Leben und Stil
Merken

16 Prozent weniger Tote durch Wechselwirkungen von Medikamenten

Hunderttausende Sachsen nehmen täglich mehr als fünf Medikamente. Eine Studie zeigt, dass eine abgestimmte Gabe Leben retten könnte.

 3 Min.
Teilen
Folgen
Je mehr Medikamente eingenommen werden, umso höher ist das Risiko für Wechselwirkungen. Deshalb sollten Ärzte und Apotheker das überwachen.
Je mehr Medikamente eingenommen werden, umso höher ist das Risiko für Wechselwirkungen. Deshalb sollten Ärzte und Apotheker das überwachen. © Stephanie Pilick/dpa

Immer mehr neue Medikamente kommen auf den Markt. Die Arzneimitteltherapie wird damit komplexer. „Deshalb braucht es ein Instrument, das die Sicherheit der Patienten, zum Beispiel in Bezug auf Wechselwirkungen, überwacht“, sagt Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). Besonders wichtig sei diese Begleitung für Patienten, die fünf und mehr Medikamente pro Tag einnehmen müssen.

Deshalb hatten die AOK Plus, die Kassenärztliche Vereinigungen Sachsen und Thüringen sowie der Apothekerverbände beider Bundesländer eine Arnzeimittelinitiative – kurz Armin – ins Leben gerufen. Sie war auf den Zeitraum 2014 bis 2022 befristet. „Etwa 10.000 AOK Plus-Versicherte haben sich in dieses Programm eingeschrieben“, sagt Vorstandsvorsitzender Rainer Striebel am Dienstag bei der Vorstellung der Ergebnisse. 900 Apotheker und 550 Ärzte hätten in dieser Zeit bei der Medikamentenversorgung ihrer Patienten zusammengearbeitet.

Nur wenige Ärzte beteiligt

Dass damit die Sicherheit gestiegen ist, zeigt eine Untersuchung durch das Uniklinikum Heidelberg, die Armin wissenschaftlich überprüft hat. „Wir konnten nachweisen, dass 16 Prozent weniger Patienten an Wechselwirkungen von Medikamenten gestorben sind als in einer Kontrollgruppe, die nicht durch Armin überwacht wurde“, sagt Professorin Hanna Seidling, Leiterin der Kooperationseinheit Klinische Pharmazie am Uniklinikum Heidelberg. Die Zahl der Arzt- und Apothekenkontakte sei bei Armin-Teilnehmern deutlich höher gewesen, was für ein intensives Coaching spreche.

Ärzte und Apotheker zogen ebenfalls ein positives Resümee. Dennoch hätten sich vergleichsweise wenig von ihnen an diesem Programm beteiligt, sagt Dr. Annette Rommel, Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Thüringen. Herzstück des Projekts war ein zwischen Arzt und Apotheker abgestimmtes elektronisch unterstütztes Medikationsmanagement. „Dafür fehlten den meisten die geeigneten Praxisverwaltungssysteme, über die Ärzte zum Beispiel die Behandlung ihrer Patienten mit den Kassen abrechnen“, so Rommel.

Armin wird fortgesetzt

Es gebe viele verschiedene Systemanbieter auf dem Markt. Oft seien sie auch nicht in der Lage gewesen, notwendige Module für Armin nachzurüsten. „Ein Arzt, der sich einmal ein Praxisverwaltungssystem angeschafft hat, hat dafür viel Geld investiert. Er ändert es also nicht gleich wieder“, so die KV-Vorsitzende. Sie fordert deshalb, dass Bundesgesundheitsministerium und Kassenärztliche Bundesvereinigung den rechtlichen Rahmen dafür schaffen, dass Praxisverwaltungssysteme grundsätzlich Möglichkeiten des elektronischen Austauschs von Ärzten und Apothekern im Sinne der Patientensicherheit enthalten.

Mit den Ergebnissen der wissenschaftlichen Überprüfung habe man jetzt Daten in der Hand, um sich für die Fortsetzung des Armin-Projekts auf Bundesebene und für alle gesetzlich Versicherten stark zu machen, so Rommel. Aus ethischen Gesichtspunkten komme man gar nicht daran vorbei. So sieht es auch die Barmer, die in der Region Westfalen-Lippe ein ähnliches Projekt – die Anwendung für digital unterstütztes Arzneimitteltherapie-Management, kurz Adam, initiiert hat.

Erfahrung soll bei E-Patientenakte einfließen

Die elektronische Patientenakte, die ab 2024 verpflichtend für alle Versicherten verfügbar sein muss, könne die Sicherheit von Armin nicht bieten, sagt die ABDA-Präsidentin. Denn es sei nur eine Akte, kein Prozess. Aufgaben und Zuständigkeiten im Medikamentenmanagement müssten dafür genau abgestimmt sein. „Deshalb sollen die Erfahrungen aus Armin in die Ausgestaltung der elektronischen Patientenakte einfließen“, sagt Rainer Striebel.

Aus seiner Sicht habe die Arzneimittelinititive großes Potenzial. Allein in der AOK Plus seien mehr als 300.000 Menschen versichert, die pro Tag fünf und mehr Medikamente einnehmen müssten.