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Einsamkeit im lautesten Dorf Deutschlands

Viel Lärm, viel Unkraut und viele unbewohnte Häuser. Kursdorf, zwischen Flughafen Leipzig/Halle, einer ICE- Strecke und dem Schkeuditzer Autobahnkreuz gelegen, gleicht einer Geisterstadt. Binnen 20 Jahren ist die Einwohnerzahl von 271 auf 32 gesunken.

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Von Sophia-Caroline Kosel

Kursdorf. „Kursdorf ist eine idyllisch gelegene Landschaft am westlichen Rand von Sachsen, sorgsam umschlossen von den beiden Start- und Landebahnen des Flughafens Leipzig/Halle, einer ICE- Strecke und dem Schkeuditzer Autobahnkreuz.“ So beschreiben die Einwohner das wohl lauteste Dorf Deutschlands im Internet. Das sächsische Kursdorf liegt inmitten des Flughafens Leipzig/Halle. Kein Wunder, dass von den 221 Einwohnern, die dort zu Jahrtausendwende lebten, viele weggezogen sind - gegen eine Entschädigung des wachsenden Flughafens. Die wenigen, die geblieben sind, haben ihre Häuser im schrumpfenden Dorf wie eine Festung abgeschottet.

Der Flughafen Leipzig/Halle, an dem es vergleichsweise wenig Passagierflüge gibt, hat sich in den vergangenen Jahren zu einem internationalen Luftfrachtdrehkreuz entwickelt. Eigens dafür wurde eine Start- und Landebahn neu gebaut. Nun ist der Airport das Europäische Luftfrachtdrehkreuz der Post-Tochter DHL. Vor allem nachts sei es auf dem Flughafen extrem laut, weil dann die DHL- Frachtflüge starten und landen, berichtet ein Kleingärtner aus der Kursdorfer Sparte „Erholung an der Rollbahn“. 30 Kleingärten gab es dort früher. Vier seien noch übrig, berichtet der Senior.

Allen Kriegen getrotzt, aber nicht dem Lärm

„Die Einwohner trotzten dem 30-Jährigen Krieg, zwei Weltkriegen und vielem mehr“, heißt es im Internet. Doch der Flughafen-Ausbau hat alles geändert. 67 Grundstücke habe der Airport bislang gekauft, sagt Flughafensprecher Uwe Schuhart. 26 Eigentümer seien als Dorfgemeinschaft umgezogen - in das nahe Altscherbitz. Mehr als 100 Millionen Euro hat der Flughafen bislang laut Schuhart für den Lärm- und Umweltschutz ausgegeben, darin enthalten seien auch die Zahlungen für die geräumten Grundstücke.

Ein Spaziergang durchs Dorf hat seine Reize - vor allem für Freunde der Einsamkeit. Die meisten Häuser stehen leer, die Rollläden sind heruntergezogen, kein Mensch ist auf der Straße oder auf den Grundstücken zu sehen. In den Vorgärten und auf den Gehwegen erobert sich die Natur das Areal zurück. Am Kursdorfer Ring 1 etwa rostet der Briefkasten vor sich hin, vom Eingangstor sind nur noch die Pfosten übrig und dahinter wuchert meterhohes Unkraut.

An der hübschen kleinen Kirche übertönt das Rauschen der Blätter der Bäume den Verkehrslärm. Am Gotteshaus hängt eine Einladung zum „Männerchorkonzert 700 Jahre Kursdorf“. Das Konzert liegt schon einige Monate zurück.

Ein paar Gewerbetreibende sind noch da

Vor allem Gewerbetreibende und Handwerker halten dem Geisterdorf, in dem es weder einen Laden noch eine Kneipe gibt, noch die Treue. Es gibt etwa noch eine Gärtnerei, eine Kfz-Werkstatt - und das „friendly Hotel“, das sich als „Domizil der Freundlichkeit bezeichnet“.

In der Gärtnerei wollen sowohl der Senior- als auch der Junior- Chef keine Fragen über das Leben im fast ausgestorbenen Flughafendorf mehr beantworten. „Es sind schon zu oft die Tatsachen verdreht worden“, sagt der Junior-Chef. Der Kfz-Werkstattbetreiber meint: „Ich sag' nix, weil die Presse lügt.“ Und im Hotel ist am Nachmittag keiner da, aber beim Drücken einer Klingel erklingt eine weibliche Stimme, die gereizt sagt: „Über Kursdorf wird sicher niemand mehr mit Ihnen sprechen!“ (dpa)