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Eine Niere für 73 000 Euro

China. Ein neues Gesetz soll dem schwunghaften Handel mit Organen einen Riegel vorschieben.

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Von Jutta Lietsch,SZ-Korrespondentin in Peking

„Kommen Sie zum Krankenhaus, wir haben eine Niere für Sie.“ Für den jungen Pekinger ist dieser Anruf der Beginn eines neuen Lebens. Seit Jahren hofft er, dass sich ein Spender für ihn finden würde, da seine eigenen Nieren von einer Krankheit zerstört sind. Der Künstler gehört zu den rund zwei Millionen Chinesen, die jedes Jahr auf eine neue Niere, eine Leber oder ein anderes Organ warten. Doch nur wenige haben Glück: Unter den 1,3 Milliarden Menschen finden sich zu wenig Spender.

Chinas Ärzte transplantieren im Jahr nicht mehr als 20 000 Organe. Wie groß die Zahl der Transplantationen genau ist, ist unklar: Die gewaltige Nachfrage, fehlende Kontrollen und Gesetze haben in den letzten Jahren einen riesigen grauen Organ-Markt entstehen lassen. Nach langen internen Debatten will die Regierung bald ein Transplantationsgesetz verabschieden. Es soll die bisherigen lückenhaften Regeln aus den 80er Jahren ersetzen: Künftig dürfen nur noch Hospitäler mit einer speziellen Erlaubnis Organe verpflanzen, heißt es. Derzeit bieten allein in Peking 40 Krankenhäuser Transplantationen an – und nicht alle Ärzte haben Erfahrung mit schwierigen Operationen.

Das Gesetz wird erstmals auch genau den Zeitpunkt des Todes festlegen, nach dem Mediziner Organe von Spendern entnehmen dürfen. Dabei soll erstmals der Hirntod zur Voraussetzung gemacht werden. Bislang muss der Herzstillstand abgewartet werden. Wann die neuen Paragrafen verabschiedet werden, ist nicht klar. Immer wieder ist die Vorlage aufgeschoben worden.

Derweil nutzen geschäftstüchtige Chirurgen, Vermittler und Gesundheitsfunktionäre die Not der Patienten, um enorme Profite zu machen. Auch Ausländer zieht es immer häufiger nach China. Inzwischen ist ein regelrechter Transplantations-Tourismus entstanden. So ließen sich laut der Hongkonger Zeitschrift „Phoenix Weekly“ in den vergangenen drei Jahren über 3 000 Südkoreaner und mehr als 1 000 Patienten aus anderen Teilen der Welt in China ein neues Organ einpflanzen. Die britische Zeitung „Independent“ sprach von „Hunderten“ reichen Japanern, die eine neue Niere oder eine Leber in Schanghai und anderen chinesischen Transplantationszentren erhielten – für Preise um 73 000 Euro (Niere) oder fast 130 000 Euro (Leber).

Der Verkauf von Organen ist zwar schon jetzt verboten. Doch an den Wänden vieler Krankenhäuser tauchen oft Telefonnummern mit dem Angebot „Niere“ auf. Der Verdacht: Arme Bauern bieten ihre Organe an. Patienten in aller Welt konnten noch im Dezember vergangenen Jahres auf der Webseite „transplantsinternational.com“ erfahren, dass dort angebotene Organe von Hingerichteten in China stammten.

In China ist das Thema tabu. Diskussionen in den heimischen Internetforen werden blockiert, Webseiten gesperrt. Die Regierung behandelt die Zahl der Hinrichtungen als Staatsgeheimnis. Fachleute sprechen von 8 000 Exekutionen pro Jahr. Die große Nachfrage nach Organen ist womöglich auch ein Grund dafür, warum so viele Menschen zum Tode verurteilt werden, glauben Pekinger Juristen. Der junge Pekinger Künstler zweifelt nicht daran, dass seine Niere von einem Hingerichteten stammt. Im Krankenhaus hatte man ihm dies vor der Operation gesagt.