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Wie getrennte Eltern ihre Kinder manipulieren

Kerstin Stark aus Radebeul berät getrennte Eltern und weiß, dass es im Streit über Umgang und Geld nicht immer fair zugeht. Aber das muss nicht sein.

Von Stephanie Wesely
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Trennungen können zivilisiert ablaufen, sagt die Diplom-Sozialpädagogin, Kommunikationsberaterin und Coachin Kerstin Stark aus Radebeul.
Trennungen können zivilisiert ablaufen, sagt die Diplom-Sozialpädagogin, Kommunikationsberaterin und Coachin Kerstin Stark aus Radebeul. © Veit Hengst

Fast 6.000 Ehen wurden im vergangenen Jahr in Sachsen geschieden. Bei mehr als der Hälfte waren minderjährige Kinder von der Trennung betroffen. Doch Kinder brauchen beide Eltern, um gesund aufzuwachsen. Viele leiden allerdings unter dem Streit ihrer Eltern über den Umgang mit ihnen. Manchmal ist es nur ein trauriges Gesicht oder auch ein unbedachter Satz, der Kinder veranlasst, den Kontakt zum anderen Elternteil abzubrechen. Das schadet am Ende allen, erklärt Kerstin Stark, Kommunikationscoachin aus Radebeul.

Frau Stark, Sie beraten getrennte Eltern. Was erleben Sie?

Eine Trennung ist immer mit Ängsten verbunden – die Angst, die Kinder zu verlieren, Angst vor der ungewissen Zukunft oder davor, durch die Trennung finanziell abzurutschen. So kommt es, dass um jede Stunde Umgangszeit und um jeden Euro Unterhalt gestritten wird. Das sind Krisenszenarien, mit denen man erst einmal umgehen lernen muss. Deshalb muss zunächst der Gesetzgeber einen rechtlichen Rahmen schaffen, damit getrennte Eltern diese Ängste nicht haben müssen.

Aber mit der Düsseldorfer Tabelle gibt es diesen Rahmen doch schon?

Ja, aber vor allem unterhaltspflichtige Väter finden die Tabelle oft ungerecht, weil die Beträge regelmäßig steigen – auch wenn sie nicht mehr verdienen. Das sind die falschen Signale und Anreize, die der Gesetzgeber hier gesetzt hat. Die Kinder werden dann zwischen streitenden Eltern zerrieben und nehmen seelischen Schaden. Aus meiner Sicht müsste es ohne finanzielle Nachteile möglich sein, dass ein Kind sagen kann, dass es mal länger oder mal kürzer beim anderen Elternteil bleiben will. Denn es geht ja um sein Wohl.

Doch oft ist es ja nicht nur das Geld. Was sind typische Probleme, wenn es um den Umgang mit dem anderen Elternteil geht?

Ich weiß von Müttern, die Probleme haben, ihr Kind im Wechselmodell aufwachsen zu lassen. Den wöchentlichen Abschied empfinden sie dann, als würde die Nabelschnur ein zweites Mal durchschnitten. Sie leiden darunter, obwohl sie wissen, dass ihr Kind den Kontakt braucht – sie sind im Zwiespalt. Und das spüren die Kinder. Sie werden damit manipuliert – oft unbewusst.

Und wollen dann gar nicht mehr zum Vater?

Genau. Sie sind in einem Loyalitätskonflikt. Sie sehen ihre Mutter leiden. Das tut ihnen weh, also gehen sie nicht zum Vater, obwohl sie das eigentlich gern möchten. Kinder in solchen Situationen habe ich bereits in meiner früheren Tätigkeit als Kita-Leiterin erlebt. Sie werden damit überfordert, fühlen sich schuldig und leiden psychisch.

Die Mütter wollen ihre Kinder doch bestimmt gar nicht ernsthaft vom Vater fernhalten, oder?

Nein, das passiert oft unbewusst und auch nonverbal. Sie müssen da gar nichts sagen. Es genügt schon ein weinerliches Gesicht beim Abschied. Kinder haben feine Antennen, sie verstehen, wenn es ihrer Mutter in einer bestimmten Situation schlecht geht – und vermeiden sie künftig. Doch ich möchte das hier keinesfalls nur auf die Mütter beziehen. Väter machen das oft genauso.

Sollen sie nicht zeigen, dass sie traurig sind, jetzt eine Woche allein zu sein?

Doch. Die Mutter könnte zum Beispiel sagen, dass sie ihr Kind sehr liebt und deshalb ein bisschen traurig ist, wenn es weggeht. Dass sie sich aber freut, wenn es eine gute Zeit beim Papa hat und wenn es wieder da ist. Das Kind soll keine Trennungsängste haben. Es soll auch erzählen dürfen, was es Schönes erlebt hat und spüren, dass sich der Elternteil mit ihm freut. Aber auch über eine missglückte Aktivität soll es reden dürfen, ohne dass gesagt wird, man habe das ja schon immer gewusst. Zur Loyalität gehört dann auch, ohne Häme zu erklären, dass solche Dinge auch ihnen passieren können. Das setzt viel Reife voraus. Doch es ist nicht nur der traurige Blick. Kinder werden oft auch oft regelrecht instrumentalisiert.

Das klingt schlimm. Können Sie Beispiele nennen, wie das abläuft?

Indem Mütter zum Beispiel äußern: „Sag deinem Papa, dass du kein Wochenmodell willst, um hier in Ruhe lernen zu können.“ Oder dass der Vater zum Kind sagt, wenn die Mutter einen neuen Freund hat: „Sie soll nicht so viel mit dem Kerl rumhängen und sich lieber um dich kümmern.“ Für „Kerl“ habe ich auch schon viele schlimmere Worte gehört. Auch Geldfragen müssen von Kindern ferngehalten werden. Es geht gar nicht, dass zum Beispiel ein Vater sagt: „Wenn ich sehe, wie du rumläufst, weiß ich gar nicht, wofür ich jeden Monat so viel Geld zahlen muss.“ Auch von mütterlicher Seite habe ich gehört: „Wenn dein Vater nicht mehr zahlt, müssen wir dein Haustier abschaffen“, oder: „Dann können wir nicht mehr in unserer Wohnung bleiben.“ Das ist Erpressung. Das macht Kindern Angst. Tabu sind auch ellenlange Whatsapp- oder Sprachnachrichten. Die Kinder bekommen das mit, fühlen sich schuldig und ziehen sich zurück.

Viele Väter behaupten ja, dass die Kinder immer in ihrer Woche krank seien. Ist da etwas dran?

Ja, aber nicht weil die Krankheit erfunden wird. Das gibt es sicher auch, doch viele Kinder sind wirklich krank, wenn wieder ein Wechsel ansteht. Es überfordert sie, den anderen Elternteil leiden zu sehen. Oder zu wissen, dass sie sich wieder unschöne Kommentare über den anderen anhören müssen. Dann verzichten sie lieber.

Aber manchmal sagen Eltern einfach etwas Negatives und merken erst später, dass es falsch war. Wie sollten sie reagieren?

Ja klar, wir sind alle nur Menschen und haben Emotionen. Doch man kann dann auch zugeben, dass es falsch war, so über den anderen zu reden. Dass man in dem Moment einfach wütend war, es jetzt aber wieder gut ist. Man sollte sich bei seinem Kind für das falsche Verhalten entschuldigen. Dann ist man sogar ein gutes Vorbild zum Verhalten in Krisensituationen.

Wie können Sie Eltern in Ihrer Beratung helfen? Wie gehen Sie vor?

Ich hebe zunächst das Verbindende zwischen beiden hervor. Sie haben sich als Paar schließlich einmal geliebt, ihr Kind ist in Liebe geboren worden. Das sollte die Basis von allem sein. Das erhöht auch ihre Bereitschaft, alles dafür zu tun, damit es ihrem Kind auch nach der Trennung gut geht. So lassen sich auch gute Kompromisse finden – auch beim Thema Geld.

Wie können denn solche Kompromisse aussehen?

Mir sind einige gute Beispiele begegnet, wo die Eltern sich gemeinsam auf einen Unterhaltsbetrag einigen. Man muss nicht zwangsläufig die Unterhaltstabelle als Grundlage nehmen. Das wissen viele Trennungseltern gar nicht. Ich kenne Väter, die bereit sind, für ihr Kind umzuziehen. Sie wollen eine Wohnung finden, die in der Nähe des Kindes liegt und die über geeignete Räume verfügt, damit das Kind bei ihm gut leben kann. Da das alles viel Geld kostet, könnten Mütter auch bereit sein, auf Geld zugunsten ihres Kindes zu verzichten. Es gibt auch Beispiele, wo Väter ihren Kindern Bekleidung oder Freizeitaktivitäten finanzieren und dafür weniger Unterhalt leisten. Es ist wie so oft alles eine Frage der richtigen Kommunikation.

  • Kerstin Stark verfügt über 30 Jahre Berufserfahrung, ist verheiratet und Mutter von drei erwachsenen Kindern.