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Für Zuspätkommer haben die Russen viel Verständnis

Für Pünktlichkeit ist das Leben viel zu unwägbar. Selbst Premier Putin ist ein notorischer Zuspätkommer.

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Von Ulrich Heyden

Wer als Deutscher in Russland zu spät kommt, bekommt schon mal zu hören, „Du hast wohl die deutschen Sitten vergessen?“ Oder: „Bist wohl schon russifiziert?“ Ausländer sind immer Anlass von Späßen.

Dabei muss man wissen: Zuspätkommen ist in Russland keine Sünde. Und niemand macht deshalb einen Aufstand. Selbst Putin ist ein notorischer Zuspätkommer. Der Grund ist einfach: Im realen russischen Leben gibt es so viele Überraschungen und Unvorhergesehenes, dass Verspätungen oft unvermeidlich sind, vor allem in den größeren Städten, die zur Rushhour ständig in Verkehrsstaus stecken.

Auch plötzliche Veränderungen im Privatleben machen ständig Zeit-Korrekturen nötig. Da muss eine Oma schnell ins Krankenhaus gebracht werden. Oder da muss noch schnell das Kind von der Schule abgeholt werden, weil eine Unterrichtsstunde ausgefallen ist. Doch wer zu spät kommt, beruhigt den Wartenden heutzutage mit einer SMS. Immerhin.

Eine Verabredung in Moskau läuft etwa so: Man ruft zwei, drei Tage vorher an und macht einen Termin aus. Weil aber eben auf beiden Seiten immer noch viel Unvorhergesehenes dazwischen kommen kann, ruft man ein paar Stunden vor dem Treffen zur Sicherheit nochmal an und erklärt, dass nun wirklich alles klappt.

Für das notorische Zuspätkommen gibt es aber noch einen wichtigeren Grund. Die Russen sind nicht so diszipliniert wie die Deutschen. Bei Bauvorhaben etwa werden zwar Zeitpläne aufgestellt. Doch meist werden die angegebenen Fristen in keiner Weise eingehalten. Bei wichtigen Objekten werden dann kurz vor der geplanten Übergabe meist schnell noch mal alle Kräfte mobilisiert. Dann wird oft Übermenschliches geleistet, sodass das Bauprojekt wie vereinbart übergeben werden kann.

Es gibt in Russland aber auch das andere Extrem: Die Superpünktlichen. Allerdings sind damit weniger die Mitbürger gemeint. Zu diesen Superpünktlichen gehören die Moskauer Metro-Züge, die in der Rushhour alle 35 Sekunden verkehren. Auch die Fernzüge starten auf die Minute genau. Und auch die Pressekonferenzen in Moskau beginnen mit nicht mehr als zwei Minuten Verspätung.

Trotz der eher lockeren Einstellung beim Zuspätkommen tickt die innere Uhr bei den Russen unerbittlich. Wer mit Russen in der Silvesterzeit anderswo Urlaub macht, etwa im ägyptischen Badeort Sharm el Sheikh, muss sich darauf einstellen, dass der Schampus schon eine Stunde eher fließt, eben zur „Moskauer Zeit“. Auch in der Fremde bleiben die Russen halt ihren heimischen Sitten treu.