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Tiefster Westen will in Görlitz den tiefsten Osten treffen

Ein Verein aus Aachen will die Ostdeutschen besser verstehen lernen und reist deshalb an die Neiße. Gesprächspartner hier werden noch gesucht.

Von Matthias Klaus
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Das sind Vereinsmitglieder vom Gut! Branderhof in Aachen.
Das sind Vereinsmitglieder vom Gut! Branderhof in Aachen. © Verein

Aachen ist von Görlitz aus gesehen allertiefster Westen der Republik. Einmal quer durch sozusagen, von Ost nach West. Fahrzeit auf der Autobahn, viele Baustellen berücksichtigt, etwa acht Stunden, reichlich 750 Kilometer. Aachen hat mit Görlitz einiges gemeinsam. Die Autobahn A4 gibt es da. Aachen liegt wie Görlitz in einer Drei-Länder-Region. Euregio Maas-Rhein heißt sie dort, Aachen liegt im Grenzgebiet Deutschland, Niederlande und Belgien. War es das schon mit den Gemeinsamkeiten zwischen tiefstem Westen und tiefstem Osten?

Das möchte jetzt eine Gruppe Aachener herausfinden. "Nicht übereinander reden, sondern miteinander", heißt deren Motto. Deshalb machen sie sich auf den Weg quer durch die Republik, auf nach Görlitz. Die Gruppe besteht aus Mitgliedern des Nachbarschaftszentrums "Gut! Branderhof" in Aachen. "Wir möchten Menschen treffen, die schon lange in Görlitz leben, eventuell dort geboren sind, dort die Wende miterlebt haben", sagt Ingeborg Haffert. Sie ist die Vorsitzende des Vereins "Gut! Branderhof".

Aachener reisen quer durch die Republik

Bei diesem Nachbarschaftszentrum handelt es sich um einen über 500 Jahre alten Gutshof, den der Verein mithilfe der Stadt und der auch noch der Stadt gehört, zu einem Ort der Begegnung für das dortige Viertel ausgebaut hat. Zwei Dinge haben die Vereinsmitglieder während ihres Engagements erfahren, so Ingeborg Haffert: Wie sehr sich Menschen in diesen herausfordernden Zeiten nach Zugehörigkeit und einem einfachen unkomplizierten Miteinander sehnen und wie wichtig persönliche Begegnungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind.

"Bei uns kam der Gedanke auf, ob solche Begegnungen von Mensch zu Mensch nicht auch eine Bereicherung für die Beziehungen zwischen Ost- und Westdeutschen sein könnten", so die Vereinsvorsitzende. Anlass waren letztendlich auch die Ergebnisse einer Studie des Leipziger Else-Frenkel Brunswik-Institutes für Demokratieforschung in Sachsen. Da heißt es unter anderem, dass die Sehnsucht nach der DDR ausgeprägt sei und von zwei Dritteln der Sachsen geteilt werde. Zudem wünsche sich jeder Zweite eine "starke Partei", die die "Volksgemeinschaft" insgesamt verkörpere.

Brauchen wir eine "zweite Wiedervereinigung"?

Ergebnisse, die die Aachener Vereinsmitglieder offenbar stark beeindruckt, gar bedrückt gemacht haben. Ergebnis nach Gesprächen im Verein: Wir wissen wirklich zu wenig übereinander im Osten und Westen des Landes. "Und wir haben uns gefragt: Warum fühlen sich unsere ostdeutschen Nachbarn von uns Westdeutschen bis heute oft nicht verstanden, nicht gesehen, in ihrer Leistung nicht wertgeschätzt? Brauchen wir eine zweite Wiedervereinigung", so Ingeborg Haffert.

Um diese Fragen zu beantworten, entstand die Idee, einen direkten Kontakt mit Menschen aus Görlitz zu suchen, "gemeinsame Zeit mit ihnen zu verbringen mit dem Ziel, sich tiefer kennen- und verstehen zu lernen", so die Vereinsvorsitzende.

Aachener ziehen ins Görlitzer "Kühlhaus"

Ort der Begegnung wird das "Kühlhaus" in Görlitz. Hier ziehen 14 Vereinsmitglieder aus Aachen vom 2. bis 7. Juli ein. Hier soll unter anderem gemeinsam gekocht werden. Zudem sind gemeinsame Wanderungen geplant, Besuch von Sehenswürdigkeiten und vor allem ein Gesprächskreis. Für letzteren ist ein Tag veranschlagt.

Vorgesehen sind Zweiergespräche. Ingeborg Haffert: "Uns geht es darum, empathisch zuzuhören, nichts zu bewerten oder zu beurteilen, was dort gesagt wird." Im Zuhören wollen die Aachener sich deshalb nun noch extra schulen lassen, genauer gesagt in "wertschätzender Kommunikation". Auch wenn Meinungen und Ansichten mal auseinandergehen, sollen die Gesprächspartner immer noch Respekt und eben Wertschätzung vom Gegenüber haben. "Das Ganze ist ein sehr sensibles Vorhaben", weiß Ingeborg Haffert.

Film über das Treffen geplant

Eine Dokumentarfilmerin aus den Reihen des Vereins wird den Aufenthalt der Aachener in Görlitz begleiten. "Sie würde - das Einverständnis aller Beteiligten vorausgesetzt - die gemeinsamen Erlebnisse mit aller gebotenen Sensibilität einfangen und am Ende aus dem Drehmaterial einen Dokumentarfilm erstellen", so Ingeborg Haffert. Der Streifen soll dann zusammen mit den Görlitzern angeschaut werden, möglichst soll es dann ein Einverständnis zur Veröffentlichung geben.

Der Film, so hofft der Aachener Verein solle eine Art Ermutigung und Anregung für andere ost- und westdeutsche Gemeinden, Initiativen und Vereine werden, sich selber auf diese persönliche Art von Ost-West-Begegnungen einzulassen. "Ein Experiment mit offenem Ausgang", so Ingeborg Haffert.

Soweit die Pläne der Aachener. Nun fehlen noch die Görlitzer, die sich mit ihnen treffen möchten. "Wir reisen ja als Gruppe an. Vielleicht findet sich ja in Görlitz ebenfalls eine Gruppe, ein Verein, der Interesse hat?", sagt Ingeborg Haffert. Aber natürlich sei jeder herzlich eingeladen. Anmelden kann man sich direkt per E-Mail beim Verein in Aachen unter [email protected]. Ingeborg Haffert: "Die E-Mails landen dann direkt bei mir auf dem Tisch."