Görlitz
Merken

Historiker spricht Tacheles in der Görlitzer Synagoge

Michael Wolffsohn zog am Dienstagabend viele Interessierte im Kulturzentrum in seinen Bann. Auch wenn seine Prognosen für Israel nicht sehr zuversichtlich klangen.

Von Sebastian Beutler
 3 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Professor Dr. Michael Wolffsohn signiert seine Bücher nach seiner Rede in der Reihe "Tacheles - Die Görlitzer Rede"  im Kulturforum Görlitzer Synagoge.
Professor Dr. Michael Wolffsohn signiert seine Bücher nach seiner Rede in der Reihe "Tacheles - Die Görlitzer Rede" im Kulturforum Görlitzer Synagoge. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Der Historiker Michael Wolffsohn zog am Dienstagabend ein zahlenmäßig großes Publikum im Kulturzentrum „Görlitzer Synagoge“ an. Der 76-Jährige hielt die zweite Tacheles-Rede, nachdem im Vorjahr die Journalistin Patricia Schlesinger den Auftakt zu der einmal im Jahr stattfindenden Veranstaltung gemacht hatte. Schlesinger sprach dabei über ihren Görlitzer Großvater, der Kind einer jüdischen Mutter war und nur durch die Hilfe seiner Frau den Zweiten Weltkrieg überlebte.

Wolffsohns Eltern wanderten in den 1930er-Jahren nach Palästina aus, wo er 1947 in Tel Aviv geboren wurde. Sieben Jahre später kehrte die Familie nach Deutschland zurück, Wolffsohn studierte Geschichte, Politik und Volkswirtschaft und lehrte schließlich als Professor an der Bundeswehr-Universität in München Neuere Geschichte.

  • Hier können Sie sich für unseren kostenlosen Görlitz-Niesky-Newsletter anmelden.

Weniger bekannt ist, dass er von seinem Großvater Karl Wolffsohn im Berliner Stadtteil Gesundbrunnen die Wohnsiedlung „Gartenstadt Atlantic“ geerbt hat, die er Anfang der 2000er-Jahre sanierte und wo er über eine Stiftung mit seiner Frau deutsch-türkische Integrationsprojekte mit Lernwerkstätten, Museen und einer Literatur- und Theaterwerkstatt initiierte. Den wachsenden, teilweise auch wieder mörderischen Antisemitismus von Rechts- und Linksextremisten, aber auch von muslimischen Einwanderern sieht Wolffsohn auch als eine besondere Gefahr für jüdische Einwohner in Amerika, in Europa und auch in Deutschland an.

  • Hier können Sie sich für unseren kostenlosen Görlitz-Niesky-Newsletter anmelden.

Und das in einem Moment, wo weltoffene Israelis ihr Land wieder in Richtung Amerika und Europa verlassen. Denn in Israel selbst verändert sich die politische und kulturelle Situation dadurch, dass die orthodoxen Juden sowie die nicht-jüdischen Orientalen immer größere Bevölkerungsteile ausmachen. Zusammen mit der Bedrohung durch die nuklearen Fähigkeiten des Irans und von dessen Verbündeten ergibt sich für Wolffsohn ein bedrohliches Szenario für den Staat Israel, das er in das Bild von der „Existenz auf Widerruf“ fasste.

Das allerdings sei für die Juden nichts Neues. Denn seit 2.500 Jahren, seit die Königreiche Israel und Judäa im heutigen Nahen Osten untergingen, sei das die Realität für die jüdische Gemeinschaft. Zugleich hätten aber Antisemitismus, Bedrohung von außen und religiöse Vielfalt der Juden dazu beigetragen, dass die Gemeinschaft überlebte und der Staat Israel eine außergewöhnliche Leistung in 75 Jahren vollbrachte. Er ist trotz aller Probleme ein hoch entwickeltes Land, teilweise Weltspitze, seine vibrierende Start-up-Szene ist weltweit beachtet und führend.

Nicht zuletzt hofft auch Görlitz auf die Zusammenarbeit von hiesigen mittelständischen Unternehmen mit jungen israelischen Gründern über das Gründerzentrum der Handelshochschule Leipzig, das vor Kurzem in Görlitz eine Zweigniederlassung eröffnete.