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Eine Parallelwelt als Erfolgsgeschichte

Britische Rad-Profis dominieren die Rundfahrten. Angefangen haben sie auf der Bahn.

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© dpa/Manu Fernandez

Von Emmanuel Reinke und Tom Mustroph

Das Bild ist immer das gleiche: Am Ende steht ein britischer Radprofi im Siegertrikot ganz oben. Nur der Fahrer wechselt: Christopher Froome gewinnt den Giro d’Italia, Geraint Thomas die Tour de France und nun eben Simon Yates die Vuelta in Spanien. Es ließe sich frei nach Gary Lineker eine These aufstellen, die zumindest bei den Grand Tours derzeit Bestand hat: Radsport ist ein einfacher Sport. 22 Teams jagen drei Wochen lang dem Ziel entgegen, und am Ende gewinnt immer ein Brite.

„Als ich aufgewachsen bin, war es normal, dass Franzosen, Italiener und Spanier an der Spitze waren“, sagte Yates, nachdem er erstmals eine der drei großen Landesrundfahrten für sich entschieden hatte: „Dass Chris, Geraint und ich nun in einem Jahr diese Rennen gewinnen, zeigt, wie weit es der Sport in unserem Land gebracht hat.“ Sehr weit, das ist offensichtlich. Es ist die Erfolgsgeschichte in einer Parallelwelt.

So weit hatte John Yates sicher nicht gedacht, als er seine beiden elfjährigen Zwillinge Simon und Adam mal zu einem Rennnachmittag ins Velodrom von Manchester mitnahm. „Es war toll. Wir wollten das auch selbst machen. Eine Woche später waren wir schon bei einem Klub angemeldet“, erzählte Simon Yates. Der Klub hieß Bury Clarion. Auch Vater John fuhr für den landesweit verbreiteten Verein, dessen erste Filiale 1894 gegründet wurde, damals als „Sozialistischer Radsportklub“.

Bei den Post-Sozialisten auf zwei Rädern trainierten die Yates-Zwillinge dann parallel auf Bahn und Straße. Simon wurde später ins offizielle Bahn-Förderprogramm von British Cycling aufgenommen – und 2013 Weltmeister im Punktefahren. Im gleichen Jahr gewann Froome erstmals die Tour de France. Und Bradley Wiggins, Toursieger im Jahr zuvor, versuchte sich am Giro-Erfolg. Wiggins war davor im Bahn-Programm von British Cycling groß geworden, hatte Olympiasiege in der Verfolgung 2004 und 2008 errungen.

Er war der Türöffner für parallele Karrierewege auf Bahn und Straße. „Brad hatte es sicher schwerer als andere, diesen Weg zu gehen. Er musste vor allem seine damaligen Straßenrennställe überzeugen, ihm Freiraum für die Bahn zu gewähren. Dabei legt das Bahntraining sehr gute Grundlagen auch für Straßenfahrer“, erklärte Rod Ellingworth, Bahntrainer bei British Cycling und Straßencoach beim Team Sky.

Erst einmal geht’s um Medaillen

Auf Wiggins folgten andere. Mark Cavendish etwa, 2005 erstmals Weltmeister auf der Bahn, 2011 dann auf der Straße. Oder Geraint Thomas, 2008 gemeinsam Verfolgungsolympiasieger im Team mit Wiggins, 2012 Titelverteidiger bei den Spielen in London und 2018 Tour-Sieger. „Bei uns will eigentlich jeder Straßenfahrer werden. Wir bilden sie dann für die Bahn aus, weil es dort Medaillen zu holen gibt, was gut ist für die Nation. Danach können die, die wollen, Straßenprofis werden“, erläutert Ellingworth stolz das Szenario.

Ganz lässt sich damit die britische Dominanz aber nicht erklären. Froome etwa legte sich sein Ausdauervermögen auf Ausfahrten durch Kenias Savannen zu, gestört gelegentlich durch Flusspferde und argwöhnisch beobachtet durch Löwen. Simons Bruder Adam fiel gar durchs Talente-Rost, wurde nicht für das Bahnprogramm berücksichtigt und schlug sich auf eigene Faust auf Frankreichs Straßen durch. Er war ursprünglich sogar erfolgreicher auf der Straße als Bruder Simon, holte ein Jahr eher das weiße Trikot des besten Nachwuchsfahrers bei der Tour, gewann schon 2015 die Clasica San Sebastian und fügte Top 10-Platzierungen bei Klassikerrennen und kleineren Rundfahrten hinzu.

Ohne die Ressourcen, die Großbritannien in das Bahnprogramm steckt, wären die Straßenerfolge aber nicht denkbar. Das frühe Talent-Scouting sowie das Netzwerk aus Sichtungsrennen und Trainingslagern ist die Basis. In den vergangenen Jahren entwickelte sich daraus sogar ein Luxusproblem: Es werden derartig viele Talente hervorgebracht, dass sie beim Straßenflaggschiff Sky nicht mehr unterkommen.

Simon Yates, der wie sein Bruder Adam für Mitchelton-Scott fährt, schaffte den Coup außerhalb der britischen Top-Equipe, die in den vergangenen sieben Jahren sechsmal den Tour-Sieger stellte. Das Team Sky ist eine Begleiterscheinung des Aufschwungs – und längst auch Sinnbild für die vielen Fragezeichen, die hinter dem britischen Radsport-Wunder stehen. Teamchef David Brailsford etwa gilt als hochumstritten, Top-Fahrer wie Froome oder Wiggins sind mit steten Dopingvorwürfen konfrontiert. Diese kennt auch Yates. 2016 wurde er für vier Monate gesperrt, nachdem er positiv auf ein Asthmamittel getestet worden war. Die dafür notwendige Ausnahmegenehmigung war nicht beantragt worden. (sid)