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Experten erforschen das Geheimnis der Staatskapelle

Dirigenten, Solisten und Kritiker rühmen den warmen Klang der Staatskapelle Dresden. Dem Mythos wollen Forscher aus drei Ländern auf den Grund gehen.

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Die Staatskapelle Dresden, hier bei einem Auftritt in der Semperoper, zählt zu den traditionsreichsten Orchestern der Welt. Die Gründung geht auf das Jahr 1548 zurück.
Die Staatskapelle Dresden, hier bei einem Auftritt in der Semperoper, zählt zu den traditionsreichsten Orchestern der Welt. Die Gründung geht auf das Jahr 1548 zurück. © Ralf Hirschberger/dpa-Zentralbild/dpa

Von Jörg Schurig

Dresden. Was macht ein Orchester unverwechselbar? Natürlich der Klang. Doch in einer Welt des globalen Musikbetriebes wächst die Sorge, dass die zunehmend international besetzten Orchester immer ähnlicher klingen. Tatsächlich ist der Nachwuchs inzwischen weltweit verfügbar und stammt nicht mehr wie früher aus einer Gegend oder wenigen Schulen. Wenn Spitzenensembles eine Stelle ausschreiben, reisen Musikerinnen und Musiker heute aus vielen Ländern an. 

Was lässt sich also machen gegen den drohenden "Gleichklang"? Es ist vor allem die Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln, die DNA eines Orchesters. Bei der Staatskapelle Dresden ist sie 471 Jahre alt.

Die Dresdner sind damit eines der ältesten Orchester der Welt. Kurfürsten Moritz von Sachsen (1521-1553) hatte einst Johann Walter, einen Freund Martin Luthers, mit der Suche nach geeignetem Musikern für eine "Cantorey" beauftragt. Der 22. September 1548 gilt als Geburtsstunde der damaligen Hofkapelle. 

Walter wurde ihr erster Kapellmeister. Später gaben vor allem Italiener den Ton an. Ein Blick in die Archive der Kapelle - wie sie in Dresden genannt wird - lässt den Puls bei Fans steigen. Die Auflistung von Dirigenten und Komponisten, die in Dresden wirkten, liest sich wie ein "Best Of" der Musikgeschichte.

Vivaldi komponierte "per l'orchestra di Dresda", Bach wurde hier 1736 zum "Compositeur" ernannt. Auch die Hofkapellmeister von Heinrich Schütz über Carl-Maria von Weber bis hin zu Richard Wagner sind legendär. Schon frühzeitig tourte das Orchester. Sachsens Kurfürsten nahmen es oft als klingendes Aushängeschild zu Reichstagen mit. Wagner prägte für die Kapelle den Namen "Wunderharfe". Später erwies sich das Zusammenspiel mit Richard Strauss als fruchtbar. Er brachte neun seiner fünfzehn Opern in Dresden heraus.

Konzerttourneen führen die Sächsische Staatskapelle alljährlich zu international renommierten Musikfestivals. Regelmäßig ist das Orchester aber auch in der Semperoper, wie hier beim Silvesterkonzert, zu erleben.
Konzerttourneen führen die Sächsische Staatskapelle alljährlich zu international renommierten Musikfestivals. Regelmäßig ist das Orchester aber auch in der Semperoper, wie hier beim Silvesterkonzert, zu erleben. © Matthias Creutziger/dpa-Zentralbild/dpa

Mit derlei Referenzen ausgestattet wird die Staatskapelle geradezu von einem Mythos umweht. Grund genug, der Sache auf den Grund zu gehen. Die Dresdner Musikhochschule - benannt nach dem Kapellmeister und Komponisten Carl Maria von Weber - hat dafür eine Million Euro Forschungsgelder eingeworben. 

Fünf junge Wissenschaftler sind an dem Projekt beteiligt, darunter eine Doktorandin aus Italien und ein Forscher aus Polen. Schließlich gilt es auch außerhalb Dresdens Archive unter die Lupe zu nehmen. Da Sachsen-Kurfürst August der Starke (1670-1733) genau wie später sein Sohn zugleich König von Polen war, spielte die Dresdner Hofkapelle häufig in Warschau.

"Wir wollen Klangforschung in historischem Sinne betreiben", sagt der Musikwissenschaftler Michael Heinemann. Alle Welt rede vom Klang der Staatskapelle Dresden, der Dirigent Herbert von Karajan habe ihn mit "Glanz von altem Gold" verglichen. "Viele behaupten, dass sich dieser Klang über die Jahrhunderte nicht verändert hat. Aber kann das überhaupt sein, wenn sich Spielweisen und auch die Instrumente ändern", fragt der Professor. Das Problem bestehe nicht zuletzt darin, dass es Tondokumente in Form von Schallplatten erst seit etwa 130 Jahren gibt. Der größere Teil der Kapell-Historie bleibe aber dennoch nicht "ungehört".

"Für den Zeitraum, für den wir keine Aufnahmen besitzen, haben wir Noten. Anmerkungen zu Tempo, Verzierungen oder Artikulationen lassen sich so weit lesen, dass man weiß, wie damals musiziert wurde. Das ist ein komplexes Verfahren", sagt Heinemann. Die Staatskapelle sei immer auch eine Orchesterschule gewesen, die bewusst ein Ideal des Musizierens pflegte und weitergab. Über Generationen hinweg habe sich so ein Klangideal konservieren lassen: "In Dresden ist das ein sehr warmer Klang. Experten meinen, die Staatskapelle zelebriere bei Richard Strauss regelrecht einen kammermusikalischen Ton. Das hört man sonst nirgends."

Der langjährige Soloflötist Eckart Haupt verbindet den besonderen "Sound" mit einer wichtigen Funktion der Kapelle: So wie die Wiener Philharmoniker spielt man in Dresden auch als Opernorchester. "Die Pflicht, sich den Sängern unterzuordnen, führt zu einer gewissen Geschmeidigkeit im Klang", sagt Haupt. Die Staatskapelle habe ein Erbe zu verwalten: "Sie muss es bewahren, aber auch weiterentwickeln. Wir sind ja keine Museumswärter." Das heiße auch, neue Einflüsse zuzulassen, wenn sie das Orchester bereichern. "Was wir als besonderen Klang wahrnehmen, ist im Grunde die besondere Spielweise." Dazu habe nicht zuletzt die lange Pflege der Kammermusik beigetragen.

Eckart Haupt hält das Forschungsprojekt der Musikhochschule auch mit Blick auf die Zukunft für nutzbringend: "Wenn man ein Orchester weiterentwickeln will, muss ich seine Mechanismen kennen. Indem wir also in Richtung gestern denken, planen wir für morgen und übermorgen." 

Das sieht Axel Köhler, Rektor der Musikhochschule in Dresden, nicht anders: "Das Forschungsprojekt, für das Gelder aus dem Europäischen Sozialfonds fließen, geht an die Wurzeln des Klanges." Die Staatskapelle sei eine Marke und wirke identitätsstiftend. In einer Zeit, in der manche Menschen ihren Halt zu verlieren drohen, wäre das allemal ein lohnendes Vorhaben.