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Diskussion in Dresden: Wer rettet das Netz vor Hass, Hetze und Fake News?

Digitale Aggressionen gefährden das Miteinander und unsere Demokratie. Netzpolitiker Markus Beckedahl fordert mehr Aufklärung, mehr Hilfe, mehr Gegenmaßnahmen.

Von Oliver Reinhard
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Frauenhass, Fat-Shaming und Grünen-Hass: Politikerin Ricarda Lang zieht besonders viel Netz-Hetze auf sich. Aber auch ehrenamtliche Lokalpolitiker sind zunehmend Opfer, nicht zuletzt in Sachsen. Ziehen sie sich aus Angst zurück, geht das an die Basis unse
Frauenhass, Fat-Shaming und Grünen-Hass: Politikerin Ricarda Lang zieht besonders viel Netz-Hetze auf sich. Aber auch ehrenamtliche Lokalpolitiker sind zunehmend Opfer, nicht zuletzt in Sachsen. Ziehen sie sich aus Angst zurück, geht das an die Basis unse © Christian Soeder /dpa

Markus Beckedahl (47) sitzt im Medienrat der Landesmedienanstalt Berlin-Brandenburg und war Mitglied der Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ im Bundestag. Der Gründer von netzpolitik.org setzt sich für mehr Schutz gegen und Sicherheit vor Fake News und Hass im Netz ein. Am Dienstag um 19 Uhr hält er einen Vortrag im Dresdner Kraftwerk Mitte (Medienkulturzentrum). Wir fragten Beckedahl wie schlimme „es“ wirklich ist, was man dagegen tun kann und warum noch viel zu wenig getan wird, auch und gerade vonseiten der Politik.

Herr Beckedahl, was sind neben der zunehmenden Radikalisierung von Teilen der Gesellschaft die Hauptursachen für das Anwachsen von Hass im Netz?

Eine ist, dass Akteure von den radikalisierten Rändern der Gesellschaft gelernt haben, dass sie mit sehr viel Motivation und Eifer im Namen der Meinungsfreiheit durch Hass, Hetze, Drohungen und Einschüchterungen im Netz die Meinungsfreiheit anderer beschneiden und damit ihre politischen Ziele besser durchsetzen können. Gleichzeitig haben wir es mit einigen verantwortungslosen etablierten politischen Akteuren zu tun. Oft verunsicherte Konservative, die hoffen, verlorenen Stimmen vom rechten Rand zurückzuholen, dafür rechtspopulistische Abwertungsmuster kopieren und noch Öl ins Feuer gießen.

Wie der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz mit seinem „Pascha“-Spruch?

Zum Beispiel. Aber auch Bayerns Ministerpräsident Chef Markus Söder, der die ostdeutsche Umweltministerin Steffi Lemke mit Margot Honecker verglichen hat. Genau dieser populistische Hang etablierter Politiker zum billigen Vergleich, zur zackigen Abwertung, zur kurzen, schnellen, bösen Attacke sind am gefährlichsten für unsere Demokratie, weil sie die politische Kultur massiv beschädigen.

Die bevorzugten Opfer sind vielfach Frauen, vor allem Politikerinnen wie die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang. Aber auch über die neue Miss Germany und die Zweitplatzierte, eine gebürtige Iranerin und eine Schwarze Deutsche, wird rassistische Hetze ausgegossen.

Das ist richtig: Zu den Hauptopfergruppen zählen weibliche öffentliche Personen, vornehmlich mit Migrationshintergrund, aber auch ganz generell Spitzenpolitikerinnen und –politiker. Fast noch schlimmer und gefährlicher sind Hass und Hetze gegen ehrenamtliche Politikerinnen und Politiker auf lokaler Ebene, weil gerade sie die Stütze unserer Demokratie sind. Wenn sie sich aus Angst zurückziehen und wir nicht mehr genug Ehrenamtliche haben, die demokratische Teilhabe praktizieren, funktioniert unser System nicht mehr.

Marcus Beckedahl ist Gründer von Netzpolitik.org sowie der Messe re:publica und ein begehrter Vortragsredner und Debattengast.
Marcus Beckedahl ist Gründer von Netzpolitik.org sowie der Messe re:publica und ein begehrter Vortragsredner und Debattengast. © dpa

Nun gibt es ja seit Jahren Maßnahmen gegen Hass, Hetze und Desinformation im Netz. Etwa das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, die Bundesarbeitsgemeinschaft gegen Hass, das Kompetenznetzwerk Hass im Netz und das Digitale-Gewalt-Gesetz. Bringen die nichts?

Nur dann, wenn die Regelungen und Maßnahmen auch umgesetzt werden. Da aber beobachte ich noch viel zu wenig konsequenten Willen dazu. Aufseiten der Strafverfolgungsbehörden ist man viel zu lange davon ausgegangen, digitaler Hass und Hetze nur im Internet abspielt und auch dort bleibt. Es gab keine Sensibilisierung dafür, dass virtuelle Gewalt auch Auswirkungen auf die Realität hat und Aggression im Netz oft die direkte Vorstufe von verbaler oder körperlicher Aggression im Alltagsleben ist, von „Hausbesuchen“ bei Politikern oder körperlichen Angriffen bis hin zum Mord. Noch einmal: Die besten Gesetze bringen nichts, wenn selbst etablierte Politiker zu diesen Aggressionen beitrage und sie gewissermaßen dadurch legitimieren.

Was müsste am dringendsten angegangen werden?

Als Erstes eine stärkere Hilfestellung für Betroffene und intensivere Aufklärung, was man tun kann und sollte, wenn man Opfer von Hass und Gewalt im Netz geworden ist. Und unbedingt eine stärkere Sensibilisierung der Strafverfolgungsbehörden und eine Vereinfachung der Ermittlungsprozesse und Verfahren. Es dauert ja sehr häufig, sehr, sehr lange, bis potenzielle Straftäter überhaupt von Gericht gestellt werden.

Auch über die neue Miss Germany Apameh Schönauer (r.) und die zweitplatzierte Adwoa Awuah wird im Netz kübelweise rassistische Hetze ausgegossen.
Auch über die neue Miss Germany Apameh Schönauer (r.) und die zweitplatzierte Adwoa Awuah wird im Netz kübelweise rassistische Hetze ausgegossen. ©   dpa

Das kann ich bestätigen, auch Journalisten sind ja vielfach im Visier: Anfang Dezember habe ich jemanden angezeigt, der mich im Netz bedroht hat. Abgesehen von der Eingangsbestätigung und der Information, dass meine Anzeige an eine zuständige Dienststelle weitergeleitet wurde, war es das bislang ……

... und das ist eher die Regel als eine Ausnahme. Es hat natürlich Auswirkungen auf die Betroffenen und deren Meldeverhalten, wenn man bis zu einem oder zwei Jahren warten muss, bis es zu einem Verfahren kommt. Das muss dringend beschleunigt werden, aber oft scheitert es schon an der Kommunikation zwischen Ermittlungsbehörden verschiedener Bundesländer.

Was kann ein Staat, was kann die EU überhaupt bewirken gegenüber weltweiten Unternehmen wie Facebook, Twitter oder das chinesische TikTok?

Wir haben es zu lange zugelassen, dass die großen Plattformen sich weitestgehend unreguliert entfalten konnten. Überspitzt gesagt, waren große Teile der Politik eher damit beschäftigt, ihre Social-Media-Auftritte für den nächsten Wahlkampf zu optimieren, als dass sie sich über eine Regulierung Gedanken gemacht haben. Inzwischen aber haben wir eine Vielzahl von neuen Initiativen wie das europäische Digitale-Dienste-Gesetz, das jetzt neue Rahmenbedingungen schafft. Zumindest geht das in die richtige Richtung.

Wieso nur „zumindest“?

Alles steht und fällt mit dem Willen zur Durchsetzung – und mit den Kompetenzen. Milliardenschwere Unternehmen wie Facebook oder TikTok leisten sich die besten Anwälte der Welt, um sich gegen Regulierungen abzusichern. Und wenn Facebook tatsächlich mal zur Strafzahlung von 1,2 Milliarden Euro verurteilt wird, ist das meist schon eingepreist. Dafür hat man dann vorher Märkte erobert und besetzt.

Nun ist es tatsächlich nicht so, dass dagegen nichts getan würde, oder?

Es passiert ja jetzt einiges und es wird sich zeigen, ob das ausreicht. Was häufig fehlt, ist ausreichend qualifiziertes Personal in unseren Behörden, um unsere Regeln gegenüber diesen Plattformen auf Augenhöhe durchsetzen zu können. Das aber steht alles erst am Anfang. Und ich fürchte, wir investieren da immer noch nicht genug.

Ist nicht recht einfach, Accounts zu sperren, die besonders intensiv Hass und Hetze verbreiten?

Ja, wobei sich die Betreiber ständig wieder neue Accounts zulegen und einfach weitermachen können. Viel zielführender wäre ein Verbot von personalisierter Werbung mit Profilbildung. Das System mit seinen Mechanismen befördert geradezu die Verbreitung von polarisierenden Inhalten. Aber dafür gibt es momentan keine politischen Mehrheiten.