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Gelähmt und doch frei

Seit einem Motorradunfall sitzt Christian Vogt im Rollstuhl. Durch modernste Technik kann er wieder gehen.

Von Juliane Richter
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An beiden Beinen trägt Christian Vogt eine hochmoderne Orthese. Gemeinsam mit Physiotherapeutin Claudia Buro trainiert er die neuen Bewegungsabläufe.
An beiden Beinen trägt Christian Vogt eine hochmoderne Orthese. Gemeinsam mit Physiotherapeutin Claudia Buro trainiert er die neuen Bewegungsabläufe. © Christian Juppe

Die Liste der Dinge, auf die Christian Vogt verzichten muss, wird wieder kürzer. Nun kann sich der 38-Jährige allein ein Glas aus dem Hängeschrank in der Küche nehmen, die Treppe hinuntergehen, mit Rollator oder Krücken mehrere Hundert Meter zurücklegen. Er selbst war schon lange davon überzeugt, eines Tages wieder laufen zu können. „Deshalb habe ich mein Haus auch nicht komplett behindertengerecht gebaut“, sagt er mit einem zufriedenen Lächeln.

An den Unfall vor acht Jahren bei einem Motocross-Rennen kann er sich noch erinnern – seitdem ist er vom ersten Lendenwirbel an abwärts gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Eigentlich. Denn seinen Blick hat er schnell wieder auf die Zukunft ausgerichtet. Ein unglaublich starker Wille treibt ihn an und hat die Mitarbeiter der Orthopädie- und Rehatechnik Dresden davon überzeugt, ihn für ein besonderes Projekt auszuwählen. Die Firma ist eines von acht deutschen Unternehmen, das eine neue Art computergestützter Orthesen herstellt und anpasst. Diese reichen vom Knöchel bis zum Oberschenkel und sollen den gelähmten Kunden einen deutlich besseren Bewegungsablauf ermöglichen. Christian Vogt durfte sie testen, dadurch mitentwickeln und nun tragen. Aber wie geht das bei einem komplett Querschnittgelähmten? „Christian kann die Füße nicht bewegen und die Knie nicht aktiv strecken. In der Hüfte ist aber noch eine Restfunktion“, sagt Orthopädietechniker Markus Buro. Die Orthese stützt Vogt, damit er beim Stehen und Laufen nicht einfach in sich zusammenklappt. Bei seiner Reha in Kreischa sowie mit unzähligen Stunden Physiotherapie, Training im Wasser und Übungen zu Hause hat sich Vogt wieder Bewegung in seine Beine erarbeitet.

  
   © Christian Juppe

Als Hilfsmittel hatte er anfangs bei der Reha einfache Schienen. „Ich habe die probiert, aber hatte Lust auf mehr.“ Für sein erstes Paar Orthesen musste er knapp drei Jahre kämpfen, damit er sie von der Krankenkasse bewilligt bekam. Dieses Modell erlaubte ihm, auf eine hölzerne Art Schritte zu machen. In Standphasen musste das Kniegelenk gesperrt werden, nur im Schwung war es frei beweglich. In seinen neuen Orthesen passiert vieles ganz automatisch. Die Orthopädie- und Rehatechnik hat sie mittels Gipsabdrücken genau auf seine Beine angepasst. Die sind im Vergleich zum muskulösen Oberkörper des 1,80 Meter großen Mannes auffallend dünn. Aber sie können ihn trotzdem noch tragen, wie er eindrucksvoll mitsamt der Orthesen demonstriert.

Mit dem Quad zur Eisdiele

Ein 900 Gramm schweres Kniegelenk inklusive Mikroprozessor ermöglicht das. Dieses wurde von der Firma Otto Bock entwickelt, die dafür besagte acht deutsche Orthopädiefirmen hinzugezogen hat. Verbaut sind unter anderem Raumlage- und Winkelsensoren. Die Orthese analysiert in Echtzeit die Bewegungen des Trägers und reagiert darauf. Beim Stehen gibt sie automatisch Halt, wenn die Hüfte bewegt wird, löst sie sich wieder. Die Schritte des Trägers werden deutlich gedämpft und wirken auch dadurch nicht mehr so hölzern.

Ganz praktisch kann Christian Vogt mit der neuen Orthese nun im Wechselschritt Treppen hinabsteigen oder eine Schräge hinunterlaufen. Vorher war das nur rückwärts möglich. Die Feinheiten kann er selbst über eine Handy-App einstellen. Die insgesamt rund 100.000 Euro Kosten für die Orthesen trägt die Krankenkasse komplett. Allerdings war auch das ein langer Kampf. Seine Schwester übernimmt diesen bürokratischen Part für ihn und schreibt unermüdlich Briefe. „Wir haben diesen Weg gemeinsam begonnen und gehen ihn weiter“, sagt sie beim Termin in Dresden.

  
   © Christian Juppe

Eigentlich lebt die Familie in der Nähe von Jena. Die Verbindung nach Dresden ist über die Reha in Kreischa entstanden. Weil sich Christian Vogt hier optimal verstanden und versorgt fühlt, nimmt er gern die Fahrt auf sich. In Jena spielt er Sitzbasketball im Ligabetrieb und fährt mit Freunden auch gern mal eine Runde Quad. Stolz erzählt Vogt, dass er nun einfach die Krücken darauf festmachen und sich beim Stopp an der Eisdiele selbst sein Eis holen kann.

Auch andere Gelähmte sollen künftig von der neuen Technik profitieren. Dafür müssen allerdings die körperlichen Voraussetzungen genau passen. Geschäftsführer Thomas Mitzenheim von der Orthopädie- und Rehatechnik denkt, dass im Großraum Dresden bis zu fünf Patienten pro Jahr dafür in Frage kommen.