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Experiment geglückt

Wenn plötzlich Geistes- und Naturwissenschaftler gemeinsam lehren und lernen, steckt eine exzellente Idee dahinter.

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Bücher sind die Welt von Marina Münkler (m.). Doch bei Lebensmittelchemiker Thomas Henle bekam sie Einblicke ins Labor. Ein Mehrwert für sie und die Studierenden. Was daraus geworden ist, koordiniert Henriette Greulich.
Bücher sind die Welt von Marina Münkler (m.). Doch bei Lebensmittelchemiker Thomas Henle bekam sie Einblicke ins Labor. Ein Mehrwert für sie und die Studierenden. Was daraus geworden ist, koordiniert Henriette Greulich. © Foto: Thorsten Eckert

Von Jana Mundus

Eine Germanistin im Labor. Marina Münkler ist unter die Lebensmittelchemiker gegangen. „Das sieht interessant aus“, sagt sie und zeigt auf eine der farbigen Chemikalien in den gläsernen Behältern. Türkis, Rot, Gelb. Die Professorin für Ältere und frühneuzeitliche deutsche Literatur und Kultur ist nicht zum ersten Mal Gast bei den Naturwissenschaftlern. Vor einigen Jahren hatte sie die Idee, andere Fachrichtungen zu einer Ringvorlesung einzuladen. „Nichts macht mehr Spaß als das Lernen. Gerade dann, wenn wir nicht nur in der eigenen Disziplin unterwegs sind.“ Sie sagt das nicht nur mit Blick auf sich als Dozentin. Vor allem den Studierenden tue es gut, wenn sie nicht nur neben den Kommilitonen des eigenen Fachs sitzen. Ein glücklicher Umstand machte aus dieser ersten Idee bis heute ein besonderes Lern- und Lehrformat an der Exzellenzuniversität TU Dresden.

Die E-Mail einer Germanistin im Postfach – Thomas Henle weiß noch, dass ihn die Einladung zu einer gemeinsamen Ringvorlesung von Marina Münkler damals überrascht hat. „Wir kannten uns ja gar nicht, aber ihren Vorschlag fand ich hervorragend“, erzählt der Professor für Lebensmittelchemie. Nicht nur er sagt zu, auch Kollegen und Kolleginnen aus den Bereichen Wirtschaftswissenschaften und Umweltwissenschaften. „Bei den ersten Treffen war sofort eine gute Atmosphäre zu spüren.“ Mal über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen sei für alle absolut interessant gewesen.

Zusammen wollen sie das Thema Risiko von verschiedenen Seiten beleuchten. „Die Ansichten und Arbeitsweisen der anderen Fächer waren eine große Bereicherung für mich“, sagt Henle. Die Ringvorlesung findet über drei Semester hinweg statt, den Studierenden gefällt es. Schluss war mit dem Thema danach noch lange nicht.

Der fachfremde Blick auf das eigene Thema

Alle Beteiligten sind sich damals einig – da geht noch mehr. Im Rahmen der Exzellenzinitiative wird 2014 das Zentrum für interdisziplinäres Lernen und Lehren (ZiLL) als Teil des Zukunftskonzepts „Die Synergetische Universität“ gegründet. Mit dessen Unterstützung entwickeln die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Konzept für das Format „Forschen und Lernen im interdisziplinären Kontext“, kurz FLiK. „Das war damals etwas Neues“, sagt Henriette Greulich, heute Leiterin des Zentrums. Kooperationen zwischen Fachbereichen hatte es vorher schon gegeben, nur waren das meist solche, die thematisch schon einen engen Bezug zueinander hatten. „Dass die Germanistin plötzlich mit dem Chemiker in einer Veranstaltung sitzt, war neu.“ In einer interdisziplinären Lehrveranstaltung soll es damals noch einmal um das Thema Risiko und Risikokommunikation gehen. Welche Rolle spielt es in der Wirtschaft? Welche beim Klima und in der Lebensmittelbranche? Als Germanistin schaut sich Marina Münkler außerdem an, wie in den verschiedenen Disziplinen über Risiko erzählt wird. Dieser andere Blick auf das eigene Themengebiet ist ein Mehrwert für alle.

Nicht nur zuhören, sondern ab in die Murmelgruppen

Im Wintersemester 2015/16 findet die Staffelvorlesung zum Thema Risiko statt. Sie ist mehr als eine Ringvorlesung, wo jeder Vortragende sein eigenes Thema bearbeitet. In Tandems von zwei oder drei Personen bereiten die Lehrenden die Veranstaltungen vor. „Es fand quasi eine Staffelübergabe statt“, sagt Marina Münkler. Jeder soll Bezug nehmen auf das, was schon Inhalt war und auf das, was noch kommt. Unterschiede und Gemeinsamkeiten der verschiedenen Disziplinen werden so deutlich und können diskutiert werden. „Schon bei der Vorbereitung war das natürlich eine Herausforderung für uns alle, weil wir die fachliche Perspektive des jeweils anderen einnehmen mussten“, sagt Henle, der mit Marina Münkler im Tandem arbeitete. Wo er an Grenzen des eigenen Fachs stieß, half die Kompetenz der Kollegin. „Zu verstehen, wie andere Risiken kommunizieren, war faszinierend zu erfahren.“ Innerhalb der Veranstaltungen experimentieren die Dozenten mit neuen Lehrformaten. Immer mit Unterstützung vom ZiLL. In Kleingruppen, sogenannten „Murmelgruppen“, diskutieren die Studierenden leise bestimmte Fragestellungen, über die dann später gemeinsam gesprochen wird.

Lehramtsstudenten reden mit Lebensmittelchemikern, Wirtschaftswissenschaftler mit Literaturwissenschaftlerinnen. „Das war eine interessante Mischung, die wir da hatten“, erinnert sich die Germanistin. Knapp 70 Leute waren bei der Vorlesung dabei. „Für die war es ungewohnt, dass sie nicht nur Zuhörer waren.“ Am Ende der Veranstaltungen bewerten sich die Dozenten gegenseitig, ob das didaktische Vorgehen gut oder schlecht war. „Selbst nach 25 Jahren im Job war das ein wertvolles Feedback“, so Henle. FLiK geht noch weiter. Im Sommersemester schließt sich an die Vorlesung ein Praxisseminar an. „Die Studenten sollen mit den Händen und nicht nur mit dem Geist begreifen“, erklärt es Henriette Greulich. Betreut von den Tandems bearbeiten bunt gemischte Gruppen Themen, die schon in der Vorlesung angeklungen sind. Mit interessanten Ergebnissen.

Mit neuen Einblicken zu neuen Forschungsideen

Noch ein weiteres Mal haben Münkler und ihre Mitstreiter das Modul angeboten. Später begeistern sich auch andere Dozentinnen und Dozenten für die neue Art des Lehr- und Lernkonzepts. Weitere Reihen zu den Themen Bionik, Mensch-Maschine-Interaktion in Produktionsanlagen und Invektivität gab es bisher. „Das ist ein Gewinn für alle, für Lernende und Lehrende“, ist Henriette Greulich überzeugt.

Wissen wird gemeinsam erarbeitet. 
In den Dozenten-Tandems, aber auch in den Studentengruppen. Die neuen Methoden, die vielen aktiven Elemente wären außerdem eine gute Vorbereitung auf die Arbeitswelt. Die Idee der FLiK-Module soll deshalb auch in Zukunft weiter wachsen. Überreden könne man TUD-Mitarbeiter dazu natürlich nicht.
Doch Teilnehmer zu finden, wäre heute nicht mehr schwer. „Am Ende wird damit auch der Respekt vor anderen Fächern gelernt“, sagt Thomas Henle. Daraus würden sich dann vielleicht auch neue Forschungsperspektiven ergeben.

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