SZ + Freital
Merken

Die Baude auf dem Wilisch in Kreischa

Goldene Ära und Jahrzehnte des Verfalls – die Geschichte von einem Kreischaer Prestigeobjekt für den Fremdenverkehr.

 7 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Die Wilischbaude heute, ein Bild der Trostlosigkeit.
Die Wilischbaude heute, ein Bild der Trostlosigkeit. © Matthias Schildbach

Von Matthias Schildbach

Die Wilischbaude war eines der beliebtesten Ausflugsziele im Dresdner Süden. Nach einer für Kinder erlebnisreichen Fahrt mit der Lockwitztalbahn erreichte man Kreischa. Von hier aus war es ein Leichtes, die Kuppe des Wilisch zu erklimmen. Mit ihrer Aussicht und dem sehenswerten Krater mit den Basaltsäulen hatte man ein lohnenswertes Ziel, man konnte sich bei einem Besuch der Bergbaude stärken und erfrischen.

Die Geschichte der Restauration auf dem Wilisch ist jedoch um ein Vielfaches älter. 1832 reichte der Kreischaer Häuslerbesitzer und gelernte Buchdrucker Johann George Vogel eine Eingabe ans Finanzministerium ein. Darin bat der spitzfindige 54-Jährige darum, dem zunehmenden Ausflüglerstrom auf den Wilischberg gerecht zu werden und eine Erfrischungsmöglichkeit für Gäste zu etablieren.

Der Anbau der Wilischbaude aus den 1930er Jahren, errichtet vom damaligen Baudenwirt Otto Werner.
Der Anbau der Wilischbaude aus den 1930er Jahren, errichtet vom damaligen Baudenwirt Otto Werner. © Repro: Matthias Schildbach

„So ist doch auch schon öfters der Wunsch darüber geäußert worden, nach Besteigung des Berges eine geringe, doch nötige Erfrischung auf diesem Erholungspunkt zu finden, welches den Reiz des Berges für die Besuchenden um vieles erhöhen dürfte. Und da sich auf dem Gipfel des Berges ödes Stück Land befindet, welches durch Anlegung einiger grüner Lauben und daselbst mindestens einen Schluck Bier zu genießen nicht die geringste Beeinträchtigung zu verursachen, wohl aber dem respektablen Lust-Reisenden für den Sommer das zu genießende Vergnügen um vieles erhöhen würde.“ Mit dieser Begründung bat Vogel um Bau- und Ausschankgenehmigung auf dem Wilischberg, begrenzt auf die Zeit des Sommers, gegen die Zahlung eines jährlichen Pachtgeldes von 2 Talern an das Forstamt zu Dippoldiswalde. Vogels Gesuch kam an, man urteilte über „das Unternehmen Vogels, wenn auch nicht als ein notwendiges, doch als ein den allgemeinen Wünschen gewiss entsprechendes“. Den Pachtzins reduzierte man wohlwollend, vielleicht auf das eine oder andere Freibier spekulierend, auf 1 Taler jährlich.

Sommer 1909: Die neu errichtete Wilischbaude ist die Zierde des Berges. In nur zweieinhalb Monaten Bauzeit ist sie errichtet worden.
Sommer 1909: Die neu errichtete Wilischbaude ist die Zierde des Berges. In nur zweieinhalb Monaten Bauzeit ist sie errichtet worden. © Repro: Matthias Schildbach

Am 13. Juni 1832 erhielt Johann George Vogel die vollen Konzessionsrechte. Das anfangs kleine Sommergeschäft schien gut zu laufen, die Besucherzahl zu steigen. Die Etablierung Kreischas als Bade- und Sanatoriumsort führte auch dem Wilischwirt saisonal zunehmend Besucher zu. Nach einigen Jahren entstand ein fester Bau mit Strohdach, die „Wilischhütte“ genannt.

Ihr Standort muss damals nah an der Kuppe des Wilisch gewesen sein. Vielleicht befand sie sich auf der östlichen wettergeschützten Bergseite. Noch heute ist hier etwa 30 Meter unterhalb der höchsten Erhebung eine tiefe Erdmulde erkennbar. Das könnten die Überreste sein, belegt ist jedoch nichts.

Um 1875 begann der Steinbruchbetrieb auf der Wilischkuppe. Abgebaut wurde der für Bahntrassen- und Straßenbau benötigte Basalt. In dieser Zeit nahm der Besuchswert der Bergkuppe deutlich ab, Lärm, Staub und die Zerstörung der Natur hielten die Besucher fern. Die alte Wilischhütte verfiel. Nach dreißig Jahren Abbaubetrieb stand nur noch die östliche Hälfte der Bergkuppe. Auf der anderen Seite türmten sich gewaltige Abraumhalden.

Zunehmender Besucherstrom

Mit der Eröffnung der Linie der Lockwitztalbahn zwischen Niedersedlitz und Kreischa erfuhr der Badeort einen noch nie gesehenen Besucherandrang. Der eigens gegründete Verkehrsverein für Kreischa und Umgebung besann sich der einstigen Wilischhütte und deren Beliebtheit und beschloss im Juli 1908 den Bau einer Blockhütte auf dem Wilisch. Ein unmittelbar neben dem Steinbruch gelegenes Flurstück wurde von einem Hermsdorfer Bauern gekauft, das Gesuch um Erteilung einer Schankkonzession umgehend abgeschickt. Binnen Tagen wurden vom Bau, der mit 7.000 Mark veranschlagt war, Zeichnungen vorgelegt.

Hochmotiviert wurde das Projekt in rekordverdächtiger Zeit in die Tat umgesetzt. Schon im September erfolgte die Auftragsvergabe an das Kreischaer Bauunternehmen Weißbach, die Schankkonzession ward erteilt und die Bewirtschaftung erhielt Strohhutpresser Otto Werner aus Kreischa zugesprochen. Es folgte die Grundsteinlegung am 19. Oktober, die Hebefeier am 14. November, die Eröffnungsfeier am 9. Januar 1909.

Die Wilischhütte, wie sie 1832 Johann George Vogel hat errichten lassen.
Die Wilischhütte, wie sie 1832 Johann George Vogel hat errichten lassen. © Zeichnung: Mario Wiese

Unter reger Beteiligung der – natürlich ausschließlich männlichen – Mitglieder des Gebirgsvereins für die Sächsische Schweiz, Ortsgruppe Kreischa, und dem Verkehrsverein für Kreischa und Umgebung gab der Baudenwirt Otto Werner sein Debüt. Die mitternächtlichen Heimwege schwankender, angetrunkener Baudengäste nahmen an diesem Abend wohl ihren Anfang.

1927 berichtete der „Bote vom Wilisch“: „Tannenzweige und Bilder zieren die Wände, Blumen schmücken die weißgescheuerten Tische. Gar wohlig ists in diesen freundlichen Räumen, und selbst im Winter sitzt sichs traulich auf der Ofenbank am wärmenden Kachelofen. Die Beleuchtung der Gaststätte geschieht durch Gaslicht, das von Heidenau über den Berg geleitet wird … Vor der Baude finden wir schöne schattige Anlagen, auch ist ein großer Spielplatz zum Tummeln der Jugend vorhanden; über der Straße sind Tische und Bänke im Walde aufgestellt worden.“

Der Steinbruchbetrieb war mit den touristischen und heimatverehrenden Interessen nicht mehr vereinbar und kam noch vor dem Ersten Weltkrieg zum Erliegen. In den 1920er-Jahren diente der Steinbruch als Kulisse für Chorauftritte, Gottesdienste zu Pfingsten, wurde als Kulisse und Spielplatz benutzt. Der Baudenwirt Otto Werner kaufte das Objekt schließlich und errichtete zu Beginn der 1930er-Jahre einen zweigeschossigen Anbau, der den Umfang der ursprünglichen Baude um ein Vieles übertraf.

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Otto Werner betrieb die Gastwirtschaft bis 1961, 52 Jahre lang. Die goldene Ära der Wilischbaude endete damit. Als Betriebsferienheim fand sie eine neue Bestimmung. Verschiedene Heimleiter hatten verschiedene Methoden, um fremde Gäste fernzuhalten, wie es heißt, bis auf wenige Privilegierte, versteht sich. Bei einem Gastwirt K. mussten sich die Gäste gar bedanken, wenn ihnen Einlass gewährt wurde. Der hatte festes Gehalt, es interessierte ihn schlichtweg nicht, ob Gäste kamen oder nicht. Sie wurden abgewiesen, was zu Unverständnis und Klagen in der Bevölkerung führte.

Ein anderer Heimleiter bestimmte gar selbst, wann ein Gast zu Ende bedient war. Er verweigerte einem Gast das dritte Bier, weil er meinte, er könne nach zwei Bier keinen Durst mehr haben. Solche Zustände herrschten. In den 1980er-Jahren zog Stille in die Baude ein. Der Schankbetrieb war zum Erliegen gekommen, das Gebäude sich selbst überlassen. Vernagelt und vermüllt überlebte sie das Ende der DDR.

Hoffnung, Mut und Enttäuschung - Jahrzehnte des Verfalls

Im Sommer 1993 begannen neue Aktivitäten, ein Ausschank im Freien wurde eröffnet und Pläne zur Sanierung wurden geschmiedet. Die Innenausstattung wurde ausgebaut, neun Fremdenzimmer geplant. Eine Familie aus der Region bemühte sich um Wiederherstellung, investierte enorme Eigenleistungen, fand Zuspruch bei den Menschen aus der Umgebung und Besuchern. Der Optimismus und die Ideen der Wirtsleute beeindruckten. Für Ende 1994 war die Eröffnung geplant. Im November 1994 feierte man Eröffnung. Gemütliche Baudenabende und interessante Veranstaltungen wurden angekündigt. Dann wurde es wieder still auf dem Berg, die Pläne waren gescheitert.

1998 beschloss der Gemeinderat Reinhardtsgrimma, dass im Bereich des Wilisch und der Wilischbaude keine Veränderungen der bisherigen landschaftlichen und baulichen Strukturen erfolgen dürfen. Die Baude wurde durch den Bauhof gesichert – und wieder sich und dem Vandalismus selbst überlassen. 2000 war eine Versteigerung geplant.

Der Sommer 2002 brachte neuen Hoffnungsschimmer in Form eines provisorischen Biergartens und Imbissangebot. Aus hygienischen Gründen hat sich das Angebot jedoch nicht halten können. 2006 wechselte die Baude zu einem neuen Eigentümer, der die Hoffnung säte, die Wilischbaude würde ihren 100. Geburtstag in neuem Glanz erleben. Er wollte die Baude nach altem Vorbild neu erstehen lassen 8 Ferienwohnungen bauen. Es wurde nichts daraus.

Im März 2021 berichtete die Sächsische Zeitung über „Große Pläne für den Wilisch“. Ein mittelständischer Unternehmer plante den Abriss der alten Gebäude, die Errichtung eines neuen „Wilisch-Hauses“ mit Restaurant, Ferienzimmer- und wohnungen sowie einem Wellness-Gebäude. 15 Arbeitsstellen sollten hier neu entstehen. Die Pläne wurden ausführlich dem Glashütter Stadtrat vorgestellt.

Wieder ist es seltsam ruhig geworden auf dem Berg. Auf Nachfrage der SZ halten sich das Glashütter Rathaus wie der Eigentümer bedeckt: Zur Frage nach dem Stand der aktuellen Informationen gibt es – keine Informationen. 113 Jahre alte wird die Wilischbaude in diesem Jahr. Ein Drittel ihrer Existenz hat sie leer gestanden, war Wind und Wetter überlassen anstatt Gäste zu beherbergen. Fast scheint es, als ob der inzwischen vier Jahrzehnte anhaltende Verfall der Wilischbaude immer noch nicht beendet sei.