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Die Wahrheiten des Tino Chrupalla

AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla ist Abgeordneter des Kreises Görlitz. Was er sagt, bezieht sich auch oft auf die Görlitzer Lage. Ob das immer stimmt? Der Faktencheck zu seinem jüngsten TV-Auftritt bei Markus Lanz.

Von Sebastian Beutler
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Am Dienstag im öffentlich-rechtlichen Fernsehen: Tino Chrupalla ist zu Gast in der Talkshow von Markus Lanz.
Am Dienstag im öffentlich-rechtlichen Fernsehen: Tino Chrupalla ist zu Gast in der Talkshow von Markus Lanz. © ZDF/Markus Hertrich

Das Social-Media-Team von Tino Chrupalla erkannte gleich, welche Chance der Auftritt des AfD-Bundessprechers bei Markus Lanz am Dienstagabend im ZDF bot. Am Tag darauf stellte es ein Video auf den Instagram-Kanal von Chrupalla, das knapp 4.500-mal gelikt wurde. Die 585 Kommentare darunter waren vor allem ein Loblied auf den 48-Jährigen aus Gablenz im Kreis Görlitz, der ziemlich unwidersprochen seine Ansichten äußern konnte, darunter, dass er den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke nicht als rechtsextrem ansieht. Der Thüringer AfD-Landesverband ist vom Verfassungsschutz des Landes genauso als gesichert rechtsextrem eingestuft worden wie der sächsische.

Die Ein-Mann-Show von Tino Chrupalla im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, an dem der Görlitzer Schriftsteller Lukas Rietzschel als Statist teilnehmen durfte, dauerte etwas mehr als eine Stunde. Eigentlich sollte es um das Themenfeld Wirtschaft gehen, doch der AfD-Bundestagsabgeordnete nutzte die Gelegenheit, um seine Partei generell in ein besonders schönes Licht zu setzen. Doch stimmt denn alles, was er in den etwas mehr als 60 Minuten äußerte? Die SZ hat den Faktencheck gemacht. Und so fällt er aus.

These Chrupallas: "Wir haben es bei den Demonstrationen aktuell gesehen, wie hier agiert wird. Herr Kretschmer tritt in Görlitz mit Extremisten der Antifa auf. Mit Personen, die mir mein Haus anzünden wollten, die mein Auto anzündeten, die mich angreifen, mit solchen Personen steht Herr Kretschmer in Görlitz und demonstriert gegen wen eigentlich, gegen sich selbst?"

Wie verhält es sich wirklich? Die Demonstration auf dem Marienplatz war von einer Privatperson angemeldet worden und von der Initiative "Görlitz bleibt bunt" maßgeblich vorbereitet worden, Menschen ganz unterschiedlicher politischer Ansichten folgten der Einladung. Kretschmer war einer von vielen Rednern an dem Tag. Unter den 2.000 Menschen auf dem Görlitzer Marienplatz war eine Antifa-Fahne zu sehen. Es standen auch einige AfD-Mitglieder am Rand des Marienplatzes. Bis heute ist auch nicht geklärt, wer das Auto von Tino Chrupalla in Gablenz angezündet beziehungsweise die Anschläge auf sein Haus verübt hat.

So sah es am 21. Januar auf dem Görlitzer Marienplatz aus. Links die Antifa-Fahne, vorn Ministerpräsident Michael Kretschmer.
So sah es am 21. Januar auf dem Görlitzer Marienplatz aus. Links die Antifa-Fahne, vorn Ministerpräsident Michael Kretschmer. © Martin Schneider

These Tino Chrupalla: "Ein gewählter Abgeordneter wie ich - ich bin zweimal direkt gewählt worden - wird nicht zu Veranstaltungen eingeladen, sodass ich als einziger Abgeordneter des Wahlkreises überhaupt nicht die Interessen des Wahlkreises und damit die Interessen derer, die mich gewählt haben, vertreten kann. Aber auch nicht derer, die mich nicht gewählt haben. Das nehme ich mir explizit auch als Aufgabe, dass ich auch für diese Politik machen möchte."

Wie verhält es sich wirklich? Tino Chrupalla ist direkt gewählter Bundestagsabgeordneter des Kreises Görlitz und gewählter Kreisrat. In dieser Funktion nimmt er an der Arbeit des Kreistages teil, sofern er nicht durch seine Aufgaben in Berlin davon abgehalten wird. So sprach er beispielsweise auf der Asyl-Sondersitzung des Kreistags im Frühjahr vergangenen Jahres. Die Stadt Görlitz lädt ihn zu Neujahrsempfängen oder zu anderen offiziellen Anlässen ein. So nahm er am Neujahrsempfang im vergangenen Jahr bei Siemens Energy teil.

Tino Chrupalla spricht auf dem Sonderkreistag Asyl im Beruflichen Schulzentrum Christoph Lüders in Görlitz am 18. April 2023.
Tino Chrupalla spricht auf dem Sonderkreistag Asyl im Beruflichen Schulzentrum Christoph Lüders in Görlitz am 18. April 2023. © Paul Glaser/glaserfotografie.de
Tino Chrupalla an seinem Platz im Kreistag Görlitz.
Tino Chrupalla an seinem Platz im Kreistag Görlitz. © Paul Glaser/glaserfotografie.de
Tino Chrupalla beim Neujahrsempfang der Stadt Görlitz im Januar 2023 bei Siemens Energy.
Tino Chrupalla beim Neujahrsempfang der Stadt Görlitz im Januar 2023 bei Siemens Energy. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Als Chrupalla im September 2020 von seiner Partei erneut als Direktkandidat in Löbau aufgestellt wurde, berichtete er von vielen Treffen mit Bürgermeistern und dem Landrat, mit Vertretern der Kohleregion. Da sprach er nicht davon, dass er ausgegrenzt wird. Als er damals von einem AfD-Mitglied angesprochen wurde, welches Projekt im Landkreis Görlitz er vorangebracht habe, verteidigte er sich damit, dass er mehr als genug auf die Sorgen und Nöte der Menschen im Landkreis aufmerksam gemacht habe, beispielsweise in seinen 25 Reden im Bundestag.

Öfter im Landkreis unterwegs und mit Projekten im Kreis verbunden als Chrupalla ist der FDP-Bundestagsabgeordnete Torsten Herbst, der ursprünglich aus Dresden kommt. Ob bei der Stadthalle, dem Deutschen Zentrum für Astrophysik in Görlitz oder dem Bauforschungszentrum in Bautzen, dem Wachsmannhaus in Niesky oder auch dem Unternehmen Spekon in Seifhennersdorf - Herbst ist für die Kommunen ein wichtiger Ansprechpartner geworden.

These Tino Chrupalla: "In Weißwasser wurde eine staatliche Behörde angesiedelt, die Bafa, um im Kohleausstieg Arbeitsplätze zu schaffen. Da arbeiten aber keine von der Leag oder aus der Braunkohleregion, sondern sie zieht aus Behörden, Mittelstand, Handwerk, Autohäusern Leute ab, die gehen alle in die Bafa, ein staatliches Unternehmen."

Wie verhält es sich wirklich? Die Bafa-Außenstelle in Weißwasser ist im Frühjahr 2020 eingerichtet worden und Teil der Zusage der Bundesregierung, in allen vom Strukturwandel besonders betroffenen Regionen bis 2029 rund 5.000 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Aktuell sind in der Außenstelle in Weißwasser rund 300 Mitarbeiter tätig, die Anträge auf Bundesförderung für effiziente Gebäude sowie auf Anpassungsgeld Braunkohle bearbeiten.

Von den rund 300 Mitarbeitern sind nach Angaben der Behörde mit Sitz im hessischen Eschborn weit über 90 Prozent Neueinstellungen, "davon viele aus der Region oder Personen, die in ihre alte Heimat zurückgekehrt sind", erklärt ein Sprecher der Behörde. "Vielen Mitarbeitern hat die Tätigkeit im Bafa nach langer Zeit ohne Arbeit wieder eine berufliche Perspektive gegeben." Andere wechselten aus einer Beschäftigung zur Bafa oder gingen zur Bafa, um sich beruflich weiterzuentwickeln. "Die Bewerbung stand allen interessierten Menschen offen", sagt der Sprecher weiter. Unter den neuen Mitarbeitern seien auch viele, die keinen Verwaltungsberuf erlernt hatten. "Damit haben wir nicht nur neue, sichere Arbeitsplätze geschaffen, sondern vielen Menschen vor Ort neue attraktive Arbeitsperspektiven gegeben."

Und natürlich sind Stellen mit bundesweiten Tarifzahlungen attraktiv in einer Region, wo das Durchschnittseinkommen zu den niedrigsten in Deutschland zählt. Tatsächlich ist das ein wichtiges Anliegen: gut bezahlte Stellen in der Region zu schaffen. Dazu dient beispielsweise auch die Ansiedlung des Großforschungszentrums und der weiteren Wissenschaftseinrichtungen. Der Staat setzt so Impulse, die im besten Fall von der Wirtschaft aufgegriffen werden.

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Für Leag-Mitarbeiter attraktiv können auch die gut bezahlten Stellen bei dem beschlossenen Bundeswehr-Standort im Kreis Bautzen sein. Auch die Leag benötigt gute Mitarbeiter in der Zukunft, will sie ihre Solar- und Gas-Kraftwerkspläne verwirklichen.

Doch es gibt auch jetzt schon für Leag-Mitarbeiter neue Stellen. So hat die Deutsche Bahn eine Kooperationsvereinbarung zum Personalübergang mit der Leag abgeschlossen, teilt eine Sprecherin der Deutschen Bahn mit. Derzeit sind 60 frühere Leag-Mitarbeiter im neuen ICE-Wartungswerk in Cottbus tätig, das erst im Januar eröffnet wurde. "Wir gehen davon aus, dass in den nächsten Jahren weitere folgen werden", erklärt die Sprecherin weiter.

These Tino Chrupallas: "Wir haben Fachkräftemangel überall. Leute fehlen überall."

Wie verhält es sich wirklich? Da hat Tino Chrupalla recht. Jedes Jahr scheiden mehr Menschen in der Oberlausitz aus dem Berufsleben aus als eintreten. Nur, wenn es so ist, dann dürfte es ja gar kein Problem für Leag-Mitarbeiter sein, ihren Qualifikationen entsprechend Jobs zu finden.

These Tino Chrupalla: "Das Landesamt für Verfassungsschutz teilt uns nicht mal mit, was uns konkret vorgeworfen wird. Es stehen Landtagswahlen an. Da will man eine starke Opposition klein machen."

Wie verhält es sich wirklich? Das Landesamt für Verfassungsschutz hat im Dezember vergangenen Jahres die AfD in Sachsen als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung" eingestuft. Grundlage für diese Entscheidung ist ein 134-seitiges Gutachten, das das Landesamt nicht-öffentlich behandelt und auf dessen Herausgabe die AfD klagt. Das Landesamt hat aber keineswegs die Öffentlichkeit und die AfD im Unklaren gelassen, was es der Partei vorwirft. In einer Pressemitteilung am 8. Dezember vergangenen Jahres heißt es: "Die Landespartei verfolgt im Hinblick auf die Zuwanderung eine Politik des sogenannten Ethnopluralismus, einem Markenkern des politischen Rechtsextremismus." So verwenden führende Vertreter der AfD in Sachsen regelmäßig ideologische Kampfbegriffe der rechtsextremistischen Szene wie "der Große Austausch", "Umvolkung" oder die Forderung nach "Remigration". Auch sprechen Vertreter der AfD immer wieder von einem "Parteienkartell", von "Staats- und Propaganda-Medien" oder "Unrechtsregime", wenn sie über die gegenwärtigen Verhältnisse in Sachsen sprechen. Zudem gibt es strukturelle und strategische Verbindungen mit der "Identitären Bewegung", mit "Pegida" und dem "Compact-Magazin" von Jürgen Elsässer.

These Tino Chrupalla: "Wir sind die Grundgesetz-Partei."

So schrieb der Görlitzer AfD-Stadtrat, Wolfgang Duschek, dieser Tage unter einen Beitrag der SZ auf Facebook.
So schrieb der Görlitzer AfD-Stadtrat, Wolfgang Duschek, dieser Tage unter einen Beitrag der SZ auf Facebook. © SZ

Wie verhält es sich wirklich? Zum Grundgesetz gehört der Artikel 5, der die Meinungs- und Pressefreiheit garantiert. Tino Chrupalla selbst hatte nach kritischen SZ-Berichten über eine zehnstündige Parteiveranstaltung in Niesky, auf der die AfD die Landtagskandidaten für die Wahl 2019 nominiert und anderntags deren Wahl wieder annulliert hatte, angekündigt, er wolle schwarze Listen über Journalisten führen und erbat Hintergrundinformationen "über als Journalisten getarnte Zersetzungsagenten". Wem das zu lange zurückliegt: Der Görlitzer AfD-Stadtrat Wolfgang Duschek schrieb jetzt unter einen SZ-Artikel im sozialen Netzwerk Facebook: "Es ist typisch SZ. Ein Verbot für dieses Blatt wäre ein Weg." Der Fraktionsvorsitzende der AfD im Görlitzer Stadtrat, Lutz Jankus, kündigte gegenüber SZ-Reportern an, dass er aus Verärgerung über die Berichterstattung der SZ keine Fragen der Zeitung mehr beantworte.