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Eisenbahnschatz für kurze Zeit zu sehen

Das kaum bekannte Bahndepot des Technikmuseums in Chomutov öffnet nur zweimal im Jahr. Jetzt ist es wieder soweit.

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© Egbert Kamprath

Von Steffen Neumann

Chomutov. Jan Miler deckt die Plane ab. Zum Vorschein kommt ein besonderes Stück böhmische Eisenbahngeschichte: Die älteste Motordraisine für Inspektionsfahrten im Besitz des tschechischen Nationalen Technischen Museums. Hergestellt wurde sie 1908 von den berühmten Ringhoffer-Werken in Prag, in einer Zeit, als es noch mehr Gleise als gut ausgebaute Straßen gab. Blickfang ist das gepolsterte Sofa, auf dem es sich die Bahninspekteure bequem machen konnten, was bei schlechtem Wetter aber nur ein schwacher Trost war. Denn die Draisinen damals waren noch offene Wagen. Erst später ähnelten die Inspektionsfahrzeuge der Bahn Autos. Die Karosserie lieferte die Automobilfabrik Tatra, nur das Fahrgestell erinnert an ein Schienenfahrzeug.

Reisen mit Stil: Blick in den Salonwagen der Aussig-Teplitzer Eisenbahn von 1900.
Reisen mit Stil: Blick in den Salonwagen der Aussig-Teplitzer Eisenbahn von 1900. © Egbert Kamprath

Heute stehen die Draisinen gemeinsam mit historischen Lokomotiven, Waggons und Triebwagen in einer Außenstelle des Prager Technischen Museums in Chomutov (Komotau) in zwei riesigen Ringschuppen. „Wir sind hier seit zehn Jahren, als die Lokschuppen von der Tschechischen Eisenbahn Ceske drahy (CD) aufgegeben wurden“, erzählt Museumsmitarbeiter Jan Miler. Auf 46 Gleisen stehen über 100 Exponate in einem mehr oder weniger guten Zustand. „Die meisten Fahrzeuge sind betriebsbereit, einige werden auch regelmäßig verliehen – für nostalgische Fahrten oder den Film“, so Miler, der selbst viele Jahre Lokführer war. Auf diese Weise kommen die Zeugen der Eisenbahngeschichte wenigstens gelegentlich in Kontakt mit der Öffentlichkeit. „Eine der Draisinen kam sogar in dem Film ‚Liebe nach Fahrplan‘ zum Einsatz, der 1968 den Oscar gewann“, weiß Miler.

Älteste Lok kommt aus Chemnitz

Wie schlafende Riesen kommen einem die eisernen Kolosse vor; schlafende Riesen, die wachgeküsst werden wollen. Unter ihnen sind die 1887 in Linz gebaute Dampfstraßenbahn, ein Bierwaggon, ein Salonwagen der Kohlemagnaten von Rothschild und eine Dampflok der Chemnitzer Hartmann-Werke aus dem Jahr 1870. Letztere war für die damaligen Verhältnisse eine der größten Loks und kam bereits auf beachtliche 50 Stundenkilometer.

Auch die mit 162 Stundenkilometern schnellste Dampflokomotive der Tschechoslowakischen Staatsbahnen (CSD) ist hier abgestellt. Die „Albatros“ (Reihe 498.1) schimmert in einem verblassten Blau. 25 Jahre war die 1955 von den Skoda-Werken in Pilsen gebaute Lok noch in Betrieb, bis sie von Diesel- und E-Loks abgelöst wurde. Auch von denen fristen hier einige Exemplare ihr Dasein, die manchen noch vom Einsatz auf den Bahnstrecken bekannt sein dürften. Darunter die berühmte sowjetische dieselelektrische Lok M62, bei uns auch als „Taigatrommel“ bekannt.

Trotz solcher Raritäten ist weitgehend unbekannt, welche Schätze hier lagern. Zwar sammelt das Technische Museum schon seit Jahrzehnten Schienenfahrzeuge, aber der Bau eines eigenständigen Bahnmuseums am Masaryk-Bahnhof in Prag scheiterte bis heute an fehlenden Finanzen. Die meisten Exponate lagern deshalb in Chomutov. Nur zweimal im Jahr, so auch am kommenden Wochenende, öffnen sich die Türen des Depots. Den Rest des Jahres zeigen sie sich nur dem Wachschutz oder Mitarbeiter Miler und einem Kollegen. „Das sind reine Lagerhallen. Auch die Restaurierung der Fahrzeuge erfolgt woanders, in der Regel bei den Firmen, die damit beauftragt wurden“, sagt Miler.

Doch das könnte sich bald ändern. Michal Novotny, Leiter des Bahnmuseums, hat mit Chomutov Großes vor. Gemeinsam mit dem Rathaus verhandelt er, das Depot häufiger zu öffnen. „Wir streben eine regelmäßige Öffnung von Juni bis September an, mindestens aber mehr Tage der offenen Tür als bisher“, skizziert Novotny den Plan. Auch sollen in Zukunft mehr Fahrzeuge auf den Außengleisen vorgeführt werden, also nicht nur im Depot abgestellt sein. Vor allem aber soll sich das Depot in Zukunft exklusiv um die Restaurierung der Exponate kümmern, wie in anderen Museen üblich.

Bei der Stadt rennt Novotny mit seinen Plänen offene Türen ein. Die sieht das Depot als künftigen Besuchermagnet und würde dem Museum schon im kommenden Jahr bei der personellen Ausstattung helfen. Außerdem würde die Stadt gern großen Besuchergruppen die Besichtigung auch außerhalb fester Termine ermöglichen. „Zunächst müssen wir aber erst einmal die Eigentumsverhältnisse rund um das Depot klären, um den Besuchern einen besseren Zugang zu ermöglichen“, sagt Stadtsprecher Jan Rödling. Wer die Lokschuppen heute besuchen will, muss zunächst etwas suchen. Der einzige Zugang ist eine enge Zulieferstraße südlich des Globus-Marktes.

Begleittexte künftig auf Deutsch

Und noch etwas wollen Novotny und die Stadt ändern. Bisher gibt es die Beschreibungen der Exponate nämlich nur auf Tschechisch, denn die Zahl der Besucher aus dem Nachbarland hielt sich eher in Grenzen. Doch ein Besuch des Bürgermeisters aus der Partnerstadt Annaberg-Buchholz Anfang Juli gab einen ersten Anstoß. „Wir hoffen, dass in Zukunft mehr Besucher aus Sachsen kommen“, sagt Novotny.

Auch bei seinem eigentlichen Hauptprojekt scheint es nun voranzugehen. Spätestens 2017 soll ein Architekturwettbewerb für das neue Eisenbahnmuseum in Prag starten. Dort sollen 38 Exponate ausgestellt werden. „Für Chomutov wird das keine Konkurrenz“, beruhigt Novotny. Bei rund 200 Exponaten bliebe für die Außenstelle eine Menge übrig und die Zeit der Einsamkeit für die schlafenden Riesen wäre endgültig vorbei.