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Sachsens Grenzregion hat hohe Erwartungen an neue polnische Regierung unter Donald Tusk

Die Kontakte zwischen Sachsen, Tschechien und Polen rissen in den vergangenen Jahren nicht ab. Doch es fehlte der Rückenwind aus Warschau. Nun gibt es neue Hoffnung für Wärmeversorgung, Turow-Lösung und Migration. Schüler haben in Ostritz schon mal losgelegt.

Von Sebastian Beutler
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Am Freitag kamen in Ostritz Schüler aus Görlitz und Berlin zusammen. Im Polen Mobil erfuhren sie viel über das Nachbarland.
Am Freitag kamen in Ostritz Schüler aus Görlitz und Berlin zusammen. Im Polen Mobil erfuhren sie viel über das Nachbarland. © Jens Kaczmarek

Schüler aus Berlin und Görlitz haben an diesem Wochenende Polen spielerisch erlebt. Im Begegnungszentrum St. Marienthal trafen sie sich auf Einladung der Initiative KoKoPol und erfuhren in Filmen und bei Bewegungsspielen im "Polen Mobil" des Deutschen Polen-Instituts näheres über das Nachbarland. Die Zwölf- bis 17-Jährigen haben ein besonderes Interesse an Polen. Die meisten von ihnen haben polnische Mütter oder Väter, zusammen mit ihren Familien leben sie in Deutschland. Und in ihrer Freizeit lernen sie Polnisch.

Angeboten werden diese Kurse über Volkshochschulen oder die Polonia-Verbände von der KoKoPol-Initiative des mittlerweile 70-jährigen Sprachlehrers Gunnar Hille. Er stammt aus der früheren niedersächsischen Grenzstadt Helmstedt und wollte sich schon als junger Mensch nicht damit abfinden, dass am Eisernen Vorhang die Welt zu Ende war. So studierte er Slawistik, war zehn Jahre lang Dolmetscher für Bulgarisch im Auswärtigen Amt, baute in dessen Auftrag ein Sprachenzentrum mit Schwerpunkt osteuropäische Länder auf. Als er vor einigen Jahren in Pension ging, wollte er seine Kenntnisse einbringen und startete die KoKoPol-Initiative, die ihren Hauptsitz im IBZ St. Marienthal im Kreis Görlitz hat. KoKoPol steht dabei für Kompetenz- und Koordinationszentrum Polnisch.

Zweites Standbein für polnischstämmige Kinder

KoKoPol-Sprecher Gunnar Hille (Mitte) freut sich über die weitere Förderung seiner Initiative. Hier im Winter 2022 mit Dr. Michael Schlitt (Vorstandsvorsitzender des IBZ) und Julian Schorr (Projektmanager KoKoPol).
KoKoPol-Sprecher Gunnar Hille (Mitte) freut sich über die weitere Förderung seiner Initiative. Hier im Winter 2022 mit Dr. Michael Schlitt (Vorstandsvorsitzender des IBZ) und Julian Schorr (Projektmanager KoKoPol). © IBZ

Seit Ende 2022 baut er es auf, hat dafür auch eine Startförderung der Bundesregierung erhalten, zunächst eine Million Euro, seit dem Herbst steht fest, dass 2024 und 2025 jeweils zwei Millionen Euro in die Sprachförderung polnischstämmiger junger Leute im KoKoPol-Projekt fließt. Es ist praktisch das Spiegelvorhaben zum Deutschunterricht für die deutsche Minderheit in Polen, vor allem in Oberschlesien. Beides ist im deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag verankert.

Mit dem Unterricht für die polnischstämmigen Kinder verbindet Hille das Ziel, ihr zweites Standbein für ihre Zukunft zu stärken. Indem sie Deutsch und Polnisch verstehen und anwenden, lernen sie auch ihre beiden Heimatländer besser kennen und können später in ihren Berufen zu wichtigen Mittlern zwischen Polen und Deutschland werden.

Dass das künftig wieder leichter möglich ist, ist die große Erwartung an die neue polnische Regierung mit Ministerpräsident Donald Tusk, die seit wenigen Tagen im Amt ist und als europafreundlich gilt. Diese Hoffnung ist in der deutsch-polnischen Grenzregion entlang der Neiße mit Händen zu greifen, wie eine Recherche der SZ ergab. Zwar hatten die lokalen Verwaltungen ihre Kontakte und Partnerschaften über die Grenzen hinweg fortgesetzt. Görlitz versteht sich mit Zgorzelec als eine Europastadt, Zittau bildet zusammen mit Bogatynia und Hradek ein Städtedreieck, der Landkreis Görlitz pflegte die Zusammenarbeit mit den Landräten in Zgorzelec und Zary und der Freistaat hielt Kontakt mit den Behörden der Woiwodschaft Niederschlesien in Wroclaw sowie Lebus in Zielona Gora.

Künftige Projekte: Wärmeversorgung, Migration, Wirtschaft

Aber ihnen allen fehlte für bestimmte Vorhaben der Rückenwind aus Warschau. "Eine gewisse Zurückhaltung" beobachtete dann beispielsweise der Görlitzer Oberbürgermeister Octavian Ursu. In einem zentral organisierten Land wie Polen ist diese Unterstützung wichtiger als beispielsweise in Deutschland, wo die Länder deutlich mehr Kompetenzen als die Woiwodschaften besitzen. So fiel das Fehlen dieses Rückenwindes stärker ins Gewicht.

Jetzt hofft Ursu, dass Warschau nun das Vorhaben stärker unterstützt, eine gemeinsame klimaneutrale Wärmeversorgung von Görlitz und Zgorzelec aufzubauen, die mittlerweile Investitionen von über 150 Millionen Euro erfordert. Auch die Dresdner Staatskanzlei nennt dieses Vorhaben auf Nachfrage der SZ, wofür es "die Unterstützung von der Regierung in Warschau braucht". Regierungssprecher Ralph Schreiber nennt auch den Kampf gegen irreguläre Migration und eine bessere wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Sachsen und dem polnischen Niederschlesien sowie dem Lebuser Land als Politikfelder, die nun leichter fallen könnten.

Der Tagebau Turow und die Umstände der Betriebsverlängerung haben die Atmosphäre im Dreiländereck vergiftet.
Der Tagebau Turow und die Umstände der Betriebsverlängerung haben die Atmosphäre im Dreiländereck vergiftet. © Archiv/Matthias Weber

Der Görlitzer Landrat Stephan Meyer hat am Donnerstag bei einem Treffen von Regionalplanern im Dreiländereck gleich zehn Schwerpunkte für die künftige grenzüberschreitende Zusammenarbeit genannt, darunter den Ausbau trinationaler Studiengänge und grenzüberschreitender Wissenschaftskooperationen, wie es das Casus-Institut in Görlitz bereits vormacht, das Rettungswesen und den Katastrophenschutz oder auch die Zusammenarbeit der Behörden. Infrastrukturprojekte gehören genauso dazu, wie die Elektrifizierung des grenzüberschreitenden Bahnverkehrs, die Anbindung der Radwegenetze oder auch der Bau von weiteren Grenzübergängen und Straßenverbindungen wie beispielsweise im Görlitzer Norden.

Im Zittauer Rathaus wiederum hofft man, dass der Streit um die Laufzeit des Tagebaus Turow und dessen Auswirkungen auf die Sicherheit und die Grundwasserversorgung des Raums Zittau mit der neuen Regierung nun eher gelöst werden kann.

Polnischer Bürgermeister setzt auf mehr Investitionen

Das hofft auch der Bürgermeister der Stadt Zgorzelec, Rafal Gronicz. Denn das einseitige Festhalten an der Kohleförderung in Turow hat die Stadt um Gelder aus dem Just Transition Fund gebracht, mit der die EU Unternehmen und Strukturwandel-Regionen in ihren Mitgliedsländern fördert. Die Politik der abgewählten Regierung hatte Zgorzelec Einnahmeverluste von sechs Millionen Zloty (rund 1,5 Millionen Euro) im Jahr beschert. "Das ist ein erheblicher und sehr spürbarer Verlust in der Stadtkasse", sagt Gronicz. Die Folge: Ausgaben mussten gekürzt, Investitionen gestrichen werden. Zgorzelec will seit Jahren das Hallenbad und das Freibad der Stadt modernisieren, eine neue Stadtbibliothek errichten, ein Jugendzentrum wie in Görlitz das soziokulturelle Zentrum "Werk 1" aufbauen und den Nahverkehr ausbauen.

Vor allem verbindet Gronicz die Hoffnung mit der neuen Regierung, für die er auch selbst bei Demonstrationen in Warschau auf die Straßen gegangen ist, die Rückkehr zu Rechtsstaatlichkeit und eine Reform des polnischen Bildungssystems.

Pläne für einen Sachsen-Abstecher der großen Polen-Radrundfahrt

Staatssekretär Conrad Clemens (li.) mit Tour-Organisator Czeslaw Lang (Mitte) und dem polnischen Botschafter in Berlin, Dariusz Pawlos, bei einem Vorbereitungstreffen am 12. Dezember 2023 in Berlin.
Staatssekretär Conrad Clemens (li.) mit Tour-Organisator Czeslaw Lang (Mitte) und dem polnischen Botschafter in Berlin, Dariusz Pawlos, bei einem Vorbereitungstreffen am 12. Dezember 2023 in Berlin. © Freistaat Sachsen

Wie groß die Möglichkeiten zwischen beiden Ländern sind, zeigte auch ein Treffen in der polnischen Botschaft vor wenigen Tagen. An ihm nahm auch Czeslaw Lang teil. Er gewann 1980 in Moskau die Silbermedaille im olympischen Straßen-Radrennen und ist seit 1993 Organisator der landesweiten Radrundfahrt "Tour de Pologne", die vergleichbar mit solchen Länderrundfahrten wie dem Giro in Italien oder der Vuelta in Spanien ist. Lang selbst ist in Polen so bekannt wie Täve Schur hierzulande.

Lang nun plant, in den kommenden Jahren eine Etappe der Radrundfahrt, an der alle wichtigen Profi-Radställe teilnehmen, nach Sachsen und Brandenburg zu führen. Womöglich schon 2025. Conrad Clemens, der Vertreter Sachsens beim Bund in Berlin, findet die Idee großartig und kann sich auch eine Route über Görlitz, Löbau, Bautzen bis nach Dresden vorstellen. Quer durch die Oberlausitz.

Und wer weiß, vielleicht sind dann eines Tages auch einige der Schüler im Tross der Rundfahrt, die an diesem Wochenende in St. Marienthal das Fundament jedes Verstehens legten: das Erlernen der Nachbarsprache.