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Eisenbahn-Direktverbindung wird für einen Tag Realität

An den Zug Chemnitz-Riesa- Berlin dürfte sich mancher erinnern. Am Sonnabend fährt er noch einmal. Aber er ist seit Wochen ausverkauft.

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© dpa

Von Michael Brandenburg

Riesa/Chemnitz. Wer am Sonnabend zeitig auf den Chemnitzer Hauptbahnhof geht, kann etwas Historisches erleben: Auf der Abfahrtstafel wird dort für 8.30 Uhr ein Zug nach Berlin angezeigt. Doch wer glaubt, dass damit endlich der von vielen Chemnitzern seit Jahren gehegte Wunsch nach einer schnellen Direktverbindung erfüllt wird und er noch zusteigen kann, muss enttäuscht werden. Der Zug ist ein einmaliger Sonderzug – und seit Wochen ausverkauft.

Das Unternehmen Eisenbahnerlebnistouren aus Dorfchemnitz will mit der Nostalgiefahrt unter dem Motto „Damals war’s“ an den Städte-Schnellverkehr zwischen Karl-Marx-Stadt und Berlin zu DDR-Zeiten erinnern. Gezogen wird der Zug von einer ölgefeuerten Dampflok der Baureihe (BR) 01, die 1935 bei Krupp in Essen gebaut und von der Reichsbahn bis in die 1960er-Jahre im schweren Schnellzugverkehr eingesetzt wurde. Auch die zehn generalüberholten Großraum-Reisezugwagen stammen aus dieser Zeit.

„Uns haben so viele Mitfahr-Wünsche erreicht, dass wir die Anzahl der Wagen immer weiter erhöhen mussten“, sagt Veranstalter Frank Menzel. Fast 700 Passagiere treten die Erinnerungs-Reise an. „Unter ihnen sind viele frühere Eisenbahner, aber auch ehemalige Bauarbeiter der sogenannten Berlin-Initiative, die damals regelmäßig auf dieser Strecke gependelt sind“, so Menzel. Er hat die Fahrgäste aufgerufen, in Kleidung der 1960er-Jahre einzusteigen. Wegen seines Gewichts wird der mehr als 300 Meter lange Zug zusätzlich von einer Elektro-Lok geschoben, die ebenso wie die anderen Fahrzeuge der Eisenbahn-Bau- und Betriebsgesellschaft Pressnitztalbahn in Jöhstadt gehört. – Eine der begehrten Fahrkarten hat Lothar Wagner aus Wüstenbrand ergattert, der zu DDR-Zeiten in Karl-Marx-Stadt wohnte und ab 1966 als Lokführer unter anderem auf der Strecke nach Berlin tätig war. „Die Züge waren immer voll besetzt und auf der Rückfahrt nach Karl-Marx-Stadt besonders schwer, weil alle in Berlin, wo das Angebot besser war, viel eingekauft hatten“, erinnert sich der 80-Jährige. Auf den Fahrten, die laut Fahrplan im kürzesten Fall knapp drei Stunden dauerten, sei großer Wert auf saubere Loks und Wagen gelegt worden. In Berlin wurden die Züge innen und außen gereinigt und die Bestände der Speisewagen wieder aufgefüllt, so Wagner.

Der Nostalgiezug wird am Sonnabend erst nach drei Stunden und 45 Minuten den Berliner Ostbahnhof erreichen, weil er am Riesaer Bahnhof voraussichtlich ab 9.30 Uhr einen etwa 45-minütigen Foto-Stopp einlegt, bevor die Fahrt über Elsterwerda weitergeht. Die Passagiere werden am Ostbahnhof von Bussen zu einer Stadtrundfahrt abgeholt, während die Lok nach Lichtenberg dampft, um dort frisches Wasser zu tanken. Um 16.47 Uhr beginnt am Ostbahnhof die Rückfahrt, 20.30 Uhr soll der Zug wieder in Chemnitz eintreffen.

Der Städte-Schnellverkehr war von der Reichsbahn 1960 mit der Zielstellung gestartet worden, zwischen allen wichtigen Bezirksstädten und Berlin solche Verbindungen einzurichten, die Pendlern die Hin- und Rückfahrt an einem Tag erlaubten. Durch ihren Vorrang und den Wegfall von Halten waren die Schnellzüge zwischen Karl-Marx-Stadt und Berlin um 55 Minuten schneller als die üblichen Personenzüge.

Ex-Eisenbahner Wagner, der direkt an der Strecke wohnte, erinnert sich an bis zu fünf Schnellzüge pro Tag, die von Karl-Marx-Stadt nach Berlin und wieder zurück fuhren. Ende 1976 wurde der Städte-Schnellverkehr durch die Städte-Express-Züge abgelöst, die bis 1991 in Betrieb waren. Zuletzt unterhielten von 2006 bis 2009 die Vogtlandbahn und 2011 die Erzgebirgsbahn Direktverbindungen zwischen Chemnitz und Berlin. (FP)