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Frisch gezapfte Landmilch

Familie Neumann betreibt in Girbigsdorf eine Tankstelle für Milch. Ist das auch eine Option für Niesky und Umgebung?

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© André Schulze

Von Anja Gail und Steffen Gerhardt

Girbigsdorf. Einen Euro in den Automaten gesteckt, die Flasche unter den Zapfhahn gehalten und noch ein Knopfdruck. Schon läuft die Milch. Auf dem Display zeigt es Geldverbrauch und Füllmenge an. So schnell geht’s: Nach wenigen Sekunden ist die Literflasche voll und Kerstin Neumann freut sich, dass alles funktioniert. Seit gut einer Woche hat die Bäuerin den Milchautomaten auf dem Hof in Girbigsdorf stehen. Die Anschaffung ist die Antwort des Familienbetriebes auf die Entwicklungen in den vergangenen Monaten. Man muss in der Krise investieren. Dieser Satz eines Bankers klingt ihr noch in den Ohren. Ist damit Girbigsdorf ein Beispiel, das Schule machen sollte? Wo doch jetzt viele Agrarbetriebe auf der Suche nach Rezepten gegen die Milchkrise sind?

Milch aus dem Automaten abgezapft. Kerstin Neumann aus Girbigsdorf hat gerade die Probe aufs Exempel gemacht. Die Milchtankstelle steht auf dem Bauernhof im Aueweg 23. in einem „Kuhcontainer“.
Milch aus dem Automaten abgezapft. Kerstin Neumann aus Girbigsdorf hat gerade die Probe aufs Exempel gemacht. Die Milchtankstelle steht auf dem Bauernhof im Aueweg 23. in einem „Kuhcontainer“. © Pawel Sosnowski/80studio.net

Die Milch vom Hof zu verkaufen ist für die Agrargenossenschaft Nieder Seifersdorf kein Thema. Vorstand Hans-Günter Schleuder nennt den zu kleinen Kundenkreis im Umfeld als einen Grund. Ein weiterer sind die Investitionen. „Wir müssten uns dafür die entsprechende Technik anschaffen und auch Personal zur Verfügung stellen. Das lohnt den Aufwand nicht, wenn am Ende nur wenige Liter Milch verkauft werden“, argumentiert Schleuder. Über 10 000 Liter geben die derzeit 420 Kühe täglich. Die Milch geht direkt in das Werk von Sachsenmilch nach Leppersdorf. Ihre Produktion haben die Nieder Seifersdorfer aber etwas gedrosselt. Sie geben jetzt drei bis vier Prozent weniger Milch ab, sagt Hans-Günter Schleuder. Damit beteiligt sich die Genossenschaft an der Einsparprämie der Europäischen Union für weniger abgegebene Milch. „Am Ende hilft uns das auch nicht viel“, so Schleuder. Die drei Cent, die es zum Milchpreis zusätzlich gibt, machen am Tag rund 100 Euro aus.

Die gleichen Argumente führt auch Norbert Jensch als Geschäftsführer der Jänkendorfer Agrar-Gesellschaft an. Eine Milchtankstelle lohne sich mehr in Städten, wo das Käuferpotenzial vorhanden ist. Auch für ihn stehen die Kosten der Anschaffung in keinem Verhältnis zum späteren Ertrag. Also werden auch hier die 7 500 Liter Milch Tagesproduktion weiterhin nach Leppersdorf gefahren.

Das macht auch die Familie Neumann. 1400 Liter am Tag geben die 55 Milchkühe. Die größte Menge davon holt das Milchwerk aus Leppersdorf täglich in Girbigsdorf ab. Aber frisch gemolkene Milch verkaufen Neumanns, solange sie den Hof betreiben. Ein Vierteljahrhundert. Auch andere Landwirte im Landkreis handhaben das so und verkaufen Milch nach Bedarf an Interessenten. Meist sind das aber Kleinbetriebe oder Bio-Höfe wie der Lindenhof in Pfaffendorf. Dort stehen nur 30 Kühe im Stall.

Die Selbstvermarktung ist bei kleinen Einheiten leichter zu handhaben. Davon ist Gerd Wenzel überzeugt. Der Vorsitzende der Agrargenossenschaft Daubitz hat rund 280 Kühe in den Ställen stehen. 10 000 Liter Milch verlassen täglich die Genossenschaft. Nur ein Bruchteil davon fände in Daubitz seine Abnehmer. „Das ist für uns nicht effektiv, zumal wir einen Laden einrichten und mit Personal ausstatten müssten“, sagt Wenzel. Auch wenn es nur ein Automat ist, muss dieser täglich befüllt und gesäubert werden. Um diese Arbeiten kommt auch Kerstin Neumann nicht umhin. Die Milch wird nach dem Melken filtriert und gekühlt und dann in den Automaten gefüllt. 150 Liter passen in den Tank bei Neumanns. Auch der Automat besitzt eine Kühlung und ein Rührwerk. Der Behälter muss täglich gewechselt und gereinigt werden. Dazu kommt die Genehmigung der Behörden, unbehandelte frische Milch direkt vom Hof verkaufen zu dürfen. Diese besitzt das kleine Unternehmen.

Einer der ersten Behördengänge führte Kerstin Neumann dennoch direkt zum Veterinäramt, das den Milchverkauf vom Hof auch überwacht. Im Internet fand die Girbigsdorferin einen passenden Anbieter. Acht Wochen Lieferzeit, dann war die Milchtankstelle da. „In den Altbundesländern, in Österreich und der Schweiz, wo es viel mehr Bauernhöfe und kleingliedrige Landwirtschaftsbetriebe gibt, sind solche Automaten gang und gäbe“, hat die Betreiberin gelesen. Sie sind als Selbstvermarktung der eigenen Produkte ein weiteres Standbein und Alternative zum Hofladen.

Den Weg, landwirtschaftliche Produkte im eigenen Hofladen anzubieten, den geht Familie Ladusch in Kreba-Neudorf schon lange. Auch wenn sie keine Milch produzieren, verkaufen sie diese vom Bio-Bauern. „Das findet bei unseren Kunden Zustimmung. Gern würden wir mehr verkaufen, wenn mehr Milch geliefert werden könnte“, sagt Ramona Ladusch. Ein Beweis, dass der Verkauf vom Hof funktionieren kann.

Darauf setzt auch Kerstin Neumann. An einer anderen Milchtankstelle hat sie sich das alles vorher angesehen. So viele Betreiber gibt es aber noch gar nicht. Ein Familienbetrieb in Großschönau und die Agrargenossenschaft Gnaschwitz bei Bautzen sind zwei Anbieter in der Oberlausitz. In einem herstellerunabhängigen Verzeichnis für Milchautomaten und Direktvermarkter werden deutschlandweit 280 Standorte gelistet. 22 Adressen findet man in Sachsen mit Stand Ende September auf Facebook.

Die Milchkunden von Neumanns hatten bereits jeden Tag auf den Start der Milchtankstelle gewartet. Für sie ändert sich nur, dass sie die melkfrische Milch am Hahn zapfen. Der Wunsch, sich wieder von mehr ursprünglichen Lebensmitteln zu ernähren und diese direkt beim Erzeuger zu kaufen, entspricht einem Trend, den auch die Verbraucherzentrale bestätigt. Wichtig ist bei der Rohmilch das Abkochen. Diesen Hinweis haben Neumanns an der Milchtankstelle gut sichtbar mit der Anleitung angebracht. Wer sich Flaschen oder Kannen selbst mitbringt, muss dabei darauf achten, dass die Gefäße immer gründlich gereinigt sind. Leere Flaschen gibt es auf dem Bauernhof zu kaufen.