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Geschafft in Görlitz

In neun Jahren hat Bernd Thiedig neun Häuser in der Hotherstraße saniert. Nun ist er fast fertig – und sucht wieder.

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© Nikolai Schmidt

Von Ingo Kramer

Die Hotherstraße ohne Bernd Thiedig? Unvorstellbar. Als er vor neun Jahren hier seine ersten Häuser kaufte, war die Straße ein Sorgenkind der Stadtplaner. Vor allem die alte Gerberei stand seit Jahren zum Verkauf. Doch niemand wollte den aus fünf Vorder- und zahlreichen Hinterhäusern bestehenden ruinösen, fast komplett leer stehenden, hochwassergefährdeten und denkmalgeschützten Wohn- und Industriekomplex haben. Bis Thiedig kam, kaufte und loslegte. Später sanierte er sogar das durch einen Brand im April 2014 schwer beschädigte Haus Nummer 31.

Der Innenhof der Hotherstraße 5, 6 und 7 ist umgeben von einem Einfamilienhaus (l.) und Mehrfamilienhäusern.
Der Innenhof der Hotherstraße 5, 6 und 7 ist umgeben von einem Einfamilienhaus (l.) und Mehrfamilienhäusern. © Nikolai Schmidt
In den Hausfluren hat Thiedig Ausstellungen mit bäuerlichen Gegenständen aufbauen lassen.
In den Hausfluren hat Thiedig Ausstellungen mit bäuerlichen Gegenständen aufbauen lassen. © Pawel Sosnowski/80studio.net
Hausbesitzer Bernd Thiedig (l.) und Bauleiter Matthias Strohbach sind seit 23 Jahren ein Team.
Hausbesitzer Bernd Thiedig (l.) und Bauleiter Matthias Strohbach sind seit 23 Jahren ein Team. © Nikolai Schmidt

Heute gehören ihm neun Häuser in der Hotherstraße. Neun von 33. Und: Alle neun sind saniert, mitsamt der Hinterhäuser. Über 60 hochwertige Wohnungen sind so entstanden – mit dreifach verglasten Fenstern, Wärmerückgewinnung, Parkettböden und Fußbodenheizungen. Durch die energetische Sanierung sparen die Mieter enorm bei den Betriebskosten. Der Erfolg gibt Thiedig recht: Fast alle Wohnungen sind vermietet. „Am Mittwoch hat der Denkmalschutz das letzte Haus abgenommen“, sagt er. Am Donnerstag hat der pensionierte Berliner Maschinenbauingenieur seinen 73. Geburtstag gefeiert. Und künftig wird er wohl nicht mehr jede zweite Woche nach Görlitz kommen, denn die Baustelle ist nun geschafft. „Naja, fast“, räumt er ein. Der Innenausbau der letzten drei Wohnungen in der Hotherstraße 7 läuft noch und könnte sich bis zum Jahresende hinziehen. Im Dachgeschoss entsteht eine geräumige 140-Quadratmeter-Wohnung, die er für fünf Euro Kaltmiete pro Quadratmeter vermieten will, im ersten und zweiten Stock jeweils eine Dreiraum-Wohnung für 5,80 Euro pro Quadratmeter.

Wie viel Geld er selbst in die Häuser gesteckt hat, will er lieber nicht mehr sagen. Nur so viel: Die ursprünglich geplanten fünf Millionen Euro haben längst nicht gereicht. Allerdings war in dem Plan auch das spätere Brandhaus noch nicht enthalten. Auch nicht die baulichen Probleme: Die Häuser 5 und 7 neigten sich zur Neiße hin, mussten aufwendig gesichert werden. Und dann noch der Hochwasserschutz. Alle Fenster und Türen in Keller und Parterre der neun Häuser lassen sich nun mit Schotten gegen das Wasser abdichten – und zwar bis zur Höhe des HQ 100, also des theoretisch etwa alle hundert Jahre vorkommenden Hochwassers. Trotz alledem hat Thiedig seine Investitionen nie bereut.

„Klar, in Berlin wäre es finanziell lukrativer“, sagt er. Doch er hat Gefallen an Görlitz gefunden, hat hier mittlerweile 27 Häuser saniert, hat Baustopps wegen Denkmalschutz, Archäologie, Hochwasser und Brand hingenommen – und mag Görlitz nach wie vor. In der Hotherstraße konnte er zum ersten Mal ein Blockheizkraftwerk einbauen, weil er hier so viele Häuser an einem Fleck hat. „Ich hatte schon 1973 Überlegungen in diese Richtung, aber damals gab es noch gar keine BHKWs“, sagt er.

Jetzt ist er richtig stolz, dass es geklappt hat und alle neun Häuser an der Anlage hängen. Thiedig war nie einer, der nur aus wirtschaftlichen Interessen saniert hat. „Ich habe etwas geschaffen, und das macht auch Spaß“, sagt er. Schon früher bezeichnete er den Bau mit regenerativen Energien als sein Hobby. Und er freut sich an den vielen Details, die die Häuser besonders machen. In jedem Hausflur hat er eine kleine Ausstellung untergebracht. Zumeist sind bäuerliche Gebrauchsgegenstände aus dem 19. und 20. Jahrhundert zu sehen – vom Tonkrug bis hin zu einer Voliere, mit der Tauben auf Märkten verkauft wurden. „Ich habe all diese Dinge von dem Görlitzer Antiquitäten- und Kuriositätenhändler Horst Jordan bekommen“, sagt Thiedig. Im Hausflur der Nummer 6 hat er zuletzt eine besonders umfangreiche Ausstellung eingerichtet. In diesem Jahr aber ist Horst Jordan nach schwerer Krankheit verstorben.

Und Thiedig ist mit der Hotherstraße fertig, hat aktuell keine weiteren Baustellen in Görlitz in Vorbereitung. „Deshalb habe ich die meisten meiner Handwerker entlassen“, sagt er. Zum Glück hätten sie alle neue Jobs gefunden. Von 18 Leuten sind nur sechs geblieben – darunter Matthias Strohbach. Zwei Männer bleiben bei Thiedig angestellt, die anderen drei bei Strohbach. Der ist gelernter Zimmermann und war 24 Jahre jung, als er sich auf eine Zeitungsanzeige von Thiedig meldete, der einen Zimmermann für seine erste Görlitzer Haussanierung suchte. Das ist 23 Jahre her. Heute ist Strohbach 47, betreibt eine Hausmeisterfirma – und betreut vor allem alle Objekte von Thiedig. Er war stets Bauleiter und Hausmeister, künftig wird er „nur noch“ Hausmeister sein, sich aber gleichzeitig auch um die Vermietung kümmern. Die nämlich hat Thiedig inzwischen an seinen Sohn Christoph übergeben. Der allerdings sitzt in Hamburg und regelt von dort aus alles Schriftliche. Die Besichtigungstermine vor Ort übernimmt Strohbach.

Dass er früher oder später weitere Häuser in Görlitz saniert, will Thiedig nicht ausschließen. „Wenn sich 2017 etwas ergibt, greife ich zu“, sagt er: „Aber es muss auch schön sein.“ Wie wäre es da zum Beispiel mit dem Forellhaus in Biesnitz? Oh ja, sagt Thiedig, eine Villa wäre auch mal was. Aber bisher sei er nirgendwo dran. Falls es zu einem weiteren Kauf kommt, will er seine Handwerker nicht noch einmal einstellen. In der Hotherstraße hatten die Männer zuletzt zu viel Leerlauf. Doch am Ende hat Thiedig auch verstärkt mit hiesigen Fachfirmen zusammengearbeitet: „Die haben sich alle bewährt, denen würde ich das nächste Mal die Aufträge geben.“ Auf ein Wort