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Der schmerzhafte Weg der Untreue

Warum ist es einfacher, den Partner zu betrügen, als ihm zu sagen, wie schlecht es um die Beziehung steht? Diese Frage beantwortet Paarberater Christian Thiel.

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Christian Thiel ist Single-, Partnerschaftsberater und Autor.
Christian Thiel ist Single-, Partnerschaftsberater und Autor. © Christian Juppe

Ich habe nach 25 Jahren Ehe vor zwei Jahren in der alten Heimat einen Freund wiedergetroffen. Er ist ebenfalls verheiratet. Nachdem wir uns eine halbe Stunde unterhalten haben, hat er mich umarmt und gesagt, wie sehr er mich schätzt. Ich war fassungslos und sehr berührt. Nun treffen wir uns seit einem Jahr ab und an und sind uns auch näher gekommen. Ich weiß nicht, wo das hinführen soll.

Sie sind untreu. Das ist kein seltener Fall. Bei Männern nicht. Bei Frauen nicht. Doch wie kommt es dazu? Um das zu verstehen, will ich eine kleine Geschichte erzählen:

Eine Frau trifft nach langen Jahren einen alten Freund wieder. Sie reden ein wenig – und sie erzählt ihm, dass sie in der kommenden Woche eine schwierige Zahn-OP hat. Die beiden gehen auseinander. Keiner von beiden denkt an eine Affäre. Es war ein nettes Gespräch, mehr nicht. Doch dabei wird es nicht bleiben. Einige Wochen später trifft sie den alten Freund wieder. Und der fragt interessiert: „Sag mal, wie ist denn deine Zahn-OP gewesen?“ Bisher ist an der Geschichte nichts Ungewöhnliches. Das kommt erst jetzt. Kaum hat der Freund sie nach ihrer Zahn-OP gefragt, denkt sie: „Wie aufmerksam von ihm. Mein Mann hat sich das nicht einmal gemerkt. Und gefragt hat er mich das natürlich auch nicht.“

Nun ist etwas wirklich Wichtiges passiert, etwas, das nicht nur dazu führen wird, dass die beiden beschließen, einen Kaffee zusammen zu trinken, sondern viele Monate und viele Kaffee-Verabredungen später auch in eine Affäre münden wird.

Die Frau hat bemerkt, wie unglaublich gut es ihr tut, wenn ein anderer Mensch sich für sie interessiert. Sie hat die Wärme eines aufmerksamen und einfühlsamen Wortes verspürt. Uns allen tut das gut. Allerdings scheint es genau das in ihrer Ehe schon lange nicht mehr zu geben. Ihr ist aufgefallen, wie groß die Lieblosigkeit in ihrer Ehe ist.

Innere Zerrissenheit

Das wirft gleich mehrere Fragen auf. Zum einen wüsste ich gerne, warum die Frau die Lieblosigkeit in ihrer Ehe nicht schon vorher gemerkt hat? Warum hat sie sie so klaglos akzeptiert? Ich weiß, dass viele Menschen das tun. Trotzdem will es mir nicht einleuchten. Warum ist es einfacher, den Partner zu betrügen, als ihm zu sagen, wie schlecht es um die Ehe steht? Dabei geht es nicht um Vorwürfe und Schuldzuweisungen, sondern um deutlich ausgesprochene Wünsche und Ansagen, was wir brauchen. Wer eine stabile und glückliche Partnerschaft will, der braucht die Zeit und die Aufmerksamkeit seines Partners. Bekommen wir sie nicht, suchen wir an anderer Stelle danach.

Zum Zweiten wüsste ich gerne, warum sie nach dem zweiten Treffen mit ihrem alten Freund, bei dem ihr diese Lieblosigkeit bewusst geworden ist, nichts unternommen hat, um ihre Ehe wieder ins richtige Gleis zu bringen. Tut sie jetzt nichts, dann hat sie schon bald eine lieblose Ehe und einen Lover. So ein Leben ist nicht wirklich erstrebenswert. Das ist der Grund, warum mir so viele, die untreu sind, schreiben. Es führt zu einer großen inneren Zerrissenheit. Das Gefühlsleben eines Menschen wird in zwei Teile gespalten. Und das stetige Lügen führt zu weiterem Stress. Ich rate ab.

Neulich kam eine Frau zu mir in die Beratung. Sie kannte meine Ansichten zur Untreue sehr genau. Sie hatte ihre Liebschaft beendet und wollte nun alles tun, was möglich war, um ihre Ehe zu retten. Alles, was dafür nötig war, war der Mut, dem Mann über den Zustand seiner Ehe reinen Wein einzuschenken. Er hat umgehend reagiert und glauben Sie mir: Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie unzufrieden seine Frau war. Weil sie es nie deutlich gesagt hatte.

Untreue kommt meistens raus

Zurück zu Ihrer Frage: Sie haben sich – leider – in genau die gleiche Lage gebracht wie diese Frau. Die Folgen für sie, für Ihre Ehe und Ihre Zukunft sind derzeit schwer absehbar. Eines ist allerdings wahrscheinlich: Die innere Zerrissenheit bei Ihnen wird zunehmen. Das ist das logische Ergebnis Ihrer Entscheidung, den Weg der Untreue zu gehen.

Sie sehen, ich bin dafür, dass Sie Ihre Ehe verbessern. Geht das nicht, können Sie sich trennen und sich einen neuen Partner suchen. Beide Wege werden durch die Untreue leider verhindert. Deshalb schadet sie – Ihnen. Und Ihrem Leben.

Ich hätte jetzt gerne auch Ihrem Mann den Kopf gewaschen. Das geht leider nicht. Er hat mir nicht geschrieben. Männer, die sich in lieblosen Ehen einrichten, zahlen dafür ebenfalls einen hohen Preis. Ich rate ab.

Bisher habe ich nur die Schwierigkeiten angesprochen, in denen Sie aktuell stecken. Jetzt kommt noch ein kurzer Blick in die Zukunft. Untreue kommt in den meisten Fällen raus. Oft passiert das bei einer „Fehlhandlung“. Sie lassen ihr Smartphone ungesichert auf dem Tisch liegen – mit einer Nachricht ihres Lovers deutlich sichtbar. Was an diesem Punkt Ihres Lebens passiert, das ist derzeit nicht abzusehen. Zumeist folgt dem eine Phase der Verzweiflung auf beiden Seiten, bevor die Ehe in einen beinharten Rosenkrieg mündet.

Ehrliche und offene Worte

Dann sitzen Sie entsetzt vor mir und sagen verstört: „Es waren die schlimmsten Jahre meines Lebens.“ Und können nicht verstehen, warum Ihr Partner es Ihnen so schrecklich übel nimmt, dass Sie ihn sechs Jahre mit einem anderen betrogen haben. Statt den Mut zu fassen und ihm ein Wort zu sagen von ihrer – berechtigten – Verzweiflung über den Zustand Ihrer Ehe.

Das war jetzt leider noch nicht alles. Haben Sie sich von der schwierigen Trennung erholt und gehen auf Partnersuche, gehen Ihre Probleme weiter. Kaum haben Sie einen Mann kennen und lieben gelernt und haben ihm von ihrer jahrelangen Untreue berichtet, schon hat er das Weite gesucht. Das erleben natürlich nicht nur Frauen. Auch Männer, die den Weg der Untreue gegangen sind, müssen damit leben, dass die neue Frau, die sie kennengelernt haben, wenig Neigung verspürt, es mit einem Mann zu versuchen, der ihre Vorgängerin über Jahre betrogen hat.

Und dann sitzen Sie wiederum traurig vor mir und sind entsetzt, wie weitreichend die Folgen von Untreue sein können. Ich rate ab. Mir scheint der Weg der Untreue wenig attraktiv zu sein. Ein ehrliches, offenes Wort gegenüber Ihrem Partner dagegen wäre hilfreich. Er hat ein Recht darauf, zu erfahren, wie es um seine Ehe steht. Sie sind unglücklich mit Ihrer Ehe. Und genau das sollten Sie ihm sagen.

Christian Thiel ist Single-, Partnerschaftsberater und Autor. Haben Sie Fragen an ihn? Schicken Sie eine Mail an [email protected]