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Mit der Junkers G24 durch die Nacht

Karl Walther aus Freital war als Flieger und Mechaniker der Lufthansa europaweit unterwegs – bis ihn ein Propeller traf.

Von Dorit Oehme
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Mit einer dreimotorigen, propellergetriebenen Maschine wie dieser ereignete sich der Flugunfall, bei dem Karl Walther tödlich verletzt wurde.
Mit einer dreimotorigen, propellergetriebenen Maschine wie dieser ereignete sich der Flugunfall, bei dem Karl Walther tödlich verletzt wurde. © Egbert Kamprath

Geburtstage leben von Überraschungen, der 100. der Stadt Freital allemal. Sein Leben lang hat Hans Walther, der Jahrgang 1937 ist, die Geschichte seines Onkels Karl gehütet. Sie ist spannend und tragisch zugleich: Der am 13. Juni 1900 im heutigen Freitaler Stadtteil Niederhäslich Geborene war einer der ersten Bordmonteure und Flieger der „Deutschen Luft Hansa AG“. Schon bevor sie am 6. April 1926 den Betrieb aufnahm, arbeitete er sich ein und bestand das Auswahlverfahren.

Karl Walther wohnte in Berlin-Tempelhof, wo die Lufthansa ihren Heimatflughafen hatte. Hervorgegangen war sie aus der Deutschen Aero Lloyd AG und der Junkers Luftverkehrs AG. Seinen Eltern und Geschwistern hatte Karl gleich im Januar 1926 davon berichtet. Er schrieb auch von den „Tausenden von verschiedenen Ersatzteilen“, die er bei tagelanger Inventur kennengelernt hatte. Im Freitaler Poisental betrieb Vater Ernst eine Schlosserei und ein Eisenwarengeschäft. „Karl sollte später alles übernehmen. Doch es kam anders. Nach spannenden Monaten der Luftfahrt erfuhren meine Großeltern kurz vor Weihnachten 1926 per Telegramm von seinem Tod“, sagt Hans Walther.

Hans Walther Freital mit einem Teil eines Propellers eines Junkers Flugzeugs.
Hans Walther Freital mit einem Teil eines Propellers eines Junkers Flugzeugs. © Egbert Kamprath

Der pensionierte Schlossermeister – der die Firma zum Metallbaubetrieb weiterentwickelt hat –hebt ein Propellerblatt aus Massivholz an und sagt: „Mein Onkel erhielt das Teil nach einem Flugunfall von der Lufthansa, weil er sich dabei so umsichtig um die Passagiere gekümmert hatte. Ein Propeller gleichen Typs traf ihn am 17. Dezember 1926 am Kopf. Es passierte beim Start einer dreimotorigen Junkers, die für neun Passagiere ausgelegt war, auf dem Flughafen Croydon bei London. Er schob gerade einen Propeller mit den Händen an, wie üblich. Da sprang der Motor zu früh an. Laut Protokoll konnte der Pilot den Motor nicht ausschalten.“ Vom Propeller erfasst, stürzte Karl nach hinten. Blutüberströmt und bewusstlos lag er da. Er wurde noch ins Krankenhaus gebracht, der herzugerufene Arzt stellte einen „schrecklichen Knochenbruch“ am Kopf fest – und keine halbe Stunde später den Tod. Der Pilot fliegt an diesem Vormittag planmäßig nach Amsterdam-Schiphol. Er hat den Flughafenmechaniker, der beim Start half, ins Cockpit gerufen.

Die Junkers-Großflugzeuge G 23 und G 24 boten neun Passagieren in bequemen Einzelsitzen Platz. Im Juni 1926 schreibt Karl (vorn im Bild), wie er eine werksneue Maschine in Empfang nimmt. Foto: Egbert Kamprath
Die Junkers-Großflugzeuge G 23 und G 24 boten neun Passagieren in bequemen Einzelsitzen Platz. Im Juni 1926 schreibt Karl (vorn im Bild), wie er eine werksneue Maschine in Empfang nimmt. Foto: Egbert Kamprath © Egbert Kamprath

Karls Vater habe alles untersuchen lassen, sagt Hans Walther und hält kurz inne. Dann öffnet er Karls Reisepass, der am 20. April 1926 ausgestellt wurde. Die Visa-Stempel zeigen, was er bis dahin erlebt hat. Er flog nach Dänemark, Schweden, Frankreich, Belgien und Großbritannien. Auch der Flugplatz Langfuhr in der Freien Stadt Danzig ist eingetragen. Die Lufthansa hatte sich zum Ziel gesetzt, ein internationales Passagierflugnetz zwischen allen europäischen Metropolen aufzubauen.

Mitgliedskarte vom Berufsverband für das Luftfahrtwesen: Schon am 1. Juni 1919 trat Karl Walther bei. Bis 31. März gehörte er zur Seeflieger-Abteilung der Marine.
Mitgliedskarte vom Berufsverband für das Luftfahrtwesen: Schon am 1. Juni 1919 trat Karl Walther bei. Bis 31. März gehörte er zur Seeflieger-Abteilung der Marine. © Privatarchiv: Hans Walther Foto: Repro: Dorit Oehm

Karl war Ende des 1. Weltkrieges bei der Seeflieger-Abteilung in Warnemünde als Flugmechaniker ausgebildet worden; in Kampfhandlungen war er nicht verwickelt. Zuvor hatte er bereits „sehr gute Kenntnisse im Automobilbau und im Bau von Verbrennungsmaschinen erworben“, geht aus einer Bescheinigung der Kieler Maschinenfabrik und Automobilcentrale H.C. Reimers hervor. Die junge Lufthansa bringt ihm nun Vertrauen entgegen: Im Juni 1926 berichtet Karl, dass er nach Dessau fahren werde, „um eine nagelneue Maschine abzunehmen und zu überwachen“.

Im Mai war die Leistungsbeschränkung für Zivilflugzeuge, die laut Versailler Vertrag in der Nachkriegszeit galt, weggefallen. Die Junkers Flugzeugwerk AG Dessau konnte nun das Passagierflugzeug G 24 herstellen; bis dahin wurde das Ganzmetall-„Großflugzeug“ als G 23 mit abgeschwächter Leistung meist von der schwedischen Tochterfirma auf den Stand der stärkeren G 24 gebracht. Zum größten Teil kamen sie mit ausländischer Zulassung zurück.

Der wohl letzte Brief an die Familie vom 10. Dezember: Karl schreibt nachdenklich aus Amsterdam-Schiphol von den Flügen über den Ärmelkanal nach London. Foto: Egbert Kamprath
Der wohl letzte Brief an die Familie vom 10. Dezember: Karl schreibt nachdenklich aus Amsterdam-Schiphol von den Flügen über den Ärmelkanal nach London. Foto: Egbert Kamprath © Egbert Kamprath

Mit einer Junkers G 24 eröffnete die Lufthansa am 1. Mai 1926 auf der Strecke Berlin -Königsberg den weltweit ersten Linienflugverkehr mit Passagieren bei Nacht. Kurz darauf schreibt Karl: „Übrigens habe ich am Sonnabend Flugdienste, und zwar Berlin-Königsberg, wo ich auch gestern war. Dies wird jedenfalls meine feste Strecke. Nachts um 2 Uhr verlassen wir mit der dreimotorigen Junkers Großflugzeug Berlin, landen in Danzig zwischen und treffen morgens 7 Uhr in Königsberg ein ...“ Die ganze Welt beobachte ihre Nachtfliegerei, schiebt er nach.

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Am 14. Dezember 1926 wurde Karl Walthers Visum für Großbritannien um ein Jahr verlängert. Drei Tage später er tödlich bei London.
Am 14. Dezember 1926 wurde Karl Walthers Visum für Großbritannien um ein Jahr verlängert. Drei Tage später er tödlich bei London. © Privatarchiv: Hans Walther Foto: Repro: Dorit Oehm

Bei Karls erstem Flug nach Königsberg, dem heutigen Kaliningrad, musste die Maschine gut 100 Kilometer vor Danzig auf dem Flughafen Stolp (Polnisch: Słupsk) zwischenlanden. Das Wasser hatte in einem der drei Motoren gekocht, er setzte aus. Eine Schwestermaschine brachte die Passagiere ans Ziel. Abends habe Karl auch um Schutz für die Arbeit am nächsten Tag gebetet, sagt Hans Walther. Er breitet Fotos aus. Ein frühes Bild zeigt Karl mit Fliegermontur und Lederkappe. Auch eine Bruchlandung am Ende einer Baumallee ist zu sehen. „Von dem Flugunfall stammt das Propellerblatt hier.“

Im August 1926 schildert Karl „einen herrlichen Flug“ über die Nordsee bei Sonnenuntergang. In seinem wohl letzten Brief vom 10. Dezember schreibt er vorm Abflug in Amsterdam-Schiphol Richtung London: „Angst gibt es ja für uns nicht...“ Nachdenklich offenbart er aber: „So ist es doch nicht so einfach bei schlechtem Wetter mit einer Landmaschine über dem Kanal zu kutschen. Zumal ich dauernd fremde Piloten für unsere Junkers Großmaschine einrichte...“

Ankunft nach der letzten Reise per Schiff und Bahn: Der verstorbene Karl Walther wurde in einem Sarg, der mit einer Bleischicht ausgekleidet war, von London nach Freital-Deuben überführt.
Ankunft nach der letzten Reise per Schiff und Bahn: Der verstorbene Karl Walther wurde in einem Sarg, der mit einer Bleischicht ausgekleidet war, von London nach Freital-Deuben überführt. © Egbert Kamprath

Sieben Tage später ereignet sich das Unglück auf dem Flughafen Croydon. Der 26-jährige Karl stirbt im Purley Memorial Hospital. Von London aus wird sein Leichnam auf dem Seeweg und mit der Eisenbahn nach Freital-Deuben überführt. Seine Mutter möchte ihn in der Heimat unbedingt noch einmal sehen, was kompliziert ist. Denn der Sarg ist mit einer Bleischicht ausgekleidet. Doch ihr Wunsch wird erfüllt, bevor Karl am 27. Dezember auf dem Deubener Johannisfriedhof beigesetzt wird. Die Deutsche Luft Hansa AG ehrt ihn in ihrem Nachruf als Vorbild, die Anzeige erscheint in der Berliner und Dresdner Presse. An der fertiggestellten Grabanlage findet dann in der warmen Jahreszeit des Jahres 1927 eine große Trauerfeier für Karl Walther statt.