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Gammelfleischskandal bei der Tafel?

Noch brauchbare Ware soll verdorben sein, weil sie nicht rechtzeitig verteilt wurde. Die Verantwortlichen widersprechen.

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© René Meinig

Von Christoph Springer

Bratenfleisch und Jagdwurst, Salami und Schinken liegen abgepackt in einer großen Kiste, randvoll ist der Plastikbehälter. Die Ware ist Abfall, nicht mehr zu gebrauchen, auch nicht für die Dresdner Tafel. Ein Foto der Kiste hat große Aufregung ausgelöst. Es erschien am Mittwoch unter anderem auf der Facebook-Seite der Tafel-Kritikerin Barbara Lässig. Das sei ein „Irrsinn“, kommentiert sie das Bild und moniert die Arbeit der Einrichtung. Der Tenor: Die Verantwortlichen haben Fleisch und Wurst lieber vergammeln lassen als die Ware „im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung und gegen Armut“ an Bedürftige zu verteilen. Ein Skandal, toben seitdem ihre Unterstützer bei Facebook und greifen die Tafel-Verantwortlichen an.

Andreas Schönherr, Chef der Tafel, ließ die Diskussion zunächst laufen. Auch als ein Internetnutzer feststellte, im Gegenteil zu dem Fleisch sei Schönherr „wohl leider nicht für die Entsorgung vorgesehen“, blieb er still. „Ich muss mehr aushalten als andere“, stellt der Vereinsvorsitzende zu solchen Kommentaren fest. Doch zum vermeintlichen Gammelfleischskandal äußerte er sich dann doch. Es handele sich um Fleisch- und Wurstwaren, bei denen die zwischen Tafel und Lebensmittelüberwachung abgestimmte Überziehungszeit des Mindeshaltbarkeitsdatum abgelaufen war, schreibt er bei Facebook. Solche Waren darf die Tafel als Tierfutter abgeben. „Das betrifft aber nur Lebensmittelabfälle ohne tierische Bestandteile.“ Backwaren und Gemüse dürfen also verfüttert werden, Fleisch und Wurst nicht. „Das lassen wir durch die Firma Refood entsorgen, und diese betreibt Biogasanlagen mit Gewinnung von Düngemitteln.“

Das Problem nahm Schönherr zufolge bei der Abholung der Ware seinen Anfang. Die Tafel-Fahrer holen die Lebensmittel kistenweise zu vorgegebenen Zeiten bei den Spendern ab. Anschließend wird nach einem mit den Lebensmittelüberwachern abgesprochenen System nach Haltbarkeitsdauer sortiert. Dabei taucht immer wieder auch Ware auf, deren schon verlängertes Verbrauchsdatum fast überschritten ist. Finden sich dafür nicht rechtzeitig Abnehmer, müssen die Lebensmittel weggeworfen werden. Das Foto entstand, als sich eine Mitarbeiterin der Tafel bereiterklärte, eine Kiste mit unbrauchbarer Ware aus einem Kühlraum zur Refood-Tonne zu bringen und dort zu leeren. „Sie hat die Kiste dann fotografiert. Dabei wurde sie beobachtet“, sagt Schönherr. Dass das Bild später von Tafel-Kritikern bei Facebook veröffentlicht wird, habe niemand erwartet. Inzwischen musste die Frau ihren Hut nehmen. Das hätten Mitglieder und Mitarbeiter der Tafel am Donnerstagabend entschieden, so Schönherr. Wie mehrere andere Mitglieder des Vereins soll sie demnächst einen Brief bekommen. Darin steht, dass sie wegen vereinsschädigenden Verhaltens ausgeschlossen wird, kündigte Schönherr an. „Dagegen kann Einspruch eingelegt werden, dann muss sie sich bei einer Mitgliederversammlung verteidigen“, erklärt er das weitere Prozedere. „Das letzte Wort hat schließlich die Mitgliederversammlung.“

Dort würde auch Barbara Lässig gern mitreden. Die Ex-Stadträtin hat am 11. November 2016 einen Aufnahmeantrag gestellt, wurde aber vom Tafel-Vorstand ohne Begründung abgelehnt. Inzwischen ist aus den Meinungsverschiedenheiten zwischen Lässig und Schönherr ein handfester Streit geworden. Die Chefin einer Werbeagentur nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Sie nennt den Tafel-Chef öffentlich einen „kleinkriminellen Sektenführer“. Jemand, der sich wie Schönherr selbst Kredite und Darlehen ohne Zinsen zukommen lasse, sei kleinkriminell, sagt Lässig. Und die Tafel funktioniere wie eine Sekte, schimpft sie weiter. „Das sind Gehirnwäschen, die dort ablaufen.“ Belege hat sie allerdings nicht für ihre Kritik. „Das kann ich alles nicht beweisen, aber das sind meine Empfindungen, deswegen schreibe ich das so“, rechtfertigt sich die Ex-Stadträtin. „Ich fordere Herrn Schönherr heraus, soll er mich doch verklagen.“

Ihre Empfindungen lösen bei Facebook große Resonanz aus. Ein Ex-Tafel-Mitarbeiter nennt die Fleisch- und Wurstentsorgung „eine Schweinerei sondergleichen“. Als Edith Franke noch die Tafel geführt hat, sei den Bedürftigen Weihnachten mit Sonderabgaben ein reichlich gedeckter Tisch beschert worden. „Moral und Ethik werden hier gleichermaßen mit in die Tonne geschmissen“, stellt er fest.

Das lässt Schönherr nicht auf sich sitzen. „Weil wir sehr viel mehr Ware über Weihnachten und Silvester haben, hatten wir uns entschieden, ab Heiligabend eine Sonderpauschale einzuführen“, sagt der Tafel-Chef. Für einen kleinen Warenkorb seien deshalb derzeit nur fünf Euro zu zahlen, für einen großen 10 Euro. „Wir verschenken nichts, wir verzichten aber auf Einnahmen.“