Erinnerungen an eine Freitaler Legende

Mehrere Fotomappen liegen bereit und Hefter mit Zeitungsartikeln. Aber erst einmal macht Rosemarie Herrmann einen Tee, das Gespräch könnte nämlich etwas länger dauern. Es geht um das ehemalige Klubhaus der Edelstahlwerker, um die Stahlspritzer und überhaupt um so viele Geschichten, die mit dem Klubhaus zusammenhängen. Und mit dem Leben von Rosemarie Herrmann, die dort viele Jahre "das Mädchen für alles" war, wie sie selbst sagt.
Vor 75 Jahren ging der damalige Gasthof Deuben, als "Sächsischer Wolf" bekannt, zunächst an die Wismut. Die machte aus dem Haus, das neben dem Gasthof über mehrere Säle und Kegelbahnen verfügte, zunächst eine Verpflegungsstelle für die Freitaler Bergmänner.
1960 übernahm das Edelstahlwerk und suchte für das Haus alsbald eine Bürokraft. Herrmann, gelernte Industriekauffrau im Stahlwerk und bereits Mitglied im Volkskunstensemble des Betriebs, meldete sich. Fortan begleitete sie die Entwicklung des Hauses zu einem Zentrum in Freitals Kultur- und Freizeitszene und arbeitete sogar als Managerin der legendären Stahlspritzer.
Managerin der Stahlspritzer
Die Stahlspritzer wurden 1959 um Horst Kraut gegründet. Zunächst als Kabarett-Truppe gedacht, entwickelte man sich mit einem Mix aus Musik, Zauberei, Sketchen und Parodien schnell zu einem "Ensemble der heiteren Muse", so die Eigenwerbung. Leitspruch: "Auch der Humor ist eine Produktivkraft."
Die Stahlspritzer probten im Klubhaus, manchen Abend traten sie dort auch auf. Schnell machte das Ensemble über Freitals Stadtgrenzen hinaus Furore. Die bis zu acht Leute um Horst Kraut tourten bereits Mitte der 60er Jahre durch Sachsen, später durch die gesamte DDR. Als Sängerin Proft 1977 ausstieg, übernahm Rosemarie Herrmann den Schrift- und Buchungsverkehr der Stahlspritzer. Fortan war sie nicht nur Klubverwalterin, sondern auch die Managerin des Ensembles.

Doch auch andere gingen im Klubhaus der Edelstahlwerker ein und aus. Organisiert wurden Tanzabende und Diskotheken. Die gastronomische Versorgung des Publikums lief über die im Haus befindliche HO-Gaststätte. Es gab Betriebsveranstaltungen, Ausstellungen und Kulturabende für die Öffentlichkeit. In diversen Veranstaltungsreihen traten ab den 70er Jahren zunehmend prominente Künstler und Entertainer auf.
Rosemarie Herrmann greift zu einem Stapel Autogrammkarten: Schauspielerin Marianne Wünscher sind mit dabei, Sänger Gunther Emmerlich, Schauspieler Walter Plathe, die Sängerin Katja Epstein, der Schauspieler Armin Müller-Stahl. Es war sogar mal ein Team der beliebten Fernsehsendung "Außenseiter Spitzenreiter" für eine Aufführung im Haus. Die begehrten Unterschriften zu bekommen, war für Rosemarie Herrmann kein Problem. Sie war praktisch bis auf montags immer im Klubhaus, oft bis spät in die Nacht.
Buntes Freizeitangebot für fast jedes Hobby
Im Haus trafen sich auch viele Freizeitgruppen: zum Beispiel der Mal- und Zeichenzirkel, Schachspieler, Kegler, Philatelisten, mehrere Textilzirkel, diverse Tanzgruppen, Rezitatoren und Gesangssolisten, die Kegler, ein Fotografenzirkel. "Im Klubhaus gab es für viele Menschen eine sinnvolle Freizeitgestaltung."
Das Ende kam mit der Wende. Das Edelstahlwerk kämpfte gegen die drohende Pleite und konnte das Klubhaus nicht mehr halten. 1990 wurde es verkauft. Ein neuer Besitzer - Typ westdeutscher Glücksritter - kam. Viele der zuletzt 15 Mitarbeiter mussten gehen. Das Haus kam herunter. Rosemarie Herrmann gelang es noch, die Gästebücher und einige Fotos zu retten.
2010, da gehörte das Haus bereits der Stadt, kam der Abrissbagger. Das Gelände ist heute eine Brache, soll aber in naher Zukunft bebaut werden - als Teil des neuen Stadtzentrums.
Und die Stahlspritzer? Sie zogen ins Kulturhaus um, traten in wechselnden Besetzungen weiterhin auf, dann schon unter Krauts Sohn Harald Kraut. Einige ehemalige Stahlspritzer fanden auch nochmals zusammen und gaben als Stahlspritzer Oldies einige Vorstellungen. Zwischen beiden Gruppen kam es zu Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Nutzung des Namens.
Einige der Gründungsmitglieder waren zu dem Zeitpunkt bereits verstorben. 2012 war dann endgültig Schluss, die Stahlspritzer traten ein letztes Mal auf.