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Endgültiges Aus für den Paternoster?

Eine Bundesverordnung scheint das durchzusetzen. Doch es regt sich Widerstand, von dem Görlitz profitieren könnte.

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© Nikolai Schmidt

Von Sebastian Beutler

Was in Görlitz bereits vor fünf Jahren geschah, droht nun bundesweit: Auch die letzten der 240 aktuell betriebenen Paternoster könnten demnächst ihre letzten Runden drehen. „Schuld“ daran hat eine Arbeitsschutz-Verordnung von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles. Sie sieht vor, dass solche Personenumlaufaufzüge nur noch von eingewiesenen Beschäftigten genutzt werden. Also beispielsweise nicht mehr von Besuchern von Rathäusern wie in Görlitz.

Als Bürgermeister Michael Wieler jüngst von dem verordneten Paternoster-Ende hörte, winkte er nur ab. Nichts Neues entdeckte er in der Verordnung auf den ersten Blick. Genau wegen dieser Anforderungen hatte Görlitz schon vor fünf Jahren unter die Ära des Paternosters im Rathaus einen dicken Schlussstrich gezogen: Die Sanierung wäre zu teuer gewesen, und anschließend hätten nur die Rathaus-Mitarbeiter mit dem guten Stück in den 13 Kabinen vom Erdgeschoss bis ins fünfte Stockwerk rumpeln dürfen. Da kam es der Stadt zupasse, dass die Ausnahmegenehmigung für das technische Denkmal auslief und es sowieso kaputt war. Fast auf den Tag genau 100 Jahre nach seiner Inbetriebnahme wurde der Paternoster stillgelegt. Er war bei seiner Jungfernfahrt am 1. März 1910 der erste in einer Stadt im damaligen Schlesien.

Vielleicht aber sollten Wieler und mit ihm die Görlitzer doch noch nicht ganz aufgeben. Denn Nahles’ Verordnung hat deutschlandweit einen Proteststurm hervorgerufen – natürlich aus den Städten, wo solch ein Personenumlaufaufzug noch fährt. Vor allem in Stuttgart. Dort fahren 1 800 Menschen pro Tag mit dem Aufzug, der Paternoster sei im Rathaus der baden-württembergischen Landeshauptstadt auch eine Touristenattraktion. Der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn gab sich zuversichtlich, dass Verwaltungsjuristen doch noch einen Ausweg für die Anlage finden. Tatsächlich hat mittlerweile das Bundesarbeitsministerium eine kurzfristige Überarbeitung der Verordnung angekündigt. Ziel: Mehr Spielraum für Ausnahmegenehmigungen für Paternoster.

Das wäre dann auch wieder eine Chance für den Görlitzer. Der lief bis zu seiner Zwangspause im Februar 2010 wie am Schnürchen. Verletzte gab es nie, Unfälle kaum, und das Fahren war für viele ein Abenteuer. Sogar musiziert wurde in den Kabinen während einer Kunstaktion für die Kulturhauptstadt-Bewerbung.

Seine Stilllegung war auch deshalb so ein schmerzhafter Einschnitt, weil das Görlitzer Rathaus sonst nur über einen Lift im Archivflügel verfügt. Das hatte damals den Görlitzer Stadtrat Walter Oeckl (CDU) erzürnt, weil für Gehbehinderte nur das Standesamt und das Ratsarchiv erreichbar seien. Tatsächlich liegen in den Schubladen der Stadt seit Jahren Pläne für den Einbau eines Lifts. Doch der würde gleich mehr als eine Million Euro verschlingen und hätte sowieso nur eine Chance, wenn das gesamte Rathaus mal von grundauf saniert werden würde. Doch das steht derzeit nicht im Görlitzer Haushalt.

Der Lift hätte ohnehin einen entscheidenden Nachteil. Der Schacht müsste durch das Vorzimmer des Oberbürgermeisters gelegt werden. Da wäre es doch einfacher, wenn der Paternoster mit einer Ausnahmegenehmigung wieder in Gang gebracht würde. 2010 rechnete die Stadt mit Kosten von 212 000 Euro. Doch dazu müsste Frau Nahles den Weg freimachen.