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Einstige Prachtstraße verschwindet

Mit dem Abriss verliert die Stadt Usti nad Labem wieder ein Stück Geschichte.

Von Steffen Neumann
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Die Straße Na Nivach im April 2016, inzwischen ist das erste Haus bereits abgerissen.
Die Straße Na Nivach im April 2016, inzwischen ist das erste Haus bereits abgerissen. © Foto: Steffen Neumann

Ein Abrissbagger greift in das Haus auf der Straße Na Nivach in Usti nad Labem (Aussig). Es braucht nur wenig Stöße und das Gebäude fällt in sich zusammen. Der Abriss des ersten Gebäudes der Straße mit insgesamt 18 Wohnhäusern ist der Anfang vom Ende der einstigen Prachtstraße mit dem romantischen Namen „Flurenstraße“. Doch die von einer Baumallee gesäumte Häuserzeile beiderseits der Straße hatte sich in den letzten 20 Jahren in einen Ort des Schreckens verwandelt. Aus den Dächern wuchsen Bäume. Innen waren die Geschosse durchbrochen und von den Treppen hingen nur Reste. Überall stapelte sich Müll und es brannte immer wieder. Einzig Obdachlose trieben sich hier noch herum. Offiziell war die Straße aus Sicherheitsgründen gesperrt. Es ist ein Wunder, dass die Fassaden noch standen und damit entfernt an den einstigen Glanz erinnerten.

Die Straße wurde in den Jahren 1911 bis 1926 gebaut und bot auch einfachere Häuser für Menschen mit niedrigem Einkommen. So entstand ein einzigartiger städtebaulicher Straßenzug, in dem sowohl Ärzte, Rechtsanwälte und Unternehmer, als auch Arbeiter der nahen Fabriken wohnten. Die direkte Umgebung war weniger romantisch. Darauf verweisen die Straßennamen „Schlachthofstraße“ und „Industriestraße“, die die Straße Na Nivach an ihrem Ende kreuzen. 1945 kamen neue Mieter, die vorher hier lebenden Deutschen wurden vertrieben. In den 1970er-Jahren wurde Predlice und die Straße Na Nivach Heimat von Roma aus der Slowakei, deren Siedlungen vorher aufgelöst wurden. Die bilden im Stadtteil heute noch die Mehrheit.

Die Häuser der Straße Na Nivach sind aber schon seit den 1990er-Jahren entwohnt. Nach der Jahrtausendwende kaufte der Unternehmer Jan David Horsky die komplette Straße, der auch als Besitzer des Schlosses Nöthnitz bei Dresden bekannt wurde. Er wollte die Häuser sanieren und Wohnraum für Familien schaffen. Dazu kam es aber nie. Gleichzeitig nahmen Metalldiebe alles mit, auch das was niet- und nagelfest war. In den letzten Jahren hielten sich hier nicht nur Obdachlose, sondern auch Filmteams auf, die die gruselige Kulisse für entsprechende Filme nutzten.

Sowohl Obdachlose als auch Filmer müssen sich nun neue Objekte suchen. Bis September nächsten Jahres soll alles abgerissen sein. Wie es dann weiter geht, ist noch offen. „Es könnten Wohnhäuser für Familien entstehen“, sagt die Pressesprecherin der Stadt Usti nad Labem. Die hatte die Straße für rund 15 000 Euro den Erben von Jan David Horsky abgekauft. Eine Viertel Million Euro zahlt die Stadt für den Abriss.

Der Neubau auf der Straße könne aber nur mit einer Aufwertung des gesamten Viertels einhergehen, meint der Architekt Jan Hrouda. Er hält deshalb eine Insellösung für kurzsichtig. Predlice ist mit seinem hohen Anteil sozial schwacher Bewohner ein Problemviertel, wo das nicht funktionieren wird. „Die Straße Na Nivach hat nur eine Zukunft im Rahmen einer großen urbanen Lösung, die das beliebte Nachbarviertel Klise mit Predlice verbindet“, empfiehlt Hrouda. Leer stehende Gebäude sind ein großes Problem für Usti. Die Straße Na Nivach ist nur das berühmteste Beispiel. Die Webseite prazdnedomy.cz, die den Leerstand in Tschechien erfasst, listet für die Stadt 71 Objekte auf. Damit steht Usti an der Spitze in Tschechien. Die Gebäude sind oft in solch schlechtem Zustand, dass am Ende nur der Abriss bleibt. So ist in den letzten Jahren bereits viel historische Substanz verschwunden.