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In Zukunft lieben wir erfolgreicher

Paarberater und SZ-Kolumnist Christian Thiel über Defizite des deutschen Mannes, die Chance auf eine erfüllte Beziehung – und eine nötige Reform der Trennung.

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Werde wir in Zukunft mehr zwei bis drei lange Beziehungen oder Ehen haben? Gut möglich, sagt Paarberater Christian Thiel.
Werde wir in Zukunft mehr zwei bis drei lange Beziehungen oder Ehen haben? Gut möglich, sagt Paarberater Christian Thiel. © dpa

Ohne Gleichberechtigung ist alles Mist. Vor allem in der Liebe. Davon ist Christian Thiel überzeugt. In seinem neuen Buch „Generation beziehungsstark“ geht der Paarberater von der These aus, dass in unseren Liebesbeziehungen schon vieles besser läuft als in der Elterngeneration – und dass unsere Kinder darin noch erfolgreicher und glücklicher sein werden als wir. Auch wenn sie sich wohl auf mehrere lange Partnerschaften im Leben einstellen sollten. Klingt das nicht wie ein Widerspruch?

Herr Thiel, warum denken Sie, dass die nächste Generation besser lieben wird?

Es lässt sich wissenschaftlich bestens belegen, dass nachfolgende Generationen Sachen besser hinbekommen. Die wichtigsten Forschungen zum Thema Liebe liegen erst seit etwa 25 Jahren vor. Forschung führt dazu, dass wir handlungsfähiger werden und besser verstehen, was wir tun oder lassen sollten. Das ist in allen Bereichen so, in der Physik, der Chemie oder in der Psychologie. Deshalb gehe ich davon aus, dass wir alle mehr darüber lernen, was in der Liebe wirklich klappt und was eher nicht.

Sie meinen, dass die Menschen sich in Liebesdingen weiterbilden? Den Männern unterstellten Sie bislang eher das Gegenteil.

Ich rede nicht von Männern! Bei ihnen wäre es eher ein Ausnahmephänomen – ohne sie vor den Kopf stoßen zu wollen. Der deutsche Mann will sich mit Liebesdingen eher nicht befassen. Die müssen automatisch funktionieren. Aber es gibt ja noch die Frauen, die deutlich interessierter sind.

Also muss die Frau sich darum kümmern, dass die Beziehung funktioniert? Wo bleibt da die Gleichberechtigung?

Wenn sich die Frau nicht kümmert, kümmert sich keiner. Frauen steuern alles, was Gefühle in einer Familie angeht. Wenn die Frau weiß, wo es langgeht, dann funktioniert eine Partnerschaft, eine Ehe oder eine Familie gut. Wenn sie das nicht weiß, bricht das Chaos aus. Vor allem, wenn sie dem Mann das Feld überlässt. Ich sehe das heute noch oft, dass Frauen mit zwei oder drei Kindern allein gelassen werden, weil der Mann für die Familie ein Haus baut. Das ist eine typisch männliche Entscheidung, aber die ist schlecht. Es ist viel wichtiger, bei der Familie zu sein.

Da zeichnen Sie ein patriarchalisches Rollenbild. Beziehungen haben sich doch aber generell verändert?

Die Liebe hat sich in den letzten 100 Jahren relativ gut entwickelt. Damals war die Zufriedenheit mit der Sexualität in Partnerschaften grottenschlecht. Logischerweise. Wenn einer überlegen ist und immer alles zu sagen hat, und der andere ist unterlegen, dann gibt es keinen guten Sex. Das ist auch rund um den Globus nachweisbar. Die Zufriedenheit mit der Sexualität ist in Mitteleuropa am höchsten – dort, wo wir uns weitgehend auf Augenhöhe begegnen. In Kulturen, wo die Hierarchie noch stark ist, ist diese Zufriedenheit bei Männern und Frauen schlecht. Wir werden Partnerschaften noch mehr auf Augenhöhe leben. Das ist die Zukunft.

Worin sehen Sie aktuell die größten Probleme in Partnerschaften?

Sobald ein Kind geboren ist, kümmern sich Männer weniger als vorher um Haushalt und Partnerschaft. Die Arbeitsbelastung ist zu hoch. Man nennt das mental load. Nehmen Sie junge Paare mit zwei Kindern. Um eine gute familiäre Situation zu bekommen, dürfte jeder Partner nur 60 bis 70 Prozent arbeiten. Wer heute einen guten Job hat, arbeitet aber 120 Prozent. Alles, was insgesamt über 150 Prozent liegt, führt Familien ins Chaos. Das führt auch dazu, dass viele ihren Kinderwunsch nicht realisieren. Vielleicht bekommen sie noch das erste Kind, aber nicht das zweite und erst recht nicht das dritte, selbst wenn sie es sich wünschen. Wenn wir den beruflichen Erfolg von so extremen Arbeitszeiten abhängig machen, wie sie heute üblich sind, brauchen wir uns nicht wundern. Denn es ist extrem schwer, Kind und Arbeit miteinander zu integrieren.

Sie machen den Erfolg von Liebe auch von politischen Faktoren abhängig?

Ja, natürlich. Wir müssen als Gesellschaft auch etwas dafür tun, dass Liebe gut funktioniert. Für die breite Mehrheit bedeutet Liebe ja einen Familienwunsch.

Die Trennungsrate ist viel höher als früher, Partner scheinen jetzt oft schnell ersetzbar zu sein. Steht das nicht im Widerspruch zu Ihrer Theorie?

Das glaube ich überhaupt nicht. Wenn Paare zu mir in die Beratung kommen, haben sie sich viele Jahre gequält und beharkt. Von denen, die schnell aufgeben, lese ich in der Presse, aber die sehe ich nie. Die durchschnittliche Ehedauer steigt seit Langem an. Sie fällt nicht. Sie liegt jetzt bei 15 bis 16 Ehejahren.

Was ist für eine Partnerschaft wichtig, damit sie lange hält?

Die wesentliche Erkenntnis der Forschung ist, dass eine Liebe nicht aus sich heraus funktioniert. Sie hat aus sich heraus keinen Bestand, sondern zerfällt, wenn wir nicht etwas dafür tun. Bei Freundschaften ist das ja auch so: Wenn man sich nicht sieht und kümmert, gibt es die Freundschaft nicht mehr. In diesem Stadium leben manche Paare über viele Jahre. Sie sehen einander noch, aber sie unterhalten sich nicht mehr über Persönliches, sondern nur noch über die To-do-Liste. Eine Liebe, die nicht mehr gepflegt wird, geht in jedem Fall zu Ende. Mit oder ohne Untreue oder als dauerhaft stabile unglückliche Beziehung. Aber als dauerhaft stabile glückliche Beziehung kann sie nicht weiterleben.

Wie pflegt man die Liebe?

Wir müssen uns täglich um einander kümmern. Ein Mann, der sich nicht täglich dafür interessiert, wie es seiner Frau geht, der lebt vielleicht in einer Ehe, aber nicht in einer stabilen. Wie geht es dir – und was kann ich für dich tun? Das sind die beiden entscheidenden Fragen. Das muss man wirklich wissen wollen und nicht genervt sein. Wenn dieses Interesse komplett versiegt, gehen Partnerschaften einen schwierigen Weg. Das ist die zentrale Erkenntnis, die wir durch die Liebesforschung seit Mitte der 1990er-Jahre haben. Es geht nicht darum, ob wir zu Anfang besonders verliebt waren oder der Sex cool war. Das ist zwar schön, trägt aber nicht zur Stabilität bei.