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So kamen sibirische Olive und Kiwibaum nach Dipps

Nach Kriegsende und in der DDR halfen Kleingärten gegen Nahrungsmittelmangel. In der Coronazeit gegen die Isolation. Eine 77-jährige Geschichte aus Dipps.

Von Beate Erler
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Der Freitaler Jürgen Wutzler hat eine der ersten Parzellen aus dem Jahr 1946 in Dippoldiswalde gepachtet und bis heute dort Wurzeln geschlagen.
Der Freitaler Jürgen Wutzler hat eine der ersten Parzellen aus dem Jahr 1946 in Dippoldiswalde gepachtet und bis heute dort Wurzeln geschlagen. © Egbert Kamprath

Schon als Kind mochte Jürgen Wutzler die Erdbeere am liebsten. Als seine Eltern im Jahr 1967 einen Kleingarten im Gartenverein „Neue Zeit“ in Dippoldiswalde pachteten, war er 13 Jahre alt. „Ich habe mich gefreut, denn so konnte ich Erdbeeren naschen“, sagt Jürgen Wutzler heute. Relativ schnell will er sein eigenes kleines Beet. Dafür baut er sich ein Frühbeet aus einem Kastenfenster und Glas. Und natürlich entscheidet er sich für Erdbeeren. „Es sind schöne große Früchte geworden“, erinnert er sich.

Auch über ein halbes Jahrhundert später ist er noch mit dem Kleingarten verwachsen und sogar der stellvertretende Vorsitzende und Fachberater im Gartenverein. Der wurde am ersten April 1946 unter dem Namen „Gartengemeinschaft Dippoldiswalde Süd II“ gegründet. Damals mit gerade einmal drei Parzellen, die aber schnell mehr wurden. Im Jahr 1966 wurde der Verein umbenannt und trägt seitdem den Namen „Neue Zeit“. Ein Jahr später übernahmen seine Eltern eine der drei ersten Parzellen aus dem Jahr 1946. Am unteren Eingangstor ist die Nummer drei gleich die erste Parzelle links.

Anfang April ist die Natur noch nicht ganz erwacht und auch der Gartenverein schläft noch. Trotzdem zeigt Jürgen Wutzler auf einige Besonderheiten. Er hat zum Beispiel einen Kiwibaum, der in Dippoldiswalder Gefilden etwa ab dem zehnten Jahr Früchte trägt. Noch zwei Jahre muss er sich gedulden. Weiter hinten steht eine sibirische Olive. Und auch Riesentomaten pflanzt er an. „Die wiegen pro Frucht ein Kilo“, sagt Jürgen Wutzler, der in Freital lebt.

Kleingärten versorgten Bevölkerung

Was er hier nicht mehr anbaut, sind Kartoffeln. Sie waren im Gründungsjahr 1946 das meist angebaute Grundnahrungsmittel in den Kleingärten. Die Versorgungslage war schlecht und es mangelte vor allem an Nahrungsmitteln. Deshalb wurde jeder Quadratzentimeter in den Gartenanlagen bewirtschaftet, man hielt sich Hühner und Kaninchen. Die Not war teilweise so groß, dass die Kleingärtner am Tag und in der Nacht, aus Angst vor Plünderungen, Wache halten mussten.

Diese Zeit hat Jürgen Wutzler nicht erlebt, aber er kennt all die Geschichten. Bis etwa 1950 wurden die Kleingärten vor allem zum Anbau von Kartoffeln und Wurzelgemüse genutzt. „Damit wollte man den Speiseplan zu Hause etwas auffüllen“, sagt der 68-Jährige. Ab den 1950er-Jahren kamen dann Obstbäume dazu und später wurden die Gärten weiter umgestaltet und man pflanzte auch Blumen an. Und so ist es bis heute geblieben, sagt er. Ein Drittel für Obst und Gemüse und der Rest für die Laube und Blümchen.


Auch zu DDR-Zeiten halfen die Kleingärten, den Speiseplan vielfältiger zu gestalten. Seine Eltern wollten vor allem frisches Obst und Gemüse anbauen. In den Märkten der Handelsorganisation HO gab es zwei Apfelsorten, Möhren, Weißkraut und Porree, erinnert sich Jürgen Wutzler. In ihrer Parzelle war das Angebot größer: Kartoffeln, Tomaten, Paprika, Rote Beete, Birnen und Kirschen. Der Überschuss wurde von den HO-Geschäften abgekauft. „Das Geld verwendeten wir für den Anbau im neuen Jahr, denn gute Samen waren teuer.“

Große Nachfrage in der Corona-Pandemie

Auch damals hat man sich um die Parzellen gerissen, sagt Jürgen Wutzler, der als selbstständiger Porzellanmaler arbeitet. Jeden Tag war die Familie nach Arbeit und Schule im Kleingarten. Im Jahr 1992 übernahm er dann die Pacht, da die Eltern zu alt waren, um sich noch um die Sparte zu kümmern. Mit 49 Parzellen und 79 Mitgliedern ist der Gartenverein „Neue Zeit“ eher klein. Aber der Kleingartentrend hält an. Im Kleingartenbund Weißeritzkreis gibt es 174 Kleingartenvereine mit 6.000 Kleingärten. In Dippoldiswalde sind es 28 und in Feital 78 Vereine.

Zuletzt war die Nachfrage in der Corona-Pandemie sehr hoch. „Schon im ersten Jahr bekam ich täglich Anrufe und E-Mails, ob es freie Parzellen gibt“, sagt der stellvertretende Vereinsvorsitzende. Sogar eine Warteliste musste angelegt werden. Seitdem hat sich der Verein auch verjüngt. Vor allem junge Leute zwischen 30 und 35 Jahren und Familien haben damals angefragt. „In der Zeit haben wir neun Parzellen neu vergeben.“ Der Großteil der Kleingärtner im Verein kommt übrigens aus Dresden und nicht aus Dippoldiswalde.

Wenn die Saison so richtig startet, wird Jürgen Wutzler mit seiner Frau Elfie wieder alle zwei Tage und jedes Wochenende in der Parzelle Nummer drei sein. Eine Kakteensammlung aus Jugendtagen hat die Jahrzehnte überstanden. Zu DDR-Zeiten, als das Reisen nicht möglich war, hatte er besonderes Interesse an den fremdländischen Gewächsen, sagt er. Heute bringen sie von ihren Reisen besondere Samen aus jedem Land für den heimischen Garten mit.