eines leichten Herzfehlers seiner Frau sei ihnen jedoch geraten worden, zur Entbindung ins Görlitzer Klinikum zu fahren. „Dort sei eine bessere Herzüberwachung möglich, wurde uns gesagt“, so H. Die Geburt war problemlos, „nach anderthalb Stunden war das Kind da“, erzählt der Vater. Auch sonst sei alles in Ordnung gewesen, seine Frau wurde nach zweieinhalb Tagen wieder entlassen. „Mit dem Aufenthalt in Görlitz waren wir eigentlich zufrieden“, sagt er. „Leider hat uns keiner gesagt, dass an Finn keine Hüftsonografie durchgeführt wurde.“

Das sollte erst einige Wochen später bei der Vorsorgeuntersuchung der Kinderärztin auffallen. „Sie hat sich gewundert, warum die Untersuchung noch nicht stattgefunden hat“, sagt Ralf H. Gewundert haben sich danach auch der Osteopath und der Orthopäde, zu denen die Eltern überwiesen wurden. „Sie alle haben uns gefragt, wo wir entbunden haben und konnten nicht verstehen, warum das Görlitzer Klinikum diese Untersuchung nicht durchführt“, sagt der Vater. Der Orthopäde habe schnell festgestellt, dass Finns rechte Hüfte nicht so ausgeprägt ist wie die linke, worauf die Hüftbeugeschiene verschrieben wurde. Der Orthopäde hatte damals bereits die Familie gewarnt: „Das werden schwere Tage für Sie und Ihr Baby, hat er uns gesagt. Und dass wir hart bleiben müssen“, berichtet H. Genau so sollte es auch kommen: „In den ersten Tagen waren wir richtig fertig. Finn hat nur geweint. Das war Stress.“ Die junge Familie fühlte sich alleingelassen. Den Vater ärgert, dass nicht schon im Klinikum eine solche Untersuchung durchgeführt wurde und dass sie als Eltern nicht darüber informiert wurden. „Für mich ist das eine große Nachlässigkeit“, sagt er. Falsch gemacht hat das Görlitzer Klinikum aber nichts, das weiß auch er.

Das bestätigt Katja Pietsch, Pressesprecherin des Klinikums. Sie sagt: „Die Hüftsonografie bei Neugeborenen ist Bestandteil der Vorsorgeuntersuchung U 3. Hier sind die Säuglinge im Alter zwischen vier und fünf Wochen.“ Dieses Vorsorgescreening zu diesem Zeitpunkt (U 3) sei Bestandteil der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Früherkennung von Krankheiten bei Kindern bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres, so Katja Pietsch. „Auf diese wichtige Untersuchung, die in der Regel beim niedergelassenen Kinderarzt durchgeführt wird, weisen unsere Ärzte die Eltern hin, wenn sie entlassen werden.“ Darüber hinaus würden die Kinderärzte des Klinikums den Hüft-
ultraschall in bestimmten Fällen direkt nach der Geburt durchführen, so Pietsch. „Das ist dann der Fall, wenn es positive anamnestische Daten, wie familiäre Hüftfehlstellungen oder Geburt aus Beckenendlage oder einen auffälligen klinischen Befund, wie Stellungsanomalie, Fehlbildung, Instabilität oder Abspreizhemmung gibt.“

Ralf H. versteht trotz der ihm mittlerweile bekannten Richtlinien nicht, warum das Görlitzer Klinikum diese wichtige Untersuchung nicht macht. „In anderen Kliniken gehört das zum Standard“, sagt er. Das Klinikum „Oberlausitzer Bergland“ mit seinen beiden Standorten in Zittau und Ebersbach ist so ein Beispiel. „Ein bis zwei Tage nach der Geburt wird bei den Neugeborenen die erste Hüftsonographie durchgeführt“, sagt Lisa Otto von der Geschäftsführung des Klinikums. „Am Krankenhausstandort Zittau übernehmen dies die erfahrenen Fachärzte unserer Klinik für Kinder- und Jugendmedizin. Am Standort Ebersbach übernimmt ein niedergelassener Orthopäde, der in unmittelbarer Nähe der Geburtsstation seine Praxis betreibt, diese Untersuchung.“ Auch für Vertretung ist gesorgt: „In solchen Fällen muss dies der eigens gewählte Kinderarzt oder Orthopäde durchführen“, sagt Lisa Otto. Die zweite Hüftsonographie werde dann nach drei bis vier Wochen im Rahmen der U3 durchgeführt, so Otto. „Diesen Termin müssen dann die Eltern selbst organisieren.“

Eine solche Betreuung hätte sich Ralf H. nach der Geburt seines Sohnes im Görlitzer Klinikum auch gewünscht. „Bei der Entlassung wurde uns gesagt, alles sei in Ordnung und dass sich der Kinderarzt um alles Weitere kümmert. Wir wissen als junge Eltern doch nicht Bescheid und vertrauen auf die Aussagen der Ärzte.“

Zwar habe ihm zwischenzeitlich ein Arzt des Görlitzer Klinikums unter der Hand bestätigt, dass die Sache „doof gelaufen“ sei, doch das helfe in der jetzigen Situation auch nicht mehr. „Ein großer Teil der Aufregung für uns wäre vermeidbar gewesen“, ist H. überzeugt. Schließlich habe sich sein Kind fünf Wochen lang daran gewöhnen können, zu strampeln. „Das kann er die nächsten Wochen nicht mehr tun“, sagt der Vater ärgerlich.