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Forstfest für alle

Eine Initiativgruppe will dafür kämpfen, dass auch Förderschüler an den Festzügen in Kamenz teilnehmen. Das braucht einen Plan.

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© René Plaul

Von Ina Förster

Kamenz. Kimi strahlte auch dieses Jahr wieder. Der Elfjährige harrte brav in seinem Rollstuhl aus. Sah die ersten Blasmusikorchester an sich vorüber ziehen. Und die komplette Kamenzer Schüler- und Lehrerschaft, wie sie nur einen Meter neben ihm aus den beiden Türen der 1. Oberschule auf den Schulplatz strömte. „Lerne Weisheit“. „Übe Tugend“. Das genau steht über den großen Portalen. Kimi hat sich vor allem in Geduld geübt am Forstfestmontag und -donnerstag. Bis er sich endlich in den Festumzug einreihen konnte, vergingen 25 Minuten. Ihm machte das nichts. Schließlich wollte er mitmachen beim Forstfest. Und nicht nur am Rand stehen …

An seiner Seite war die ganze Zeit sein Papa. Er schob ihn – selber ganz in Weiß gekleidet – über das holprige Altstadtpflaster von Kamenz. Winkte und nickte Zuschauern zu. Grüßte und kam aus dem Lächeln nicht mehr hinaus. Auch schon im letzten Jahr. Er tat das gern für seinen Jungen. Sonst könnte der nicht dabei sein. Kimi Schäfer lernt an der Förderschule für Geistigbehinderte. Die Einrichtung nimmt ebenso wie die Förderschule für Lernbehinderung in Kamenz nicht an den Festumzügen zum Forstfest teil. Warum eigentlich nicht? Das fragten sich in den vergangenen Jahren immer wieder und immer mehr Menschen. Auch und vor allem zusehende am Straßenrand. Viele der Eltern hingegen scheinen sich damit abgefunden zu haben. Denn es sind nur Vereinzelte, die sich dafür stark machen, dass ihre Kinder Teil einer wunderschönen alten Tradition sind. Dass die Möglichkeit dazu jederzeit besteht, betont die Stadtverwaltung immer wieder.

Im Rollstuhl mit dabei

Und das nicht erst seit 2017! Über Jahre habe es Angebote zur Teilnahme gegeben, sagt bereits vor sechs Jahren Volker Schmidt, Chef des Forstfest-Komitees auf Nachfrage der SZ. Doch die wurden abgelehnt. Auf der Schulkonferenz entschied man indessen 2011, dass man nicht unter dem Namen Förderschulen am Forstfestzug teilnehmen möchte. Den Schülern sei daraufhin freigestellt worden, mit Regelschulen zu laufen.

In diesem Jahr nutzten das zum Beispiel im Block der Grundschule „Am Forst“ Kimi im Rollstuhl und fünf weitere Kinder. Auch die Tochter von Undine Jähnig war dabei. Für die junge Mutter war es keine Frage, dass ihr Kind weiter mitmacht. Diese lernt aktuell in der sechsten Klasse der Schule zur Lernförderung in Kamenz. Zuvor besuchte sie die Grundschule am Forst. Lief natürlich bislang automatisch in den Umzügen mit. „Als sie mich fragte, warum sie plötzlich nicht mehr am Umzug teilnehmen durfte, tat uns das weh. Denn wir hatten keine richtige Erklärung, die sie auch verstanden hätte“, sagt die Mama. Also wurde nachgefragt und sich gekümmert. Das Mädchen lief 2017 mit ihren früheren Mitschülern mit.

Die Traurigkeit der Kinder

Auch Manuela Busack kennt die Traurigkeit eines Kindes noch von früher. Ihr Sohn Pierre wollte immer gern mitgehen, verstand aber nie, warum das so schwierig war. „Mit irgendwelchen fremden Kindern in irgendeiner Klasse mitgehen, das wollte er dann aber nicht“, erinnert sich seine Mutter. Mittlerweile ist er den Kinderschuhen lange entwachsen, sichert die Forstfestumzüge mit seinen Kameraden der Feuerwehr ab. Ein kleines Trostpflaster.

„Schöner wäre es schon, wenn unsere Kinder mit eigenen Freunden und aktuellen Mitschülern laufen könnten“, sagt Undine Jähnig. „Sollte nicht endlich einmal etwas grundlegend zu ändern sein? Ich und andere Eltern sind uns einig: Hier muss etwas passieren!“ Momentan ist man dabei, eine Initiativgruppe zu gründen, Umfragen zu starten, an entsprechenden Stellen nochmals nachzuhaken. Ergotherapeut Michael Schiewack begrüßt das Interesse. Der Kamenzer setzt sich seit Jahren für mehr Inklusion in der Lessingstadt ein. „Auch, und vor allem weil wir die Lessingstadt sind“, sagt er. „Steht nicht in der Ringparabel, dass alle gleich sind? Wenn man hier Kräfte bündeln könnte, die sich gemeinsam für die Sache stark machen – das wäre ein richtig gutes Zeichen!“

Er findet auch, dass die Zeit reif dafür sei. Schiewack begleitet jährlich selbst einen autistischen Jungen im Umzug. Für ihn ist das eine Ehre und selbstverständlich. „Natürlich brauchen besondere Kinder besondere Betreuung und Unterstützung. Darüber muss man sprechen. Und darüber, in welcher Form die Integration der Kamenzer Förderschüler in einem eigenen Block überhaupt machbar wäre“, sagt er. Allen ist dabei bewusst, dass man durchaus in eine jahrhundertealte Tradition eingreift, etwas erneuern will. Nicht nur im Ablauf des Festzuges.

Was ist beispielsweise mit der Teilnahme an den Spielen? Gehören diese Kinder da nicht auch hin? „Ein kostenloses Abzeichen zum Eintritt in den Forst bekommen wir ja schließlich auch. Und die Lehrer der Förderschulen sind beim Adlerschießen dabei“, so Undine Jähnig. Realistisch betrachtet wird es sicherlich nicht sofort gelingen, in jeder Klassenstufe eine Abteilung zusammen zu bekommen. „Doch vielleicht wäre ja ein gemeinsamer Block, bunt zusammengewürfelt in den Altersstrukturen, denkbar“, sagt Michael Schiewack. „Je bunter, desto besser!“

Als Erstes will man das Anliegen jetzt dem Elternrat der Förderschulen antragen. Umfragen müssen her. Damit man weiß, wie viele Mamas und Papas das Thema überhaupt umtreibt. Mit den Ergebnissen möchte die Gruppe an das Forstfest-Komitee herantreten. Und vielleicht schon mit konkreten Vorschlägen, wie so ein Block der Förderschulen aussehen kann. Dass das Ganze die Stadt mehr Geld kosten wird, ist allen bewusst. „Es gibt hier in Sachen Inklusion so viel Unterstützung und Möglichkeiten – das dürfte nicht schwer werden“, sagt der Ergotherapeut. Kamenz würde die Sache gut zu Gesicht stehen. Aber am Anfang steht das Wollen. Das Wollen vieler!