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Wie Amerika eine Görlitzer Ehrenbürgerin entdeckt

Dorothea Wüsten-Koeppen wurde vor 130 Jahren geboren. Die Frau des Künstlers Johannes Wüsten war selbst künstlerisch sehr aktiv. In Tschechien, Großbritannien und nun auch in den USA ist ihr Werk in Ausstellungen zu sehen.

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Ein Foto von Dorothea Wüsten-Koeppen, der Ehefrau des Görlitzer Künstlers Johannes Wüsten.
Ein Foto von Dorothea Wüsten-Koeppen, der Ehefrau des Görlitzer Künstlers Johannes Wüsten. © Archiv Thomas Wüsten

Von Wolfgang Geierhos

"Sehr geehrte Frau Wüsten!", schrieb der Görlitzer Museumsdirektor Professor Ernst-Heinz Lemper am 14. Dezember 1971. "Schon lange hatte ich vor, Ihnen wieder einmal zu schreiben, unterließ es aber, da mir von der Görlitzer Lehrerschaft und vom Rat der Stadt bekannt war, dass sie ohnehin mit allen möglichen Wünschen belegt wurden. Ich benutze nun die Tatsache, dass am gestrigen Tage die 14. Görlitzer Oberschule den Namen ,Johannes Wüsten' erhielt, um Ihnen meine Verbundenheit auszudrücken.

In den vielfältigen Beziehungen, die sich zwischen Ihnen und den Städtischen Kunstsammlungen Görlitz schon ergeben haben, blieb immer noch eines offen: Auch Sie gehörten einmal zur Görlitzer Künstlerschaft, sind aber bedauerlicherweise mit keinem Werk bei uns vertreten. Ich möchte Sie daher fragen, ob Sie uns Vorschläge zum Ankauf eines Gemäldes unterbreiten könnten, oder was sich sonst in Ihrer Hand für unsere Sammlungen anbietet. Sie sind durch viele Jahre hindurch für uns sozusagen das Auskunftsbüro in allen Johannes Wüsten betreffenden Fragen gewesen und es ist uns bisher entgangen, die eben angeschnittene Frage mit Ihnen einmal zu behandeln. Wir wollen dieses Versäumnis nun aber nicht länger stehenlassen und würden uns freuen, wenn eine entsprechende Nachricht von Ihnen bei uns eintrifft."

Es wurde aber auch höchste Zeit. Es war eine späte Erkenntnis, denn drei Jahre später, 1974, verstarb die Ehrenbürgerin der Stadt Görlitz am 11. November, drei Tage nach ihrem 81. Geburtstag.

Wie wenig über sie in Görlitz bekannt war, obwohl ein Kinderhort nach ihr benannt worden war, wurde in ihrem "Nachruf" des Rates und der Stadtverordnetenversammlung deutlich, als nicht nur das Todesdatum falsch angegeben wurde, sondern auch unterstellt wurde, ihr Mann sei, von Prag aus mit ihr nach England geflohen, wo er doch mit seiner Freundin Lotte Schwarz nach Paris ausgereist war, dort aber von der Gestapo verhaftet wurde und schließlich im Gefängnis Brandenburg-Görden 1943 verstarb.

So malte Johannes Wüsten 1927 seine Frau. Das Bild hängt im Görlitzer Kaisertrutz in der Sammlung der Moderne.
So malte Johannes Wüsten 1927 seine Frau. Das Bild hängt im Görlitzer Kaisertrutz in der Sammlung der Moderne. © Städtische Sammlungen Görlitz

Zwar muss die Überbetonung der Parteiarbeit – beide waren Mitglied der KPD – als Reminiszenz an die Zeit bewertet werden, aber weder wurde im Nachruf ihre Kritik an der KPD und der Stalinschen KPdSU erwähnt noch die künstlerischen Arbeiten gewürdigt.

Lotte Schwarz informierte nicht nur Johannes Wüsten, sondern auch Dorothea über die wahren Zustände im Stalinschen Russland. Denn Lotte Schwarz war als Tochter des österreichischen Botschafters in Moskau mit allen Politbüromitgliedern bekannt, mit Bucharin befreundet und erschüttert über dessen Schicksal. Sie konnte nach einem deutlichen Hinweis aus dem sowjetischen Außenministerium das Land verlassen und nach Prag, ihre Heimatstadt, zurückkehren. Damit wurde ihr ein Schicksal erspart wie es Susanne Leonhard, Wolfgang Leonhards Mutter, getroffen hatte, die fast fünfzehn Jahre ihres Lebens im Gulag-Lager in Workuta verbringen musste. Diese Distanz zum Partei-Apparat der KPD blieb Dorothea erhalten, prägt ihr Selbstverständnis als England-Emigrantin in der DDR, auch wenn sie vom Status der antifaschistischen Widerstandskämpferin profitierte.

In ihrer Görlitzer Zeit 1923 bis 1935 schuf sie ihre besten Werke, zuerst in der Keramik-Werkstatt von Walter Rhaue, später in der eigenen Manufaktur in der Kahle, heute Johannes-Wüsten-Straße. Ihre Arbeiten finden sich nicht nur in den Städtischen Kunstsammlungen, sondern auch im Grassi-Museum Leipzig, auch bei privaten Sammlern. Das gilt auch für ihre Ölbilder im Stil der Neuen Sachlichkeit. Dorothea besaß eine solide Ausbildung bei bekannten Malern, wovon auch ihr Mann profitierte, der den Schwerpunkt seiner Arbeit aber im Kupferstich fand und in seinen literarischen Werken.

Aus ihrer Zeit in Prag sind sehr schöne Aquarelle überliefert, Szenen vom Bad in der Moldau, Würstl’esser auf dem Jahrmarkt, Szenen aus Šarka, schließlich auch vom Aufenthalt am Fuße der Tatra. Sie illustrierte Märchen, malte Bildergeschichten, zum Teil unter dem Pseudonym "Malková".

Sie wird nicht nur anerkanntes Mitglied im "Kokoschka-Bund", sondern erscheint auch in der Mappe, die vierzehn emigrierte deutsche Künstler dem Präsidenten der Tschechoslowakischen Republik, Dr. Edvard Beneš, am 28. Mai 1938 zu seinem 54. Geburtstag überreicht haben. Leider konnte diese Mappe bisher nicht aufgefunden werden, es existiert nur ein Foto mit den Namen der Künstler, darunter, nach Oskar Kokoschka, Dorothea Koeppen, aber auch ihr früherer Lehrer Eugen Spiro.

Kurz vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht konnten die Mitglieder des "Kokoschka-Bundes" von engagierten Engländern aus der Tschechoslowakei herausgeholt werden. Dorothea kam bei den Hauptorganisatoren, Diana Uhlman, geb. Croft, und ihrem Ehemann Fred Uhlman, in 47 Downshire Hill als Köchin unter, kurz bevor auch John Heartfield für vier Jahre dort wohnen blieb. Heute erinnert eine Tafel am Haus an ihn, seine Förderer aber werden nicht erwähnt.

Aber Dorothea befand sich damit in Hampstead, dem kulturellen Zentrum Londons. Hier wohnte Henry Moore, arbeitete der Architekt Ernő Goldfinger, vor allem stellte Bischof George Bell sein Gemeindehaus den Flüchtlingen als Zentrum zur Verfügung. Hier wurde der Freie Deutsche Kulturbund gegründet, wurde die Verbindung zu Bonhoeffer gepflegt bis zu dessen Tod. Auch die Freie Deutsche Jugend wurde in Hampstead gegründet, die Fahne mit der Sonne erstmals gehisst.

Ein Jahr blieb Dorothea im Haus der Uhlmans wohnen, dann wechselte sie mehrmals ihr Quartier. Sie nahm an zahlreichen Ausstellungen teil, arbeitete im Bereich Textildesign, malte Szenen des Alltags in der U-Bahn, bei Löschen der Kriegsbrände, zeichnete Szenen von Flüchtlingen und Karten zum Jahreswechsel. Auch in London konnte sich Dorothea eine geachtete Position innerhalb der deutschen Künstler im Exil erwerben und nach Kriegsende nach Deutschland hinüberretten.

Hier galt, neben eigenen Arbeiten, ihr Interesse vor allem dem Sammeln und Herausgeben der Werke ihres Mannes, wovon letzten Endes auch die Görlitzer Sammlungen profitierten, wie der Brief Professor Lempers an Dorothea zeigt. Immerhin erschien 1947 im Dietz Verlag Berlin Dorothea Wüsten-Koeppens Kinderbuch "Igel Kaspar" mit ihren Texten und Zeichnungen als erstes Kinderbuch in der sowjetischen Zone.

Mit Beginn der 1990er Jahre rückte, nach der Exilliteratur, der Bauhaus-Architektur und den musikalischen Kompositionen, nun auch die darstellende Kunst ins Zentrum des Interesses. Da nimmt es nicht wunder, dass mit der Würdigung von Oskar Kokoschka auch die Kunst der Emigranten in Prag wie in London entdeckt wurde. In Tschechien brachte Bronislava Rokytová mit den deutschen Exilkünstlern der 30er Jahre auch Dorothea Wüsten-Koeppen ans Licht.

In Großbritannien setzte ein wahrer Boom ein über den Einfluss der deutschen Emigranten auf die britische darstellende Kultur. Er erreichte seinen vorläufigen Höhepunkt in der Ausstellung "Insiders-Outsiders" 2019 unter der Leitung von Monica Bohm-Duchen. Sie wurde in zahlreichen Städten Englands gezeigt. Die Ausstellung basierte auch auf Arbeiten von Cordula Frowein (1993) und Jutta Vinzent (2006), die in den Ausstellungen in London auch Dorothea Wüsten-Koeppens Beitrag aufgezeigt hatten.

Dieses Bild von Dorothea Wüsten-Koeppen aus dem Jahr 1934 hängt nun in einem amerikanischen Museum. Es ist eine groteske Karikatur auf das Familienbild des NS-Reiches.
Dieses Bild von Dorothea Wüsten-Koeppen aus dem Jahr 1934 hängt nun in einem amerikanischen Museum. Es ist eine groteske Karikatur auf das Familienbild des NS-Reiches. © Marvin and Janet Fishman-Sammlung im Milwaukee Art Museum

Schließlich aber tauchte ein bis dahin unbekanntes Bild aus der Görlitzer Zeit auf, betitelt "Eine Frau von 1934". Es zeigt eine Frau, die einen Puppenwagen mit Nazi-Symbol schiebt. Der dargestellte Ort ist interessant. Es ist das Eckhaus Hindenburgstraße 1 - 34, (heute ulica Tadeusza Kościuszki) am Park zum heutigen Dom Kultury in Zgorzelec. 1934 ist das Jahr, in dem nach dem Tod des Reichspräsidenten Hindenburg die Macht auf Hitler überging.

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Das Bild befindet sich jetzt in den USA in der Marvin and Janet Fishman-Sammlung im Milwaukee Art Museum. Im Katalog zu dieser Sammlung hat der bekannte amerikanische Kunsthistoriker Keith Holz von der Western Illinois University 1991 diese Arbeit vorgestellt und damit in die Kunstgeschichte eingeführt. Auch in der Zeitschrift Umĕni Art Nr. 1/2/2000 der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik erschien Dorotheas Bild, ebenso wie im Buch von Marsha Meskimmon der Universität Berkeley über "Künstlerinnen und die Grenzen der deutschen Moderne" 1999.

Sie nennt Dorotheas Werk "eine brillante Arbeit der Satire, geführt auf des Messers Schneide zwischen pastoraler Idylle und grotesker Karikatur, zwischen freudiger Beschwörung von Familienleben und dem Entsetzen der ‚ethnischen‘, oder in der Sprache dieser Zeit ‚rassischen‘ Hygiene-Politik". Endlich ist Professor Lempers Wunsch in Erfüllung gegangen, dass auch das Werk von Dorothea Wüsten-Koeppen seine verdiente Würdigung erfährt, 130 Jahre nach der Geburt der Görlitzer Ehrenbürgerin am 8. November 1893 in Ketzin.