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Der französische General, der seine Beine in Nöthnitz verlor

In der Schlacht bei Dresden 1813 wurde der zu den Russen gewechselte General Jean-Victor Moreau schwerst verletzt. Der Weg eines Mannes - und der Erinnerung.

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Das Moreaudenkmal auf der Räcknitzhöhe in Dresden.  Beerdigt wurde der französische General in St. Petersburg.
Das Moreaudenkmal auf der Räcknitzhöhe in Dresden. Beerdigt wurde der französische General in St. Petersburg. © Matthias Schildbach

Von Matthias Schildbach

Die Schlacht bei Dresden 1813 ist heute kaum noch gegenwärtig, historisch wurde das Ereignis von der sechs Wochen später stattgefundenen Völkerschlacht bei Leipzig überschattet. Und doch gibt es einen Ort, der an das tragische Sterben eines Generals erinnert, stellvertretend für 25.000 weitere Opfer der Schlacht: das Moreaudenkmal auf der Südhöhe bei Dresden-Räcknitz. Jean-Victor Moreau war ein französischer General in russischen Diensten. Sein Begräbnis am 14. Oktober vor 210 Jahren im 1.800 Kilometer entfernten St. Petersburg gibt Anlass, sein erschütterndes Schicksal zu erzählen.

Vom Advokatensohn zum zweiten Mann Frankreichs

Geboren 1763 in der Bretagne, widmete er sich dem Studium der Rechtswissenschaften. Die Ereignisse der französischen Revolution 1789 machten ihn zum hochrangigen General, 1800 errang er in der Schlacht bei Hohenlinden (östlich von München) den Sieg über die Österreicher. 1804 wurde General Moreau wegen angeblicher Beteiligung an einem Komplott gegen Napoleon verbannt. Er ging nach Amerika, wo er sich auf einem Landgut in Pennsylvania niederließ. Im Frühjahr 1813 folgte er einer Einladung des russischen Kaisers Alexander, ihm im Kampf gegen Napoleon zur Seite zu stehen. Moreau landete am 26. Juli 1813 im schwedischen Göteborg. Zum Generaladjutant Alexanders ernannt, riet er von einem Angriff auf Dresden ab. Doch die Würfel waren bereits gefallen.

Nachdem ein Waffenstillstand zwischen den kriegführenden Parteien am 17. August 1813 endete, setzten sich in Nordböhmen die kombinierte österreichische, preußische und russische Armee mit über 200.000 Mann in Bewegung. Ihr Ziel: Dresden. Über alle Gebirgspässe, von Marienberg bis Hellendorf, strömten die Heermassen heran.

Eine französische Kanonenkugel trifft

Von Cotta, Friedrichstadt, über Zschertnitz und Reick bis hinüber nach Blasewitz zog sich am 28. August 1813 der Einschließungsring um Dresden. Aus der Oberlausitz wurde die französische Armee über die Augustusbrücke in die Stadt geführt, im Laufschritt kamen die völlig erschöpften Regimenter an und wurden sofort wieder aus den Stadttoren hinaus vor die Stadt dirigiert.

Auf der Räcknitzer Höhe hinter einer preußischen Kanonenstellung befand sich der Generalstab um den russischen Kaiser Alexander, der persönlich den Feldzug begleitete. Mit dabei: General Moreau, als engster Berater des Kaisers. Gerade empfahl Moreau, wegen der schlechten Sicht einige Meter vorzureiten, als eine neu aufgefahrene französische Batterie ihren ersten Schuss tat und das Geschoss inmitten der Feldherrengruppe einschlug. Der Historiker Hasse, der 1816 über Moreau publizierte, war zeitlich betrachtet ganz nah dran an den Ereignissen jener Tage: „Indem Moreau aber kaum eine halbe Pferdelänge Vorsprung hatte und dem Kaiser seine militärischen Beobachtungen mitteilte, zerschmetterte ihm eine […] abgeschossene Kugel das linke Bein am Knie, schlug durch sein Pferd, das unter ihm zusammenstürzte, und riss ihm ein Stück von der Wade des rechten Beines nahe unter dem Knie los. Tief stöhnend fiel Moreau in Ohnmacht. Sein Freund, der Oberst Rapatel, nahm ihn in seine Arme. Alexander eilte zu dem gefallenen und wendete sich zu dem General Hertel mit den Worten: Tun Sie, was möglich ist, um ihn zu retten.“ Dabei soll er zu Tränen gerührt gewesen sein. Moreau kam wieder zu sich, soll sich sofort nach dem Befinden des Kaisers erkundigt haben.

Die Evakuierung wird zur Tortur

Der General wurde eiligst aus der Gefechtszone gebracht. Österreichische Grenadiere oder Kosaken trugen ihn auf einer Bahre, die aus Piken notdürftig zusammengelegt wurde, hinter die heutige Südhöhe nach Pestitz ins Gehöft des Bauers Pahlisch, wo eine Verbandstube von den Russen eingerichtet war. Das Haus findet sich noch heute unter der Adresse Eigenheimstraße 1. Man verband Moreau hier nur notdürftig unter fortwährend einschlagenden Artilleriegeschossen und brachte ihn auf der unbequemen Trage weiter ins Schloss Nöthnitz, das Hauptquartier Kaiser Alexanders, wo man für ihn besser zu sorgen gedachte. Hier kam er gegen 4 Uhr nachmittags an. Gegen Abend amputierte der erste Wundarzt des russischen Kaisers, Doktor Wylie, ihm beide Beine. Moreau soll die Amputation standhaft und Zigarre rauchend ertragend haben. Hasse berichtet: „Die Umstehenden waren außer sich vor Schmerz, Moreau allein blieb standhaft und mit fester Stimme verwies er ihnen ihr unmännliches Benehmen.“

Inzwischen hatte sich der Schlachtverlauf zugunsten Napoleons gewendet, die verbündete Armee begann, den Rückzug einzuleiten. Während die Nachhut noch die Höhe bei Zschertnitz und Räcknitz hielt, zog das Gros der Truppen nach Süden in Richtung Dippoldiswalde nach Böhmen zu ab. Inmitten dieses Chaos befand sich der 40 Mann starke Trupp von Kroaten, der General Moreau evakuieren sollte. Noch am selben Abend wurde der frisch operierte Moreau im strömenden Regen bis Possendorf gebracht. Völlig durchnässt bereitete man ihm im Landhaus des Oberforstmeisters das Nachtlager. Während der Nacht zimmerten seine Soldaten ihm aus einem Wagenkasten einen Tragesessel, aber auch der schützte vor dem strömenden Regen nicht. Ab vier Uhr in der Frühe wurde Moreau nach Dippoldiswalde gebracht. Die Straßen dahin waren heillos verstopft, der Rückzug chaotisch, immer wieder mussten die Träger querfeldein laufen. Im Haus Herrengasse 22 (heute Optikergeschäft Mücklich) wurde ihm ein Quartier bereitet. Ärzte legten ihm hier den zweiten Verband an.

Am 29. August wurde die beschwerliche Reise übers Gebirge angetreten. Durch das Chaos der rückflutenden Truppen und über völlig zerstörte Wege, über 500 Höhenmeter hinauf und wieder hinunter, trugen die 40 Treuen General Moreau bis nach Dux (tschech. Duchcov). Die 40 Kilometer lange Strecke muss eine Tortur für den Verwundeten und seine Träger gewesen sein. Nachts gegen 11 Uhr nahm man ihm Verband ab und die Wundärzte hegten Hoffnung für eine Genesung. Den 30. kam Moreau in Laun (tschech. Louny) an. Das Spital sowie alle Hotels und Herbergen dienten als Lazarette. Völlig entkräftet erholte sich Moreau jedoch nicht mehr von den Strapazen, am 2. September 1813 starb er morgens gegen 7 Uhr.

Napoleon soll über den Tod seines einstigen Generals gejubelt haben. Im Generalstab der Alliierten nahm man das Ableben Moreaus ohne Wehmut zur Kenntnis, war doch mit ihm ein unbequemer, sich in alles einmischender Ratgeber weggefallen. Einzig der russische Kaiser Alexander und Moreaus Freunde im Generalstab beklagten den Verlust.

Sein Körper wurde einbalsamiert und nach St. Petersburg gebracht, wo er mit höchsten Ehren am 14. Oktober 1813 in der Katharinenkirche beigesetzt wurde. Die Grabstätte existiert noch heute, sie befindet sich jedoch in einem seit 1947 gesperrten Bereich der Kathedrale und ist in bedauerlichem Zustand. Seine abgetrennten Beine fand man beim Schloss Nöthnitz und stellte sie sicher; sie wurden später eingeäschert und anlässlich der Weihe des Moreaudenkmales, das der berühmte Gottlob Friedrich Thormeyer (1775-1842) entworfen hat, am 4. November 1814 auf der Räcknitzer Höhe unter dem Denkmal beigesetzt.

Der Blick von der Räcknitzhöhe hinunter zum Dresdner Stadtzentrum geht heute 			ausschließlich über bebautes Gebiet. Einst gab es hier noch große Acker- und 				Wiesenflächen, die im August 1813 zum Schlachtfeld wurde. In der Baumgruppe im Vordergrund befindet sich das Moreaudenkmal.
Der Blick von der Räcknitzhöhe hinunter zum Dresdner Stadtzentrum geht heute ausschließlich über bebautes Gebiet. Einst gab es hier noch große Acker- und Wiesenflächen, die im August 1813 zum Schlachtfeld wurde. In der Baumgruppe im Vordergrund befindet sich das Moreaudenkmal. © Matthias Schildbach
Der Moment der Verwundung General Moreaus.
Der Moment der Verwundung General Moreaus. © Repro: Matthias Schildbach
Die Schlacht bei Dresden am 27. August 1813.
Die Schlacht bei Dresden am 27. August 1813. © Repro: Matthias Schildbach

Das Denkmal wurde auf Veranlassung des russischen Zaren geschaffen, als Sachsen von einem russischen Generalgouverneur verwaltet wurde. Der sächsische König Friedrich August I. weilte seit der Völkerschlacht bei Leipzig in preußischer Kriegsgefangenschaft. Das Moreaudenkmal ist also von russischer Seite veranlasst; die franzosentreuen Sachsen hätten einem zu den Feinden Napoleons übergelaufenen französischen General niemals ein Denkmal errichtet. Noch oft, so berichteten Zeitzeugen aus den Folgejahrzehnten der Schlacht bei Dresden, hörte man am Moreaudenkmal das Wort „Verräter“.