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Rentner feiern 80 Jahre Schuleinführung

Schon beim Frühstück denkt der Freitaler Günter Kotula oft an seine Schulzeit in Rabenau. Jedes Klassentreffen frischt Erinnerungen auf. Jetzt wieder.

Von Dorit Oehme
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Günter Kotula aus Freital hat viel über seine Schulzeit vor 80 Jahren in Rabenau zu berichten.
Günter Kotula aus Freital hat viel über seine Schulzeit vor 80 Jahren in Rabenau zu berichten. © Egbert Kamprath

Die Mimik wird ernster. Günter Kotula hat gerade glücklich erzählt, dass er „in die schönste Schule Sachsens“ gegangen sei. Jetzt ist ihm aber auch der Hunger der Nachkriegszeit wieder gegenwärtig: „Also, das Wichtigste für uns war das Roggenbrötchen mit Rübensirup oder Marmelade. Das bekamen wir als Schüler damals jeden Tag“, sagt der 86-Jährige, der in Rabenau aufwuchs und erst kürzlich neun Mitschülerinnen und Mitschüler wiedergesehen hat. Das Motto des Klassentreffens noch vor den Corona-Einschränkungen war: „80 Jahre Schuleinführung“.

„Es ist der harte Kern von den zwei Klassen unserer Jahrgangsstufe, der noch kommen kann. Einst waren wir über 60“, sagt Kotula. Auf dem Wohnzimmertisch des heutigen Freitalers liegt ein Klassenfoto aus der zweiten Hälfte der Grundschulzeit. Er hebt es an, als suche er darunter noch eins, und sagt schulterzuckend: „Von der Schuleinführung am 1. September 1941 haben wir leider keins.“

Flüchtlinge hatten viel verpasst

Der Zweite Weltkrieg schien damals in Rabenau zwar noch weit weg. Doch im Juni 1941 hatte Hitler die Sowjetunion überfallen. „Wenn ein Vater oder älterer Bruder eines Kindes an der Front fiel, nahmen wir Anteil. Jeden Abend mussten wir zu Hause unsere Tageskleidung auch so bereitlegen, dass wir sie in der Nacht bei Fliegeralarm schnell überziehen konnten. Obendrauf kam der Mundschutz. Wenn die Sirene ertönte, mussten wir hinunter in den Luftschutzkeller. Das war meist der größte Keller des Hauses.“

Für die Nazi-Ideologie wurde früh geworben. Jürgen Kotula erzählt auch, dass er als Zehnjähriger zusammen mit fast allen anderen Jungen seiner Klasse den Pimpfen beigetreten sei. „Nur einer gehörte nicht dazu.“

„Auch wir sollten später einmal in den Krieg ziehen.“

Organisatorin Ursula Tuisl (Mitte) inmitten ihrer früheren Klassenkameraden.
Organisatorin Ursula Tuisl (Mitte) inmitten ihrer früheren Klassenkameraden. © Egbert Kamprath
Klassenfoto vor der Schule.
Klassenfoto vor der Schule. © Egbert Kamprath
Fast 80 Jahre altes Klassenfoto.
Fast 80 Jahre altes Klassenfoto. © Egbert Kamprath

Ab etwa 1944 kommen die ersten Mädchen und Jungen aus Ostpreußen und Berlin zu ihnen in die Klassen. Als sie im September 1945 in die fünfte Klasse aufrücken, ist nichts mehr wie vorher. „Der Zweite Weltkrieg war zu Ende. Die Wehrmacht hatte am 8. Mai kapituliert. Die Alliierten hatten die Regierungsgewalt, bei uns war es ja die Sowjetarmee. Wir bekamen Neulehrer, die wir anfangs alle testeten. Unsere beiden Klassen füllten sich mit Flüchtlingskindern, manche waren älter als wir. Sie hatten viel Unterricht verpasst.“

Brot für Wandertag organisiert

In den ersten Nachkriegsjahren gab es für die Heizung der Schule keine Kohle. „Deshalb wurde improvisiert.“ Ein Raum wurde mit einem Kanonenofen ausgestattet. Viele Schüler hatten auch auswärts Unterricht, in Betrieben oder in der Grundschule Obernaundorf. Weil es an Schuhen mangelte, trugen sie teils Schuhe der Eltern oder Schuhe aus dem Kunststoff Igelit.

„Es waren schlimme, bewegte Zeiten. Doch wir hielten zusammen und waren erfinderisch“, unterstreicht Günter Kotula. Im Jahr 1947 bat er mit Klassenkameraden in der Walzenmühle Coßmannsdorf - im heutigen Freitaler Stadtteil Hainsberg - um Korn, um den Proviant für einen Schulausflug zu sichern. „Wir bekamen etwas. Das Korn brachten wir zu einem Bäcker, er tauschte es uns in Brot um. Unsere Klassenlehrerin machte die Schnitten fertig: Sie bestrich sie mit ‚Stalinbutter‘, einem Schmalzersatz mit Mehl, und streute Petersilie und gehackte Zwiebeln darauf. So traten wir unsere Wanderung an.“

Nächstes Treffen schon geplant

Seit Längerem schon treffen sich die beiden Klassen, die 1941 in die Schule kamen und 1949 entlassen wurden, jährlich. Ursula Tuisl aus der Parallelklasse ist die Hauptorganisatorin, gern bereitet sie auch Überraschungen vor. Im Jahr 1991, 50 Jahre nach der Schuleinführung, begrüßte sie alle mit einer Klassenkameradin im Outfit von Abc-Schützinnen. „Danach haben wir uns unsere Schule noch einmal angeschaut. In der Aula hingen kleine Zuckertüten. Wir Schüler frischten manche Erinnerung auf: Auch an die Theaterstücke von Konrad Grüttner. Jeder war scharf darauf, darin mitzuspielen. Weil es viele Rollen gab, konnten viele auftreten“, erzählt Kotula.

Das nächste Klassentreffen sei für Oktober 2022 schon geplant, sagt er und verrät: An ihre alte Schule auf dem Berg, mit dem Klinkerbau, in U-Form, mit dem Turm, dem Schulhof, den Fachkabinetten und den Trinkbrunnen auf den Fluren – daran denke er oft schon beim Frühstück. Vom Architekten Oswin Hempel konzipiert, war sie erst 1929 übergeben worden – „und für uns damals ganz modern.“