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Herr Schirach wird zum Problem der ARD

Ein Ganzabend-Angebot auf neun Sendern: Ferdinand von Schirachs "Feinde" ist ein Quotenerfolg - und zugleich ein Stolperstein für das Erste.

Von Oliver Reinhard
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Kommissar Nadler (Bjarne Mädel) entscheidet sich, den Verdächtigen zu foltern. In "Feinde" wird er hilflos und verzweifelt dargestellt - im Kontrast zum komplett unsympathischen Verdächtigen.
Kommissar Nadler (Bjarne Mädel) entscheidet sich, den Verdächtigen zu foltern. In "Feinde" wird er hilflos und verzweifelt dargestellt - im Kontrast zum komplett unsympathischen Verdächtigen. © ARD

Da kann man nur gratulieren. Ferdinand von Schirachs ARD-Großprojekt "Feinde" holte am Sonntagabend eine Traumquote von fast 22 Prozent. Anders gerechnet war fast jeder zehnte Bundesbürger dabei, als sich im Ersten und dessen acht Regionalprogrammen zeitgleich zwei Spielfilme und eine Dokumentation beinahe vier Stunden lang um die Frage drehten: Dürfen Ermittler Verdächtige foltern, wenn sich dadurch möglicherweise ein Leben retten lässt?

Was für ein Projekt! Eine hochemotionale fiktive Geschichte nach einem authentischen Fall, betrachtet aus zwei Perspektiven, ergänzt um sachliche Informationen, ein moralisches Dilemma im Zentrum, riesiger Zuspruch - also alles richtig gemacht, ARD? Abgesehen vom Quotentriumph: Nein. Nicht alles. Noch nicht mal das Meiste. Denn der Erfolg bei den Zuschauern kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass "Feinde" durchaus problematisch war und ist. Auch für die ARD.

Das moralische Dilemma? Es gibt keins.

Es beginnt schon bei den beiden Filmen selbst. Im Ersten wurde die Geschichte der Entführung und unbeabsichtigten Tötung einer 12-Jährigen, der Ermittlung und des Prozesses zunächst aus Sicht des leitenden Ermittlers erzählt. Später lief das Ganze noch einmal, diesmal aus Perspektive des Anwalts. Beides mehr oder weniger gelungene Filme mit fähigen und populären Schauspielern. Doch die Anwalts-Perspektive brachte keinen besonderen Mehrwert. Am wenigsten für die Spannung. Kurzum, sie war einigermaßen überflüssig.

Das Wichtigste und für die Zuschauer anziehendste Element dieses Großprojekts aber bestand, wie schon bei den Schirach-Vorläuferprojekten "Terror" und "Gott" - die jeweils nur mit einem Film auskamen -, im zentralen moralischen Dilemma. Doch ging es bei den Vorgängern um tatsächliche mitunter schwer auflösbare Diskrepanzen zwischen Recht und Gerechtigkeit wie "Darf man ein Passagierflugzeug abschießen, um damit einen Terroranschlag zu vermeiden?" beziehungsweise um selbst bestimmtes Sterben, birgt die Frage von "Feinde" nichts dergleichen.

"Über Folter darf es niemals eine Abstimmung geben"

Denn das Folterverbot ist in allen Menschenrechts-Konventionen und selbstverständlich ebenso im Grundgesetz hinreichend begründet, auch moralisch. Außerdem, und das ist das Entscheidende, dürften unter der Folter erpresste Aussagen oder Geständnisse vor Gericht ohnehin nicht verwendet werden. Die angebliche Kernfrage des Projektes stellt sich also gar nicht. Mehr noch, "Feinde" verhandelt kein wirkliches Dilemma, schon gar kein öffentlich seriös und ernsthaft verhandelbares.

Dass dem so ist, wurde in der Dokumentation auch hinreichend dargestellt und erklärt. Nicht zuletzt von Schirach selbst. Eben deshalb hat der Jurist und Bestseller-Autor auch darauf bestanden, dass anders als bei "Terror" und "Gott" diesmal kein anschließendes Zuschauer-Voting stattfindet. In einem Interview sagte Schirach: "Über Folter darf es niemals eine Abstimmung geben." Sie sei verboten und geächtet, das müsse auch so bleiben. Und zwar "unbedingt und ohne jede Ausnahme".

Bestsellerautor Ferdinand von Schirach ist ein Dauerfall für die ARD: Nach "Terror" und "Gott" ist "Feinde" schon das dritte Großprojekt mit ihm - und noch größer geworden.
Bestsellerautor Ferdinand von Schirach ist ein Dauerfall für die ARD: Nach "Terror" und "Gott" ist "Feinde" schon das dritte Großprojekt mit ihm - und noch größer geworden. © Archivbild: kairospress

Manipulative Darstellung der Figuren

Ferdinand von Schirach ist ein Gegner jeglicher Volksabstimmung. Darin dürfte ihn die von der ARD unter einem repräsentativen Test-Publikum vorab durchgeführte Abstimmung noch bestätigt haben. Eine Mehrheit der Fachleute - Polizisten und Juristen - hatte sich gegen Verhör-Folter ausgesprochen. Eine Mehrheit des Nicht-Fachpublikums hingegen war für die Anwendung von Folter in solchen Fällen wie bei "Feinde". Womit wir beim Dilemma dieser Schirach-Projekte selbst wären.

Schon bei "Terror" und noch mehr bei "Gott" hatte es viel Kritik an diesen Formaten gegeben. Denn Schirach und die TV-Produzenten, so der Tenor, arbeiten mit den Mitteln der Emotionalisierung, mithin der Manipulation. Damit tragen sie nicht zur Versachlichung von Debatten bei, sondern zum Gegenteil. Das ist auch bei "Feinde" so. Wir sehen ein hilfloses junges (und hübsches) Opfer, dessen verzweifelte Familie, den nicht minder hilflosen und verzweifelten Ermittler (und liebenden Vater und Ehemann), auf der anderen Seite aber einen vollkommen unsympathischen und abstoßenden (und warum eigentlich sächselnden?) Verdächtigen. Manipulativer geht es kaum.

"Feinde" ist kein Argument für eine Beitragserhöhung

Nicht geringer ist jenes Dilemma, in das sich die ARD mit "Feinde" selbst begeben hat. Deren Sucht nach Quotenhits offenbart sich in ihrer ganzen Dimension, wenn die Anstalt unbedingt meint, nur sechs Wochen nach "Gott" schon wieder einen Schirach nachlegen zu müssen. Obendrein einen ohne debattenrelevantes Anliegen - eben einen ohne gesellschaftliches Dilemma -, zudem in überflüssiger Doppelfilm-Offensive, dann auch noch in fast identischer Form zur selben Zeit auf allen neun ARD-Kanälen.

Was die Programmplaner vor Monaten freilich nicht wissen konnten: Dieser in Form und Dimension eher unsinnige Schirach-Overkill landete ausgerechnet zur absoluten Unzeit für das Erste. Nämlich kurz nach dem Scheitern des ersten Beitragserhöhungs-Versuchs durch die ausgesetzte Abstimmung darüber im Landtag von Sachsen-Anhalt. Und mitten in der Diskussion darüber, ob diese Erhöhung wirklich gerechtfertigt wäre angesichts des aufgeblasenen Öffentlich-Rechtlichen Apparats und lauter werdenden Zweifeln daran, wie sinnvoll dessen Dimensionen heute eigentlich noch sind. Den Feinden der Beitragserhöhung dürfte das "Feinde"-Dilemma der ARD jedenfalls willkommen sein.