Fund bei Görlitz: Was uns eine Sichelform über das Leben vor 3.000 Jahren erzählt
Von Dr. Jasper von Richthofen
Schon seit Jahrhunderten fasziniert der Totenstein in den Königshainer Bergen gleichermaßen Wissenschaftler und Wanderer. Noch bis ins 18. Jahrhundert sollen die Bewohner von Königshain am dritten Sonntag vor Ostern zum Totenstein gezogen sein, um den Tod auszutreiben. Dieser Brauch war für das Massiv namensgebend.
Auch heute noch scheint man sich auf der bizarr geformten Felsklippe aus Stockgranit den „Göttern“ ein wenig näher zu fühlen. Seine Form und so manche scheinbar künstlich hergestellte Vertiefung verdankt das Felsmassiv der sogenannten Wollsackverwitterung und herausgewitterten Fremdgesteinseinschlüssen.
Der Totenstein in den Königshainer Bergen wird seit Jahrhunderten erforscht
Der Eindruck eines „uralten“ Naturheiligtums wird durch kleine, von Menschenhand in den Stein gepickte Schälchen unterstrichen, die sich zu mehreren Gruppen auf dem Felsen finden und einen Durchmesser von etwa drei Zentimetern besitzen.
Seit 1780 und dem durch Carl Adolph von Schachmann (1725-1789) verfassten Büchlein „Beobachtungen über das Gebirge bey Koenigshayn“ ist der Totenstein auch im Blick der Altertumswissenschaften. Die Ausgrabungen der Jahre 1930, 1935 und 1938 oben auf dem Felsen und an dessen Fuß förderten eine Fülle an Funden vor allem der jüngeren Bronzezeit der Lausitzer Kultur um 1.000 vor Christus zutage. Darunter bronzene Pfeilspitzen, ein Beil aus Bronze, tönerne Spielsteine und Mengen an Scherben von Gebrauchskeramik. Darunter befanden sich auch wenige spätslawische Scherben des 12. Jahrhunderts und belegen eine Nutzung noch in jener Zeit.
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Die wissenschaftliche Deutung des Totensteins schwankt zwischen einer „heidnischen“ Opferstätte und einer Befestigungsanlage. Mehr scheint allerdings für eine bronzezeitliche Burg zu sprechen. Dazu zählt auch die steinerne Gussform einer Sichel, die in der archäologischen Dauerausstellung im Görlitzer Kaisertrutz besichtigt werden kann.
Sichel-Gussform wurde bereits 1930 ausgegraben
Hinweise auf Metallhandwerk kennen wir während der bronze- und früheisenzeitlichen Lausitzer Kultur vor allem von befestigten Siedlungen. Gussformen wurden zum Beispiel auf dem Vaterunserberg in Nieder-Neundorf, einer früheisenzeitlichen Burg der Zeit um 700 vor Christus, oder auch am Oybin gefunden. Letzterer hat bereits während der Bronzezeit als Befestigung gedient.
Die Sichelgussform vom Totenstein wurde 1930 im Bereich der Westplatte von Otto-Friedrich Gandert (1898-1983) ausgegraben und besteht aus Serpentinit, eine besondere Gesteinsart. Sie diente zur Herstellung einer bronzenen „Knopfsichel“, die an ihrer Basis einen seitlichen Knopf besitzt, der der Befestigung eines hölzernen Griffs gedient hat.
Wozu diente die Sichel in der Bronzezeit?
Der Bronzeguss erfolgte hier als offener Herdguss, bei dem die flüssige Bronze, eine Metalllegierung aus Kupfer und Zinn, in eine einteilige liegende Form gegossen wurde. Andere Techniken dieser Zeit sahen den Guss in mehrteiligen Formen oder auch in sogenannter „verlorener“ Form vor. Bei letzterem Verfahren konnte die aus Lehm hergestellte Gussform nur einmal verwendet werden, da sie zum Herauslösen des Gussstücks zerstört werden musste und so „verloren“ ging.
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Bronzene Sicheln sind in großer Zahl und so auch in unserer Gegend aus für die Bronzezeit typischen Hort- oder Opferfunden bekannt. Nur selten lassen die bronzezeitlichen Erntemesser auch Gebrauchsspuren erkennen, sodass die Masse der aus Hortfunden bekannten Sicheln offenbar nicht für die Benutzung, sondern viel mehr als Materialgeld oder aber wahrscheinlicher als religiöse Opfergabe vorgesehen war. Ob das auch für jene Sicheln gilt, die in unserer Form gegossen wurden, ist nicht zu ermitteln. Eine in die Form passende Sichel ist bislang leider noch nicht gefunden worden.
Unser Autor Dr. Jasper von Richthofen ist Archäologe und Direktor der Görlitzer Sammlungen für Geschichte und Kultur.