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Bin ich ein Narzisst oder nur selbstbewusst?

Ist jemand laut und selbstbewusst, ist schnell das Urteil "Narzisst" gefällt. Zu recht? Persönlichkeitspsychologe Mitja Back erklärt, warum die Welt Narzissten braucht und wie man mit ihnen umgeht.

Von Sylvia Miskowiec
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Dr. Mitja Back ist Professor für Persönlichkeitspsychologie und Experte in der Erforschung narzisstischer Eigenschaften.
Dr. Mitja Back ist Professor für Persönlichkeitspsychologie und Experte in der Erforschung narzisstischer Eigenschaften. © Thomas Mohn Fotografie

Sie fragen nicht „ich?“, sie rufen „ICH!“: Narzissten. Vor allem in den sozialen Medien wird dieses Label sehr schnell verteilt. Es kursieren erschreckende Geschichten von toxischen Beziehungen und ungesunden Arbeitsverhältnissen. Die Welt scheint voll zu sein von drangsalierenden, nach Aufmerksamkeit heischenden Egomanen. Prof. Dr. Mitja Back plädiert dagegen für einen differenzierteren Blick auf Narzissten. Der Persönlichkeitspsychologe beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dieser Facette des menschlichen Charakters und hat jetzt seine Erkenntnisse in einem Buch veröffentlicht: „Ich! Die Kraft des Narzissmus. Eine starke Eigenschaft neu denken und ihre Wirkung besser verstehen.“

Herr Back, besteht die Welt nur noch aus Narzissten?

So ein bisschen. Nein, im Ernst. Das Problem ist, dass das Wort Narzissmus im Sprachgebrauch häufig so verwendet wird, als sei es eine Krankheit, nach dem Motto, man hat es oder man hat es nicht, wie einen Schnupfen. Und das stimmt so nicht. Narzissmus ist zuallererst eine Persönlichkeitseigenschaft wie viele andere auch, die mehr oder weniger stark ausgeprägt ist – in uns allen.

Wie sieht diese Eigenschaft aus?

Ganz wichtig ist die Vorstellung von eigener Großartigkeit. Narzissten denken öfter und überzeugter als andere: Ich bin eine besondere Person, ich werde Großartiges schaffen. Damit verbunden ist das Gefühl, mehr verdient zu haben, also ein gewisses Anspruchsdenken. Der dritte ganz wichtige Aspekt ist das Streben nach sozialem Status, nach sozialer Bewunderung.

Wo ist da der Unterschied zu jemandem mit einem hohen Selbstbewusstsein?

Eben jenes Streben nach Applaus. Wenn Narzissten in den Spiegel gucken, denken sie auch immer die potenzielle Bewunderung der anderen mit. Wer dagegen einfach einen hohen Selbstwert hat, ist zufrieden mit sich, häufig, weil er oder sie gut eingebunden ist in eine Gemeinschaft. Narzissten ist das nicht genug: Sie wollen aufs Podest. Sie vergleichen sich stärker mit anderen, streben danach, besser zu sein, über ihren Mitmenschen zu stehen.

Klingt nicht so sympathisch.

Ja, mag sein. Aber Narzissmus ist mit einer unglaublichen Kraft verbunden, mit der sich auch vieles erschaffen lässt.

Was zum Beispiel?

Die Selbstsicherheit von Narzissten kann Stress abpuffern. Denn sie haben immer noch die Haltung: Natürlich werde ich das schaffen. Bei Narzissten gibt es weniger Kopfkino, das Zweifel sät. Und das macht es ihnen leichter, das Ziel wirklich zu erreichen. Auch wenn andere sagen, dass das niemals klappen kann. Sowas spornt Narzissten eher noch an, da können sie allen beweisen, wie großartig sie sind. Ein gutes Beispiel ist hier Elon Musk, der von einem Weltraumunternehmen träumte. Ein Freund hatte ihm Bilder von Raketen gezeigt, die alle explodieren. Und was hat Musk gemacht? Trotzdem eigene gebaut. Ist dreimal gescheitert, doch beim vierten Versuch hat es geklappt. Weil Musk völlig davon überzeugt war. Ohne Narzissten gäbe es sowohl weniger Konflikte und krachendes Scheitern, als auch weniger Innovation und Fortschritt.

Nun besteht aber Space-X nicht nur aus Elon Musk ...

Genau, und auch im Umgang mit Mitarbeitenden sehen wir beide Seiten der Kraft von Narzissten: Sie können andere runtermachen, erniedrigen, frustrieren, aber auch andere mitreißen, begeistern, positiv antreiben. Dass da immer ihre Geltungssucht mit hineinspielt, ist in dem Moment gar nicht so wichtig für andere. Daher werden Narzissten oft zu Führungskräften gewählt. Nicht zuletzt, weil man sich ihrem Charme zumindest anfangs nicht entziehen kann.

Sind Narzissten also gar keine unsozialen Wesen?

Sie sind durchaus in der Lage zu lieben, Freundschaften zu haben – Beziehungen zu Menschen zu genießen. Doch sie gewichten das nicht so hoch wie andere. Narzissten wollen hauptsächlich vorankommen. Das Zurechtkommen mit anderen ist zweitrangig.

Merken Narzissten nicht, was sie da womöglich auch verpassen?

Es gibt den Glauben, dass Narzissten vielleicht gar nicht merken, wie sie sich verhalten, also keine Selbsteinsicht haben. Dem ist aber nicht so, das zeigen Studien. Narzissten wissen ganz gut, dass sie begeistern aber auch arrogant wirken können. Im letzteren Fall sagen sie dann aber: Macht nichts, ich bin eben so – ich kann mir meine Arroganz leisten. Was sie dabei manchmal unterschätzen, ist, dass sie sich selbst mit so einem Verhalten im Weg stehen können.

Wie reagieren Narzissten auf Kritik?

Empfindlich. Häufig unterstellt man ihnen dann entweder innere Unsicherheit oder Bösartigkeit. Für beides gibt es wissenschaftlich wenig Hinweise. Narzissten sind weder traumatisierte arme Würstchen, noch ziehen sie einen Lustgewinn daraus, andere zu manipulieren und ihnen Leid zuzufügen. Hier liegen oft Verwechslungen vor mit Persönlichkeitsstörungen oder psychopathischen oder narzisstischen Zügen, die viel seltener sind als allgemeines narzisstisches Verhalten. Durchaus aber reagieren Narzissten aggressiver und machen andere öfter runter, als es andere Charaktere tun. Das geschieht oft dann, wenn ihr Streben nach Bewunderung, nach Status in irgendeiner Weise blockiert wird, etwa durch Kritik. Dann wird es ungemütlich, da zeigt sich ein Ich!, das die Ellbogen ausfährt und andere beleidigt.

Wie sollte man damit umgehen?

Wichtig ist, nicht in eine Eskalation zu verfallen. Da kann man nur verlieren, weil Narzissten bereit sein werden, es immer stärker eskalieren zu lassen. Das kann einigen unnötigen Schaden anrichten. Also besser gelassen bleiben und das Gewitter vorbeiziehen lassen. Natürlich ist es dennoch wichtig, Grenzen zu ziehen. Da steckt allerdings viel Konfliktpotenzial drin. Die Kunst ist es, klug zu kommunizieren.

Wie geht das?

Erst einmal klarmachen, dass einem die Beziehung viel wert ist. Dann aufzeigen, was nicht geht, und einen Wunsch fürs nächste Mal äußern. Man muss für sich wissen, was man will und ob man diese notwendigen Grenzen überhaupt ziehen kann. Denn das kostet Kraft.

Wie verhalten sich Narzissten, wenn sie wirklich gescheitert sind?

Dann bauen sie sich unter Umständen auch daraus eine Bühne, ganz nach dem zynischen Motto: Die Welt erkennt einfach nicht, wie großartig ich bin, dann lass ich es halt. Oder sie leiden, natürlich so schlimm wie kein anderer, und ziehen damit wieder viel Aufmerksamkeit auf sich.

Wie beziehungsfähig sind Narzissten?

Es ist nicht so, dass Narzissten keine Beziehung oder Freundschaften haben wollen. Doch wie überall müssen ihre Wünsche zu denen des Partners passen. Da sollten wir zuerst selbst in uns gehen. So brauchen Narzissten meist Freiraum, um vorankommen zu können. Wer starken Wert auf viel Zweisamkeit legt, wird es weniger leicht haben mit einem solchen Menschen. Dann eher jemand, die oder der sich gerne mitreißen lässt von der Energie des Narzissten, ihm oder ihr aber auch mal die Bühne überlassen und Unabhängigkeit selbst genießen kann.

Nun hört man sehr oft von toxischen Beziehungen, von Narzissten, die ihre Partner bis zur Erschöpfung manipulieren. Was sagt die Forschung dazu, alles nur ein Hype?

Man muss differenzieren. Nicht jedes egoistische Verhalten, nicht jede scheiternde Beziehung ist toxisch. Nicht immer war Manipulation im Spiel. Es ist wichtig, diese Fälle von den echten zu unterscheiden, um Opfer von Beziehungen ernst zu nehmen. Das viel benutzte Wort „Gaslighting“ zum Beispiel bezeichnet ein Phänomen, dass jemand seinen Partner ganz bewusst dazu treibt, an den eigenen Wahrnehmungen zu zweifeln, ihn dazu bringt, das eigene Denken nicht mehr ernst zu nehmen. Das kommt extrem selten vor. Allerdings wird der Begriff „Gaslighting“ zum Teil inflationär benutzt, schon, wenn man den Partner kritisiert. Das kann blödes, unfaires Verhalten sein, aber kein Gaslighting. Und ja, gerade Narzissten verhalten sich häufiger egoistisch, gerade in romantischen Beziehungen. Es gibt mit ihnen schneller Konflikte, weil sie unnachgiebiger sind. Sie entschuldigen sich weniger, weil das nicht zur eigenen Grandiosität passt. Aber all das ist keine planvolle, bösartige Manipulation. Dieses krankhafte Verhalten ist sehr selten. Zumal sich Narzissten als Partner tendenziell eher andere Narzissten suchen, statt eines in ihren Augen schwachen Opfers.

Woher kommt so ein Verhalten? Ist Narzissmus anerzogen – Stichwort verwöhntes Einzelkind?

Auch wenn das gern mal angebracht wird, zeigen Studien deutlich: Es gibt keinen Unterschied zwischen Einzelkindern und solchen mit Geschwistern. Ähnliches gilt für die Erziehung. Die allgemeine Vorstellung ist ja, dass eher kalte Eltern dahinterstecken. Das würde eine innere Schwäche in den Kindern verursachen, die diese dann mit einem Ich-Theater kompensieren müssten. Wissenschaftlich können wir das nicht bestätigen. Bei der Erziehung haben wir eher einen kleinen Effekt gesehen, wenn Eltern ihren Nachwuchs immer wieder aufs Podest stellen und übermäßig loben. Aber zum großen Teil scheint Narzissmus von anderen Umweltfaktoren wie Freundeskreis, Liebesbeziehungen oder Job beeinflusst zu werden – und liegt uns in den Genen.

Wenn man auf Instagram und Co. schaut, sehen wir viele junge Narzissten, oder?

Ach, die Klagen über die Jugend, die gab es schon bei den alten Griechen, mit ganz ähnlichen Vorwürfen wie heute (lacht). Ja, jüngere Menschen sind häufig narzisstischer als ältere, weil sie noch vorankommen, sich etwas aufbauen wollen. Das sind Dinge, die durch Narzissmus eher befördert werden. Im Alter möchte man eher absichern, was man erreicht hat. Der durchschnittliche Narzisst wird quasi etwas altersmüde. Dieses Muster sehen wir aber – immer wieder neu – in jeder Generation.

Mitja Back: Ich! Die Kraft des Narzissmus, Kösel-Verlag, 386 Seiten, 24 Euro