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„Gewalt hat viele Gesichter“

Das Frauenschutzhaus des Landkreises bietet Betroffenen Zuflucht. Auch wenn’s voll ist, wird niemand weggeschickt.

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© dpa

Pirna. Häusliche Gewalt ist leider auch im Landkreis ein Thema. Immer wieder kommt es vor, dass Frauen geschlagen oder unterdrückt werden. Darunter leiden nicht nur die unmittelbar Betroffenen, sondern auch deren Kinder. Hilfe finden sie im Frauen- und Kinderschutzhaus in Pirna, das vom Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) Königstein/Pirna betrieben wird. Die SZ sprach mit Geschäftsführerin Alies Domaschke darüber, wer kommt und welche konkreten Hilfsangebote gemacht werden.

Alies Domaschke Geschäftsführerin vom ASB Ortsverband Königstein/Pirna. Der ASB ist Träger des Frauen- und Kinderschutzhauses.
Alies Domaschke Geschäftsführerin vom ASB Ortsverband Königstein/Pirna. Der ASB ist Träger des Frauen- und Kinderschutzhauses. © privat

Frau Domaschke, warum braucht der Landkreis ein Frauen- und Kinderschutzhaus?

Die traurige Tatsache ist, dass es auch in unserer Region Frauen gibt, die Gewalt in ganz unterschiedlichen Formen erleben. Aus diesem Grund benötigen sie für sich und ihre Kinder einen Schutzraum, in dem sie sicher sind. Es sind Frauen, die zum Teil über Jahre von ihrem Partner geschlagen wurden. Manche Schutzsuchende wurde auch mental misshandelt.

Bitte werden Sie konkret.

Ich rede jetzt von Frauen, die von ihrem Partner extrem eingeengt werden. Ihnen wird vorgeschrieben, wie sie zu funktionieren haben, ihnen werden die finanziellen Mittel entzogen. Diese Frauen sind nicht mehr selbstbestimmt, sondern begeben sich immer mehr in die Abhängigkeit ihres Partners, die sie zerstören kann. Gewalt hat folglich viele Gesichter.

Oftmals trifft die Gewalt nicht nur die Mütter, sondern auch die Kinder. Was macht das mit ihnen?

Die Kinder leiden entsetzlich. Sie sind oft traumatisiert, in vielen Fällen sehr schwer. Die genauen Konsequenzen kann man gar nicht abschätzen, die zeigen sich oftmals erst in der späteren Entwicklung. Manche Frauen suchen das Schutzhaus übrigens auf, um nicht sich selbst, sondern in erster Linie ihre Kinder zu schützen.

Das Frauenschutzhaus bietet Unterkunft für acht Frauen und deren Kinder. Wie viele kommen?

Insgesamt über das Jahr gesehen waren wir 2017 zu 97 Prozent ausgelastet. In den zwölf Monaten kamen zwölf Frauen und deren Kinder bei uns unter.

Und wenn alle Plätze belegt sind?

Dann schicken wir niemanden weg, sondern überweisen die Betroffenen an andere Frauenschutzhäuser. Besonders gut arbeiten wir mit den Einrichtungen in Dresden und im Landkreis Bautzen zusammen.

Oft wird kolportiert, dass Frauen aus niedrigen sozialen Schichten Opfer von häuslicher Gewalt werden ....

Und dieses Vorurteil stimmt nicht. Zu uns kommen Frauen aus allen Schichten, von der Berufstätigen bis hin zur Sozialhilfeempfängerin, von jung bis alt. Sie sind unterschiedlicher Herkunft. 2017 wohnten neun deutsche Frauen und drei mit Migrationshintergrund in dem Schutzhaus.

Das Frauenschutzhaus ist anonym. Wie finden die Betroffenen den Weg in die Einrichtung?

Einige melden sich direkt bei uns. Die Notfallnummer des Frauenschutzhauses ist in den Medien, im Telefonbuch, im Internet veröffentlicht. Außerdem haben wir zahlreiche Visitenkarten ausgelegt. Ruft eine Betroffene bei uns an, dann verabreden wir mit ihr einen neutralen Treffpunkt, an dem eine ASB-Mitarbeiterin sie abholt und sicher ins Frauenschutzhaus bringt. Somit wird verhindert, dass ein Partner sich unbefugten Zutritt zum Schutzhaus verschafft. Aber wir sind auch in dem Netzwerk der Beratungsstellen aktiv, wie zum Beispiel Familienberatung, Polizei, Rechtsanwälte oder Jugendamt. Diese Partner vermitteln bei Bedarf Opfer häuslicher Gewalt an unser Frauenschutzhaus.

Welche Hilfe erhalten die Schutzsuchenden?

Vorweg: In der Regel dürfen die Frauen mit ihren Kindern bis zu drei Monaten in der Einrichtung wohnen. Aber wir machen auch Ausnahmen, es kommt immer auf die individuelle Situation an. Sind die Frauen in dem Schutzhaus angekommen, erleben sie erst mal ein Gefühl der Sicherheit und können zur Ruhe kommen. Wenn sie sich entscheiden, ihren Partner zu verlassen, helfen wir bei der Suche nach einer neuen Wohnung. Entschließt sich die Betroffene wieder zurückzukehren, versuchen wir mithilfe anderer Kooperationspartner, diesen Prozess zu begleiten, sodass die Situation gewaltfrei bleibt.

Wie finanziert sich das Frauen- und Kinderschutzhaus?

Der Freistaat Sachsen und der Landkreis fördern die Einrichtung. Allerdings zahlen die Frauen selber einen Eigenanteil, je nach finanzieller Situation. Manchmal bekommen wir auch Spenden. So ruft die Kirchgemeinde Sebnitz zum Erntedankfest regelmäßig zu Sachspenden für das Haus auf.

Abschlussfrage: Wie sollte man sich verhalten, wenn man bemerkt, dass in der Nachbarwohnung, bei Freunden oder Verwandten häusliche Gewalt ausgeübt wird?

Auf keinen Fall schweigen. Man sollte mit den Betroffenen sprechen. Wenn es extrem ist, kann es auch angezeigt sein, die Polizei zu rufen.

Das Gespräch führte Mareike Huisinga.

Frauenschutzhaus: Telefon 03501 547160; www.asb-koenigstein-pirna.de