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„Gebrochene Hüftgelenke haben wir hier täglich“

Besonders Hochbetagte sind gefährdet. Oberarzt Mirko Kothe spricht über Ursachen, Heilungschancen und Vorbeugung.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Tobias Winzer

Herr Dr. Kothe, es ist Winter – die klassische Zeit für Knochenbrüche also. Aber es gibt kaum Eis oder Schnee. Heißt das, dass Sie als Unfallchirurg derzeit nicht viel zu tun haben?

Nein, wir haben immer zu tun, bei uns gibt es kaum die klassische Saison. Ist es draußen glatt, kommen verstärkt Patienten mit Handgelenksbrüchen, das stimmt. Aber auch in den anderen Wochen im Jahr behandeln wir hier sehr viele Menschen mit Frakturen, ganz oft im Hüft- und Schulterbereich.

Ist das eine Problemzone des Menschen?

Es ist eine typische Verletzung bei betagten Menschen. Im hohen Alter wird man, um es vereinfacht auszudrücken, etwas wackelig auf den Beinen. Die Ursachen sind vielfältig. Oft leiden alte Menschen an mehreren Krankheiten gleichzeitig wie Bluthochdruck, Diabetes, Herzprobleme. Was auch immer, sie müssen nicht selten Medikamente nehmen. Durch Nebenwirkungen wie Schwindelgefühl und Blutdruckschwankungen, aber auch infolge von schlechterem Sehen und Hören nimmt die Gefahr eines Sturzes extrem zu. Und wer in dem Alter stürzt, hat kaum eine Chance. Nicht selten bricht der Knochen. Besonders häufig trifft es dann das Schulter- oder Hüftgelenk, vor allem bei Frauen.

Warum das?

Durch die Wechseljahre bedingt, leiden viele Frauen an Osteoporose, also Knochenschwund. Das kann man gar nicht verhindern, sondern nur durch eine gesunde, kalziumhaltige Ernährung etwas eindämmen. Im Alter erleiden diese Menschen bei Stürzen nicht selten Knochenbrüche.

Nach dem Sturz kommen die Patienten oft ins Krankenhaus. Wie geht es dann weiter?

Reden wir zuerst über die Hüfte. Bricht der Knochen unmittelbar am Oberschenkelkopf – das ist das obere Ende des Oberschenkelknochens, der im Hüftgelenk endet – spricht man vom gebrochenen Oberschenkelhals. Dann hilft nur eine Operation, bei der ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt wird. Die Operation ist Routine, dauert etwa eine Stunde, anschließend bleibt der Patient je nach körperlicher Verfassung und Heilungsprozess sieben bis zehn Tage in der Klinik. Dabei kann er schon einen Tag nach der Operation mit dem Laufenlernen wieder beginnen. Bewegung ist äußerst wichtig, um wieder auf die Beine zu kommen und den Zustand von vor der Operation zu erreichen. Das trifft auch dann zu, wenn wir zwar kein neues Gelenk einsetzen, aber aufgrund eines Bruchs des Oberschenkels einen Nagel einbringen müssen.

Ihre Patienten sind meistens älter, häufig sehr gebrechlich – wie wahrscheinlich ist es, dass sie überhaupt wieder fit werden?

Wenn Sie nicht schon vor dem Unfall ein schwerer Pflegefall waren, stehen die Chancen gar nicht so schlecht. Mit der Operation und einer entsprechenden Rehamaßnahme kommen die meisten wieder auf die Beine. Besser als vor dem Unfall wird der körperliche Zustand aber nicht. Der Sturz, der zum Knochenbruch führt, ist nicht selten Ausdruck des schlechter werdenden körperlichen Zustandes.

Neben dem Hüftgelenk ist das Schultergelenk häufig betroffen. Was bedeutet das für ihre Patienten?

Für die Betroffenen sind beide Unfälle einschneidend, für uns ist es Routine. Beim Schultergelenk gibt es je nach Form und Lage des Bruchs die Möglichkeit, die Verletzung ohne Operation zu behandeln. Der Arm wird mittels einer Bandage ruhiggestellt, bis der Bruch verheilt ist. Bricht der Knochen so, dass der Bruch stark verschoben ist, hilft nur ein Eingriff. Auch hier verwenden wir Nägel, gelegentlich auch Platten oder künstliche Schultergelenke.

Geht das Leben danach normal weiter?

So einfach ist das nicht. Der Arm kommt in eine Bandage und darf zunächst nicht belastet werden. Erlaubt sind nur einfache Bewegungsübungen, aber beispielsweise kein Heben von schweren Gegenständen. Nach sechs bis acht Wochen ist die Verletzung normalerweise ausgestanden.

Was kann man vorbeugend tun, um solche Verletzungen zu verhindern?

Auf jeden Fall sollte man im Haushalt von betagten Personen Stolperstellen aus dem Weg räumen. Ich denke da an Türschwellen, Teppichkanten und Kabel. Sind alte Menschen in einer fremden Umgebung, sollte man sie möglichst begleiten und Halt anbieten. Sie glauben gar nicht, wie viele Stürze passieren, wenn Hochbetagte von ihren Kindern oder Enkeln auf Besuch aus dem Pflegeheim nach Hause geholt werden und plötzlich in einer anderen Umgebung sind. Gerade in der Weihnachtszeit werden bei uns viele Patienten mit Schulter- oder Hüftgelenksbrüchen eingeliefert.

Immer mehr Menschen werden immer älter. Heißt das, dass es immer mehr Patienten mit solchen Verletzungen in Kliniken landen?

Ja, das beobachten wir jetzt schon und das wird tendenziell noch zunehmen. Das ist natürlich auch eine Herausforderung für die Gesellschaft, weil die Krankenhausaufenthalte und Rehamaßnahmen viel Geld kosten.

Das Interview führte Annett Heyse.