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Görlitz rettet Stadtviertel

Zielgerichtet investiert die Stadt in die Innenstadt West, um sie vorm sozialen Abdriften zu bewahren. Nun gibt es eine erste Bilanz: Neue Schule, sanierte Straßen und Häuser, neue Jobs.

Von Sebastian Beutler
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Auf dieser Fläche entsteht der neue Brautwiesenpark in Görlitz.
Auf dieser Fläche entsteht der neue Brautwiesenpark in Görlitz. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Die Görlitzer Gleis- und Tiefbau GmbH kann mit einem weiteren Großauftrag rechnen.

Der Stadtrat beauftragte jetzt das Unternehmen mit dem Bau des Brautwiesenparks. Kostenpunkt rund 820.000 Euro. Es ist der Abschluss der Neugestaltung des Geländes rund um den früheren Görlitzer Güterbahnhof, wie sie im Projekt Brautwiesenbogen vorgesehen worden war. Damit soll die gesamte Innenstadt West aufgewertet werden. Die EU förderte die Einzelvorhaben des Projektes mit über sechs Millionen Euro.

Ursprünglich sollte der Park bereits 2020 eröffnet werden, doch die Planung verzögerte sich derart, dass nun mit einer Fertigstellung Ende 2021 zu rechnen ist. Auch aufgrund von Vorschlägen und Wünschen von Anwohnern entsteht in dem neuen Brautwiesenpark ein Kleinspielfeld für Fuß-, Volley- und Basketball, Kletterberge, Liegewiese, Hundewiese, Sitzgelegenheiten, ein Aussichtspunkt und vieles mehr.

Für Bürgermeister Michael Wieler ist der Brautwiesenpark eines der Vorzeigebeispiele der Görlitzer Stadtentwicklung in den zurückliegenden Jahren. Nach seiner Einschätzung ist mit den öffentlichen Investitionen ein Wandel in der Innenstadt West angeschoben worden, "von dem wir hoffen dürfen, dass er sich fortsetzt." Die Innenstadt West und damit auch das Gebiet rund um die Bahnhofstraße gilt als Sorgenkind in Görlitz, hier ballen sich soziale Probleme, besteht die Gefahr, dass das Stadtviertel sozial abrutscht. Mit dem "Brautwiesenbogen" startete die Stadt vor fast zehn Jahren den Versuch, das zu ändern. Nun zeichnet sich ein erster Erfolg ab.

Tatsächlich hat sich gerade Wieler sehr dafür eingesetzt, dass der Trägerverein der Waldorfschule trotz großer Kostensteigerungen an dem Plan festhielt und einen Teil des früheren Güterbahnhofs für seine Schule umbaute. Im Herbst vergangenen Jahres zog die Schule in die neuen Räume ein.

Die Stadt hat zugleich die Bahnhofstraße in diesem Bereich in den vergangenen Jahren saniert. Erst 2018 für 730.000 Euro den Abschnitt zwischen Salomonstraße und Krölstraße, schließlich im vergangenen Jahr den Abschnitt zwischen Krölstraße bis zum Brautwiesenplatz für rund 820.000 Euro.

Die neue Waldorfschule in Görlitz im früheren Güterbahnhof.
Die neue Waldorfschule in Görlitz im früheren Güterbahnhof. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Zugleich gibt es eine ganze Reihe von öffentlichen und privaten Investitionen in diesem Stadtteil, die dessen Charakter bereits verändert haben oder in den nächsten Jahren tun werden. Dazu zählen der Bau des Senckenberg-Campus für rund 60 Millionen Euro durch den Freistaat Sachsen an der Bahnhofstraße. Hier werden nicht nur die 6,5 Millionen Sammlungsobjekte des Naturkundemuseums ihren Platz finden, sondern auch Labore, die Bibliothek, ein Vortragssaal. Senckenberg gilt als wichtigste außeruniversitäre Forschungseinrichtung in Ostsachsen.

Der Landkreis wird in den kommenden Jahren sein Landratsamt in dem Quartier Bahnhofstraße/Salomonstraße/Berliner Straße für rund 57 Millionen Euro erweitern. Dazu will er bereits ab diesem Jahr mehrere Gründerzeithäuser auf der Salomonstraße und der Berliner Straße zu Bürohäusern umgestalten. Außerdem sind ein Verbindungsbau im Innenhof des Quartiers sowie ein Parkhaus geplant. Ein Teil der Kosten soll über Mittel aus den Kohleausstiegs-Strukturfonds finanziert werden.

Die städtischen Anstrengungen haben aber auch zahlreiche private Investoren dazu bewogen, an ihren Engagements in dem Stadtteil entlang der Bahnhofstraße festzuhalten oder erst umzusetzen. So baute die Kieft & Kieft Filmpalast GmbH ihr Görlitzer Kino komplett um, schuf zahlreiche kleinere Kinos und zuletzt stellte sie auch wieder den großen Saal im Kino in historischer Fassung her.

Der Advita-Pflegedienst sanierte die frühere Bahnpost umfassend und richtete hier neben einer Wohngruppe für Menschen mit Demenz mehrere Wohnungen im betreuten Wohnen ein.

Und schließlich kündigte Daniel Patzelt zusammen mit dem Görlitzer Bauunternehmer Jens Runge im September vergangenen Jahres an, bis Ende 2021 das Eckgebäude Salomonstraße/Bahnhofstraße für fünf Millionen Euro zu einem IT-Center auszubauen. Hier sollen künftig verschiedene Firmen mit 160 Mitarbeitern ihr neues Domizil haben, darunter auch eine Medizintechnik-Firma aus Dresden.

Vor allem aber glaubte der Görlitzer Immobilienentwickler Andreas Lauer immer an das Stadtviertel. Seit 2016 saniert er Haus um Haus auf der Bahnhofstraße entlang des künftigen Brautwiesenparks. Drei inclusive ein Hinterhaus sind bereits fertiggestellt und weitgehend bezogen. Zusammen sind das Investitionen von rund vier Millionen Euro. Und das vierte Gebäude ist auch schon im Bau.

Alles zusammen haben die öffentlichen Ausgaben in das Stadtviertel damit weitere Investitionen von öffentlichen oder privaten Eigentümern in Höhe von schätzungsweise 130 Millionen Euro ausgelöst.

Frisch sanierte Fassaden an der Bahnhofstraße.
Frisch sanierte Fassaden an der Bahnhofstraße. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Da fällt es am Ende kaum noch ins Gewicht, dass nicht alle städtischen Pläne bislang Wirklichkeit wurden. Zum Projekt "Brautwiesenbogen" gehörte auch ein Radweg, der vom Brautwiesenpark über den Brautwiesentunnel bis zum früheren Kohlehandel an die Reichenbacher Straße führen sollte. Doch die Deutsche Bahn AG will die Flächen hinter der Brautwiesenstraße entgegen ersten Hoffnungen der Stadt gegenwärtig nicht verkaufen. Möglicherweise spekuliert die Bahn wieder auf mehr Verkehr und damit Bedarf an Gleisen und Betriebsgelände, schließlich sieht der Strukturwandel den Bau einer Schnellbahnverbindung zwischen Berlin und Wroclaw über Görlitz vor. Das aber wäre für Görlitz auch ein gutes Signal.

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