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Freitals Zentrum: Erste Stadträte fordern einen völligen Neustart

Noch immer gibt es kein Baurecht, um den Investor ist es ruhig geworden. Es mehren sich die kritischen Stimmen. Wie soll es weitergehen?

Von Annett Heyse
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Einige Bäume wurden gefällt und Probegrabungen gemacht - mehr ist 2023 am zukünftigen Freitaler Stadtzentrum nicht passiert.
Einige Bäume wurden gefällt und Probegrabungen gemacht - mehr ist 2023 am zukünftigen Freitaler Stadtzentrum nicht passiert. © Egbert Kamprath

Ein dreiviertel Jahr ist es jetzt her, da kehrte die Hoffnung zurück: Im März 2023 war plötzlich Bewegung auf dem Grundstück Sächsischer Wolf mitten in Freital. Bäume wurden gefällt und ein großes Plakat aufgebaut. "Hier entsteht die neue Stadtmitte Freital", stand darauf zu lesen. Es gab sogar ein Foto, auf dem der Freitaler Oberbürgermeister zusammen mit dem Investor und jeweils einem Vertreter von Aldi und Edeka zu sehen war.

Das Plakat ist nun verblichen, zwischenzeitlich hing es schlapp herab, bis jemand es wieder annagelte. Ungleich mehr Mühe haben alle Beteiligten mit der Planung. Diese ist immer noch nicht fertig. Mehrmals stand zwar der Beschluss über den Bebauungsplan und die entsprechende Satzung auf der Tagesordnung des Freitaler Stadtrates. Ebenso oft setzte Oberbürgermeister Uwe Rumberg (Konservative Mitte) den Punkt jedoch wieder ab - zuletzt im November 2023.

Im März 2023 posierten Investor Mohamed Younis (2. v. li.) und Oberbürgermeister Uwe Rumberg (2. v. re.) mit Planern und zukünftigen Mietern vor dem Grundstück.
Im März 2023 posierten Investor Mohamed Younis (2. v. li.) und Oberbürgermeister Uwe Rumberg (2. v. re.) mit Planern und zukünftigen Mietern vor dem Grundstück. © Stadt Freital

Die Begründung: Es liege noch kein unterschriftsreifer Erschließungsvertrag vor, außerdem gebe es nach wie vor Verhandlungen mit dem Investor zum geplanten Kindergarten. Hinter vorgehaltener Hand ist von Rathausmitarbeitern zu erfahren, man habe 2023 viel Zeit in die Planung zum Stadtzentrum gesteckt, es habe etliche Videokonferenzen und auch persönliche Gesprächsrunden mit dem Investor und seinem Team gegeben. Doch zu einem Ergebnis sei es nicht gekommen, zu einem Spatenstich erst recht nicht.

Einkaufszentrum mit Parkplatz geplant

Dabei war Mohamed Younis, Geschäftsführer der Schoofs Immobilien GmbH Frankfurt, im August dieses Jahres noch optimistisch. Er gab Sächsische.de ein Interview und ging von einem Baubeginn noch vor Jahresende aus.

Doch abgesehen von einem fehlenden Bebauungsplan gibt es noch ein ganz anderes Problem: Viele lehnen die Pläne ab. Vorgesehen ist, auf dem 22.000 Quadratmeter großen Areal einen Komplex mit Verkaufsflächen für Edeka, Aldi sowie die Drogeriekette "dm" zu errichten. Dazu sollen einige kleine Ladenflächen kommen, ein Café, Gastronomie. Damit auch genügend Kunden in die Läden strömen, ist ein großer Parkplatz geplant. In dem Riegel an der Dresdner Straße sollen zudem Gewerbeflächen für Büros und Arztpraxen entstehen, außerdem Wohnungen. Im hinteren Gebäude nahe der Weißeritz ist unter anderem ein Kindergarten geplant.

Aus Sicht vieler Stadträte ist das nicht mehr zeitgemäß. "Unter 'Stadtzentrum' versteht sich doch mehr als eine Betonbude zum Einkaufen", kommentiert der Vorsitzende der Mitte-Links-Fraktion Jörg Mumme. Ähnlich ist die Stimmung bei der CDU-Fraktion. "Gegenwärtig wird der Bebauungsplan mehrheitlich, wenn nicht sogar einstimmig, abgelehnt", sagt Fraktionsvorsitzende Jutta Ebert.

Auch bei der FDP ist man gegen den Entwurf: "Die FDP-Fraktion sieht mit den bisherigen Planungen keines der ursprünglich mit der Bebauung verfolgten Ziele verwirklicht und lehnt sie ab. Die jetzigen Rahmenbedingungen geben auch keinen Anlass dafür, eine nachhaltig nutzbare Bebauung zu erwarten", teilt Fraktionsvorsitzender Peter Weinholtz mit.

Einige AfD-Stadträte sehen das Projekt ebenfalls kritisch: "Das, was gebaut wird, widerspricht aus meiner Sicht vollkommen dem, was ursprünglich geplant war. Ein Ort der Erholung und Begegnung heißt, viel Gastronomie und Einzelhandel, ein Ort zum verweilen. Was jetzt gebaut werden soll, ist das ganze Gegenteil davon. Der Ort zum verweilen ist jetzt ein Parkplatz" kommentiert Mathias Dylla.

Etwas verhaltener äußert man sich bei der Konservativen Mitte, die Fraktion, die hinter Oberbürgermeister Uwe Rumberg steht. "Natürlich ist es nicht befriedigend, dass auch 2023 kein Spatenstich erfolgte", sagt Fraktions-Chef Uwe Jonas. "Wir hoffen als Fraktion und ich selbst als Fraktionsvorsitzender, dass es in absehbarer Zeit eine Lösung gibt, welche sich optimal in das oben beschriebene Ensemble einreiht und das Entstehende für Freital einen hohen Mehrwert bringt."

Doch sind Einkaufsmärkte und ein großer Parkplatz mitten im Zentrum ein "hoher Mehrwert"? Nein, sagt die Mitte-Links-Fraktion aus Die Linke, SPD und Die Grünen. "Im Grunde ist das Projekt in der jetzigen Gesamtschau eine Enttäuschung. Es wurden im Verlaufe immer neue Kompromisse vorgelegt und nichts, aber auch gar nichts bewegt. Die jetzige Projektstudie sieht im Grunde einen großen Betonriegel vor, der im Sommer die Innenstadt noch heißer machen wird", befürchtet Jörg Mumme.

Seitens der CDU heißt es, man habe äußerst kontrovers über die Baupläne diskutiert: "Im Mittelpunkt stehen dabei die Reduzierung der ursprünglichen Idee eines Stadtzentrums auf einen großen Parkplatz mit Einkaufsmärkten, der Hochwasserschutz, die Frage nach der Notwendigkeit einer weiteren Kindertagesstätte und die Wirkung einer großen versiegelten Fläche auf das Stadtklima."

Einige Fraktionen fordern neuen Ideenwettbewerb

Womit der Gedanke an einen völligen Neustart des Projektes nicht mehr weit ist. Genau diesen fordert die FDP schon länger und unterstreicht das jetzt noch einmal. "Um die Fläche sinnvoll zu bebauen, ist ein kompletter Neubeginn das Sinnhafteste. Also: Ideenwettbewerb unter Einbeziehung von Hochschulen und freien Architekten und anschließend Investorensuche", sagt Peter Weinholtz. Das bisherige Vorgehen, Investorenkonzepte im Rahmen einer Ausschreibung einzuholen, ohne zuvor selbst ausreichende Stellschrauben entwickelt zu haben, habe sich als nicht zielführend erwiesen.

Ähnlich sieht man das bei der Mitte-Links-Fraktion. "Wir würden uns einen 'Neustart' wünschen – mit mehr Grünfläche, einem Konzept zur Wasserspeicherung, Fotovoltaik und Dachbegrünung", erklärt Jörg Mumme. Auch die CDU liebäugelt damit, alles über den Haufen zu werfen und von vorn zu beginnen: "Nochmal neu zu beginnen wäre sicher eine gute Möglichkeit, ein in die Zeit passendes Konzept zu erarbeiten und umzusetzen", sagt Jutta Ebert.

Das fordert auch AfD-Fraktionsvorsitzender Torsten Heger: "Ich bin auch der Meinung, dass wir einen Neustart brauchen. In der letzten Form wäre das neue Zentrum nur noch auf einen Konsumtempel hinausgelaufen, wie es sie schon zu hunderten gibt. Ich denke am sinnvollsten wäre es, wenn die Stadt das Zentrum selbst entwickeln würde und sich nicht noch einmal einem einzelnen Investor ausliefern würde."

Es gibt aber ein Problem: Freital hat die Fläche schon vor Jahren verkauft, zunächst an den Investor RTLL aus Westsachsen, der sich zurückzog und von der Firma HD abgelöst wurde. Die Stadt bekam damals 1,2 Millionen Euro für das Grundstück. HD verkaufte 2022 Baupläne samt Gelände an die Schoofs Immobilien GmbH - angeblich für knapp zehn Millionen Euro.

Gibt es eine neue Chance?

Seitdem wird weitergeplant, verändert und hinter den Kulissen wohl auch gefeilscht. Schoofs wollte beispielsweise eine Rad- und Fußgängerbrücke über die Weißeritz streichen. Die ist nun doch geplant, jedoch wurden Grünanlagen reduziert sowie Rad- und Fußwege zu Anlieferzonen umgeplant.

Die Stadträte können dem teilweise nur hilflos zusehen. Das muss man auch bei der Konservativen Mitte zugeben. "Das Hin und Her des aktuellen Investors Schoofs, das Infragestellen von Bestandteilen des Konzepts hat viel Vertrauen darin zerstört, dass dieses Projekt im Sinne der Stadt erfolgreich werden kann", gesteht Fraktions-Chef Jonas.

Bei der CDU befürchtet man noch etwas ganz anderes. "Trotz der Beteuerung, dass der Investor hart an der Fertigstellung arbeitet, habe ich den Eindruck gewonnen, dass Risikominimierung betrieben wird und der Stadt Aufwendungen aufgehalst werden sollen", sagt Jutta Ebert. Dennoch sei sie nicht enttäuscht, dass mit dem Bau noch nicht begonnen wurde. "Ich sehe es eher als Chance, nochmal gründlich nachzudenken."