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Was die Altenheime aus Corona lernen

Mitarbeiter in 53 Pflegeheimen im Kreis Görlitz tun alles, damit sich deren Bewohner nicht einsam fühlen. Völlige Normalität wird aber noch dauern.

Von Constanze Junghanß
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Um die Abstandsregeln einzuhalten, sang Nicci Schubert am Nieskyer Altenheim auf einer ausgefahrenen Feuerwehrleiter.
Um die Abstandsregeln einzuhalten, sang Nicci Schubert am Nieskyer Altenheim auf einer ausgefahrenen Feuerwehrleiter. © André Schulze

Görlitz. Einsam und allein im Zimmer. 14 Tage Isolation. „So soll es definitiv nie wieder sein.“ Jana Nickolmann sagt diesen Satz mit Nachdruck in der Stimme. Die Heimleiterin des Awo-Zentralhospitals Görlitz erinnert sich, wie schlimm für die Bewohner aber auch die Mitarbeiter die Corona-Zeit im März vor zwei Jahren war. Da galten Besuchsverbote in Pflegeheimen, erkrankte Bewohner – so schrieben es die Regelungen vor – wurden 14 Tage in ihrem Zimmer abgekapselt, sahen die Pflegekräfte nur im Vollschutz verpackt.

Ein Bild aus Vor-Corona-Zeiten: Awo-Altenheimleiterin Jana Nickolmann im Gespräch mit einer Heimbewohnerin.
Ein Bild aus Vor-Corona-Zeiten: Awo-Altenheimleiterin Jana Nickolmann im Gespräch mit einer Heimbewohnerin. © Pawel Sosnowski/pawelsosnowski.c

Im Landkreis Görlitz gibt es 53 Alten- und Pflegeheime mit rund 3.800 vollstationären Pflegeplätzen.

Einsamkeit ist die gravierendste Folge der Corona-Schutzmaßnahmen für Pflegeheimbewohner. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Berliner Charité. Dafür wurden auf anonymer Basis Pflegeheime befragt sowie deutschlandweit unter anderem Stichproben aus den Daten des AOK-Pflegenavigators gezogen. Demnach bestätigten 91,3 Prozent des Pflegepersonals Folgewirkungen der Schutzmaßnahmen für die Bewohner.

Als häufigste Folge der Maßnahmen und mit 82,3 Prozent gaben Bewohner Einsamkeit an. Ebenso berichteten fast sieben Prozent der Pfleger von starker Trauer, Depression und teilweise von Versterben durch Einsamkeit. Die Studienergebnisse wurden unter anderem vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen veröffentlicht.

Auch Jana Nickolmann weiß, dass Mitarbeiter bei einer solchen Studienbefragung mitmachten. In letzter Zeit jedoch sei Einsamkeit kein so großes Thema mehr. Und die Mitarbeiter des AWO-Zentralhospitals setzen alle Hebel in Bewegung, damit sich die ihnen anvertrauten Menschen nicht einsam fühlen. Die gemeinsamen Mahlzeiten im Saal, die Angebote der Alltagsgestalter, Spaziergänge, der wöchentliche Abendtreff zum Beispiel sorgen für Gemeinsamkeit statt Einsamkeit. Und doch: Die Besuche von Angehörigen und Freunden sind aufgrund der Pandemie reglementiert. Zweimal wöchentlich auf jeweils eine Stunde, maximal zwei Besucher gleichzeitig. Heimbewohner, die zu Besuch abgeholt werden und nicht geimpft sind, müssen für vier Tage in „Zimmerisolation“. Noch lassen die gesetzlichen Regelungen keine Normalität zu.

Kreis trifft keine pauschalen Aussagen

Das weiß auch das Landratsamt, das für die Umsetzung der Corona-Auflagen zuständig ist. Pauschale Aussagen zu den Kontaktbeschränkungen, die jedes Haus in Hygienekonzepten geregelt hat, könnten vonseiten des Kreises nicht getroffen werden, sagt Kreissprecherin Franziska Glaubitz. Die Regeln müssten die Waage halten zwischen dem Schutz der Bewohner vor einer Infektion und andererseits aber möglichen negativen Auswirkungen auf deren Lebenslage.

So ist beispielsweise bei den Pflegeheimen der Diakonie St. Martin in der Besucherregelung aufgeführt: „Grundsätzlich bitten wir Sie, zu prüfen, ob ein Besuch in der aktuellen Situation wirklich notwendig ist und Sie nicht auf andere Kommunikationsmittel ausweichen können.“ Und ebenso, - unterlegt mit hervorgehobener Schrift - dass körperlicher Kontakt nicht gestattet sei. Dieser Passus ist bei anderen Trägern, wie dem ASB, AWO oder DRK nicht zu finden. Doreen Lorenz, Sprecherin der Diakonie, erklärt, dass so der Mindestabstand eingehalten werden soll. Also keine Umarmung, kein Streicheln über die Wange oder den Handrücken und damit trotz Nähe ein Stück Einsamkeit?

Von einer „Herausforderung“ spricht Susan Wagenblaß vom Seniorendienst des DRK Görlitz und meint damit die Zeit der Besucherstopps. Die körperliche Nähe fehlte den Bewohnern und gerade während der Quarantänezeit sei diese auch nur sehr begrenzt möglich. Zwei Pflegeheime betreibt das DRK in Görlitz mit 132 Plätzen. Einsamkeit entgegenzuwirken, sei wichtig. Telefonanrufe beispielsweise ermöglichte die Einrichtung, damit der Kontakt zu den Angehörigen nicht abriss, und Mitarbeiter stellten ihre Tablets zur Verfügung, damit Bewohner mit ihren Familien per Skype Kontakt aufnehmen konnten.

Demenzfreundlicher Garten als Treffpunkt

Technisch war das aber nicht für jeden Angehörigen machbar. Dass Menschen aufgrund von Einsamkeit in der Einrichtung verstarben, sei nicht passiert. Es werde auch viel getan, um Bewohner einzubinden. So entstand beispielsweise der demenzfreundliche Garten – ein Treffpunkt auch für diejenigen Menschen, die nicht mehr eigenständig mobil sind und im Pflegerollstuhl dort die Natur genießen können.

Es gebe jedoch auch Menschen, die vor dem Umzug ins Pflegeheim in Einsamkeit lebten und lieber für sich bleiben wollen. „Manche möchten das, wenn das auch eher selten vorkommt“, wie Frau Wagenblaß weiß. Mittlerweile sind die Besuchszeiten in den DRK-Heimen täglich am Nachmittag wieder möglich. So, wie in allen Einrichtungen mit Hygieneauflagen wie Test und FFP2-Maske für die Besucher.

Kreissprecherin Glaubitz sagt, dass das Thema Alter und Einsamkeit sowie die Auswirkungen auf die Betroffenen in Deutschland bislang nicht ausreichend erforscht seien. „Aktuell steigt jedoch die Zahl wissenschaftlicher Publikationen, die sich diesem Thema widmen und nach möglichen Lösungen suchen, um die Einsamkeit zu verringern“, so die Kreissprecherin. Private Besuche in stationären Pflegeeinrichtungen seien ein ganz wichtiger Bestandteil der Versorgung und für das psychische Wohlbefinden von sehr hoher Bedeutung.

Rosen vom Bündnis „Görlitz bleibt bunt“

AWO-Heimleiterin Jana Nickolmann freut sich sehr, dass in dieser doch nicht so leichten Zeit auch andere Menschen an die Pflegebedürftigen denken. Kürzlich gab es Rosen für das Heim vom Bündnis „Görlitz bleibt bunt“, die „Spendenfee“ Anne Kraft brachte letzte Woche drei Eimer Tulpen, zu Weihnachten hatten viele Kinder der Nikolaigrundschule liebevolle Karten gebastelt, ebenso die Jugendgruppe von St. Wenzel. Lichtblicke und Freuden für viele Senioren gegen Einsamkeit.