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Patienten mit Brustkrebs und Herzinfarkt erhalten oft nicht die beste Behandlung

Die geplante Krankenhausreform sieht vor, dass sich Kliniken künftig stärker spezialisieren. Eine neue AOK-Analyse zeigt, wie wichtig das für die Qualität und das Überleben der Patienten ist.

Von Kornelia Noack
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Zeigt das Mammografiebild Brustkrebs? In Deutschland erkrankt eine von acht Frauen im Laufe ihres Lebens daran.
Zeigt das Mammografiebild Brustkrebs? In Deutschland erkrankt eine von acht Frauen im Laufe ihres Lebens daran. © Hannibal Hanschke/dpa

Wer erkrankt und in eine Klinik eingeliefert wird, sollte sich darauf verlassen können, dass er dort bestmöglich behandelt wird. Derzeit ist das jedoch längst nicht immer und überall der Fall. So erfolgten im Jahr 2022 in fast jedem fünften der an der Brustkrebsversorgung beteiligten Krankenhäuser weniger als 25 entsprechende Operationen. Das geht aus dem Krankenhaus-Report der AOK hervor, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde.

„Das bedeutet, dass etwa alle zwei Wochen ein solcher Eingriff stattfand. Bei solchen Fallzahlen kann man nicht davon ausgehen, dass es ein routiniertes Behandlungsteam oder gar eine eingespielte Prozesskette gibt“, sagte Christian Günster vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO).

Jede zweite Klinik in Sachsen ohne Brustkrebs-Zertifizierung

Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Mehr als 70.000 Patientinnen erkranken jedes Jahr neu daran. Laut dem AOK-Qualitätsmonitor seien bundesweit mehr als 9.000 Frauen in Krankenhäusern behandelt worden, die dafür nicht optimal aufgestellt seien. Das entspricht rund 13 Prozent aller Eingriffe.

Zwischen den Bundesländern gibt es dabei große Unterschiede. Während in Sachsen-Anhalt jede vierte Brustkrebs-OP in einer nicht von der Deutschen Krebsgesellschaft oder einer vergleichbar zertifizierten Klinik stattfand, waren es in Berlin 0,2 Prozent. In Sachsen war es fast jede fünfte Operation. 36 Kliniken im Freistaat behandeln Brustkrebs, 19 davon verfügen über eine Zertifizierung.

Klinikwahl hat Einfluss auf Sterberisiko der Frauen

Zudem konnte in einer groß angelegten Studie für Deutschland nachgewiesen werden, dass durch die Brustkrebs-Behandlung in einem zertifizierten Zentrum die Sterblichkeit der Frauen um rund 20 Prozent gesenkt werden kann. „Glücklicherweise ist bei der Versorgung in den letzten Jahren eine gewisse Konzentration erkennbar. Auch die neu eingeführte Mindestmenge für Brustkrebs-OPs wird sicherlich Fortschritte bringen“, sagte Günster. Ab 2025 muss ein Krankenhaus mindestens 100 Brustoperationen jährlich erbringen, um diesen Eingriff weiterhin durchführen zu dürfen.

Insgesamt wurden 2022 laut AOK-Analyse bundesweit in 41 Städten Brust-OPs in nicht-zertifizierten Kliniken durchgeführt, obwohl es im Stadtgebiet eine zertifizierte Einrichtung gab. „In Sachsen sind wir auf einem guten Weg zu mehr Spezialisierung der Krankenhäuser. Über 80 Prozent der Patientinnen sind bereits in zertifizierten Kliniken“, sagt Rainer Striebel, Vorstandsvorsitzender der AOK Plus, Sachsens mitgliederstärksten Krankenkasse.

Infarktpatienten werden falsch verteilt

Auch viele Herzinfarkt-Patienten würden laut der Auswertung nicht optimal versorgt. Ein Infarkt gehört zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland. 2022 starben rund 19.000 Patienten daran. Bei jedem dritten Fall handelte es sich um einen besonders schweren Infarkt (STEMI), bei dem unverzüglich ein therapeutischer Herzkatheter empfohlen wird.

Mit dem Eingriff können Ärzte Gefäßverschlüsse in den Herzkranzgefäßen wiedereröffnen. Bei weniger schweren Infarktformen kann der Eingriff im Herzkatheterlabor auch später erfolgen. In einer Notfallsituation ist die Unterscheidung im Regelfall nicht immer sicher möglich.

Die AOK-Analyse hat ergeben: Von den rund 191.000 Herzinfarkt-Fällen im Jahr 2022 wurden 4,9 Prozent in Kliniken behandelt, die nicht über ein Katheterlabor verfügten – das entspricht etwa 9.400 Behandlungen. Besonders ausgeprägt war das Problem der nicht adäquaten Versorgung in den 368 Kliniken mit einer geringen Fallzahl von weniger als 25. Nur jede fünfte Klinik in dieser Gruppe verfügte überhaupt über ein Herzkatheterlabor. Bei schweren Infarkten sollte aber möglichst innerhalb von 90 Minuten ein Herzkatheter erfolgen.

Zu viele Infarkte in Sachsen zu spät behandelt

Unterschiede zwischen den Bundesländern zeigten sich auch hier. Im Saarland wurde jeder neunte Infarkt in einer Klinik ohne Herzkatheterlabor behandelt, in Sachsen war es jeder elfte Fall. „Zu viele Herzinfarktpatienten in Sachsen erhalten noch nicht oder zu spät die notwendige Behandlung. Das führt dazu, dass die Sterblichkeitsrate teilweise deutlich über dem bundesweiten Durchschnitt liegt“, erklärt Sachsens AOK-Chef Striebel.

In Hamburg wurden fast alle Patienten in eine entsprechend gut ausgestattet Klinik eingewiesen. „Ganz offensichtlich gibt es in einigen Ländern nach wie vor große Probleme bei der Steuerung der Patienten in die geeigneten Kliniken. Denn eigentlich haben wir in Deutschland keinen Mangel an Herzkatheterlaboren“, sagte Günster.

Insgesamt seien in 80 Städten Patienten in Kliniken ohne Herzkatheterlabor behandelt worden, obwohl im gleichen Ort ein adäquates Haus existierte. „Das ist ein Problem, das planerisch gelöst und mit der Krankenhausreform angepackt werden sollte“, sagte Günster. Der Wissenschaftler sieht die vom Bundesgesundheitsministerium vorgesehene Umstrukturierung als Chance für bessere Behandlungsqualität.

Auslastung der Kliniken sinkt

Kernstück der Krankenhausreform ist die Bündelung bestimmter Behandlungen in den dafür am besten geeigneten Kliniken. „Das gilt es nun konsequent umzusetzen“, sagte Carola Reimann, Chefin des AOK-Bundesverbands. Zwar blieben dadurch nicht alle Krankenhäuser in ihrer jetzigen Form erhalten. „Aber nach wie vor werden viel zu viele Patienten in Kliniken behandelt, die technisch und personell nicht adäquat dafür ausgestattet sind.“

Die aktuelle Analyse des WIdO macht zudem deutlich, dass die Reform auch aus wirtschaftlichen Gründen erforderlich ist – denn die Auslastung sinkt. 2023 wurden in deutschen Krankenhäusern knapp 14 Prozent weniger Fälle organischer Erkrankungen behandelt als 2019. Noch deutlicher ging die Zahl bei den Erkrankungen zurück, die nicht zwingend stationär behandelt werden müssten.

„Hier hat die Pandemie offenbar die stärkere Ambulantisierung von Leistungen befördert“, sagte Professor Jochen Schmitt vom Universitätsklinikum Dresden. Er ist Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung.

Neues Modell hilft bei der Krankenhausplanung

Gemeinsam mit dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen hat diese ein neues Simulationsmodell erarbeitet. Es berücksichtigt Qualität, Leistungsfähigkeit und Erreichbarkeit von Krankenhaus-Standorten und zeigt, welche Abteilungen für welche Erkrankung in der jeweiligen Region benötigt werden – und im Sinne der Daseinsvorsorge von den Ländern gestützt werden sollten. „Das Modell soll die Krankenhausplanung der Bundesländer unterstützen“, so Schmitt. Es könne zudem die Basis für eine Vorhaltefinanzierung sein, die sich an der Bevölkerung orientiert.

Die Gesetzespläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zielen darauf ab, die Vergütung mit Pauschalen für Behandlungsfälle zu ändern. Damit sollen Kliniken von dem finanziellen Druck gelöst werden, möglichst viele Patienten behandeln zu müssen. Künftig sollen Krankenhäuser 60 Prozent der Vergütung allein schon für das Vorhalten von Angeboten bekommen. Grundlage der Finanzierung durch die Krankenkassen sollen genauer definierte Leistungsgruppen mit einheitlichen Qualitätsvorgaben sein. (mit dpa)