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Gemeinden wollen „ihre“ Flüchtlinge behalten

Nach anfänglichen Ressentiments wurden Familien gut aufgenommen. Ein Plan des Landratsamts sorgt deshalb für Ärger.

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© Egbert Kamprath

Von Christian Eißner, Gunnar Klehm und Franz Werfel

Sächsische Schweiz. Wie soll man Bürger motivieren, sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe zu engagieren, wenn alle Erfolge durch einen Behörden-Akt willkürlich zerstört werden? Diese Frage stellt Dagmar Gottschald, CDU-Gemeinderätin in Rosenthal-Bielatal. In Rosenthal lebt seit zwei Jahren eine Familie mit vier Kindern aus Afghanistan. Die Kinder haben gerade das neue Schuljahr in der örtlichen Grundschule begonnen. „Es gibt keinen Grund, die Familie hier wegzuschicken“, sagt die Gemeinderätin. Vor allem könne es nicht sein, dass die Familie nur ein paar Tage vorher erfährt, dass sie umziehen soll.

Fälle wie dieser sorgen derzeit an mehreren Orten im Landkreis für Verständnislosigkeit. Der SZ sind Fälle bekannt, in denen gut integrierte Flüchtlingsfamilien von Pirna nach Sebnitz oder von Cunnersdorf bei Gohrisch nach Dürrröhrsdorf-Dittersbach ziehen sollen – aus Kostengründen. Hauptberufliche Flüchtlingssozialarbeiter, die im Auftrag des Landkreises Asylsuchende unterstützen, und auch Bürger, die sich ehrenamtlich in Vereinen, den Kirchgemeinden oder als Nachbarn um die Neuankömmlinge kümmern, fühlen sich vor den Kopf gestoßen und in ihrem Engagement verraten.

Vorbereitung: mangelhaft

„Die Kinder besuchen Kitas oder Schulen mit eigens eingerichteten Plätzen“, sagt etwa Tobias Hupfer von der Diakonie Pirna. Seine Mitarbeiter seien im Vorfeld nicht von den geplanten Umzügen informiert worden. So konnten sie auch nicht darauf reagieren. „Das ist nicht partnerschaftlich“, sagt Hupfer. Noch vor drei Wochen habe man mit einigen Kindern die Einschulung in Pirna gefeiert. „Nun sollen sie die Schule schon wieder wechseln.“

Petra Schickert, die Vorsitzende der AG Asylsuchende im Landkreis, wird noch deutlicher: „Die Leute, die sich ehrenamtlich engagieren, sind stinksauer. So ziemlich alles, was Integration genannt wird, wird zunichtegemacht.“

Hintergrund der Aufregung ist ein Beschluss des Kreistages Sächsische Schweiz-Osterzgebirge von Anfang Juni. Die Kreisräte verpflichteten damals das Landratsamt, die Kosten für die Flüchtlings-Unterbringung zu senken. Detailliert hatte die Kreis-Verwaltung zuvor ausgerechnet, wie viel die Unterbringung der Asylbewerber kostet und dargelegt, dass der Landkreis zu viele und zu teure Unterkunftsplätze vorhält.

Aktuell leben rund 1 500 Flüchtlinge im Kreis, 1 100 von ihnen in Wohnungen, der Rest in Sammelunterkünften. Anfang April aber hatte das Landratsamt noch gut 2 000 Plätze in Wohnungen unter Vertrag. Auf den Kosten für überschüssige Plätze bleibt der Landkreis sitzen. Denn Geld für Flüchtlingswohnungen bekommt er vom Freistaat nur erstattet, wenn die Wohnung auch tatsächlich belegt wird.

Den Rotstift anzusetzen, das war daher angesichts klammer Kreis-Kassen schlichtweg die Pflicht der Kreisräte.

Der Plan, den das Landratsamt daraufhin erarbeitete, bringt nach Angaben von Landrat Michael Geisler (CDU) jährliche Einsparungen von rund 2,6 Millionen Euro. Er hat zwei Kernpunkte. Zum einen löst der Kreis die Mietverträge mit zweien der zuvor vier größeren Betreiber von Flüchtlingsunterkünften. So laufen die Verträge mit der Sächsischen Wohn- und Betreuungsgesellschaft (SWB) und der Pirnaer Geva-Unternehmensgruppe zu Ende August aus. Knapp 100 Flüchtlinge müssen nach Angaben des Landratsamtes deshalb umziehen. Übrig als größere Anbieter für Flüchtlingswohnungen bleiben die Dresdner Firma ITB und die kreiseigene Gesellschaft GVS.

Mehr Flüchtlinge für Pirna

Zweite Säule des Sparpakets ist das Leerziehen von zwei Flüchtlings-Sammelunterkünften. So soll Ende August die von der GVS betriebene Gemeinschaftsunterkunft im einstigen Erbgericht Cunnersdorf bei Königstein mit 40 Plätzen und Ende September die Unterkunft in den ehemaligen Zollbaracken in Zinnwald geschlossen werden. Allein dadurch spare der Kreis jährlich rund 800 000 Euro Wachkosten, erläutert der Landrat. Die Option, diese Gebäude bei Bedarf wieder mit Flüchtlingen zu belegen, halte man sich aber offen. Eine Folge der Umzüge: Die zur Flüchtlingsunterkunft umgebaute Gewerbehalle im Pirnaer Gewerbegebiet an der Elbe wird mit rund 170 Personen voll belegt werden.

Dass der Landkreis darauf achtet, seine Steuergroschen bei der Flüchtlingsunterbringung effektiv einzusetzen, das stellen auch die Betreuer nicht infrage. Aus ihrer Sicht hat das Landratsamt aber völlig vergessen, dass hinter jedem Zwangsumzug Schicksale stehen. Vor allem Familien macht der Verlust des gerade erarbeiteten sozialen Umfelds schwer zu schaffen.

So haben die Betroffenen erst vergangene Woche davon erfahren, dass sie binnen acht Tagen umziehen müssen. Die allermeisten haben das in kryptischem Amtsdeutsch verfasste Schreiben des Landratsamtes überhaupt nicht verstanden, manche hat es gar nicht erreicht, wie im Fall von einer Mutter aus der Cunnersdorfer Unterkunft, die sich gerade mit ihrem Neugeborenen in der Klinik befand.

Landkreis lenkt ein

Die Flüchtlingsbetreuer konnten den Betroffenen ihre vielen Fragen nicht beantworten, da sie weder zuvor über die Tatsache des anstehenden Umzugs, noch über den genauen Zeitpunkt oder das Ziel Bescheid wussten. Mit ihnen hatte das Landratsamt im Vorfeld schlicht nicht gesprochen. „Wir wurden vorher nicht informiert. Unsere Sozialarbeiter sind von den betroffenen Klienten informiert worden“, bestätigt Sebastian Kieslich, Sprecher der Caritas Dresden. Der soziale Dienstleister der katholischen Kirche ist einer von fünf im Landkreis, die Flüchtlingssozialarbeit leisten. Alle fünf tun das im Auftrag der Landkreisverwaltung.

„Unverständlich ist für uns das Wie der Umsetzung“, so Kieslich. Dabei hätte alles ganz geordnet laufen können, sagt er. Unmittelbar nach der Entscheidung des Kreistages hätten die infrage kommenden Wohnungen identifiziert und mit den Flüchtlingssozialarbeitern Lösungen für besondere Härtefälle gefunden werden können. Auch eine eigenständige Anmietung durch Familien mit Bleiberecht wäre möglich geworden. „Wenn die Kommunikation aber so abläuft“, sagt Sebastian Kieslich, „können wir schlicht unsere Arbeit nicht mehr vernünftig machen.“

Inzwischen, nach Verzweiflung und Tränen bei betroffenen Flüchtlingsfamilien, ist das Landratsamt um Schadensbegrenzung bemüht. So habe man in fünf konkreten Härtefällen den Umzug von Familien an andere Wohnorte abwenden können, sagt Landrat Michael Geisler. Weitere Fälle würden geprüft. Geisler räumt Fehler ein. „Es ist nicht so gelaufen, wie ich mir das vorgestellt habe.“ Dass die Härtefälle, es geht dabei um Familien mit Kindern, nun überhaupt intensiv geprüft werden, ist in erster Linie dem Engagement von Bürgern und Ehrenamtlichen sowie den Gemeindeverwaltungen an den Wohnorten der Flüchtlinge zu danken.