Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
Görlitz
Merken

Vom Feuer verschont: Was ein Buch über den Stadtbrand von 1691 berichtet

In der Oberlausitzischen Bibliothek in Görlitz befindet sich Martha Helwigs Brandbuch. Dass es das heute noch gibt, grenzt an ein Wunder.

 3 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Ein Bücherschatz ist die Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften auf der Görlitzer Neißstraße. Er beeindruckte auch Polens Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk.
Ein Bücherschatz ist die Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften auf der Görlitzer Neißstraße. Er beeindruckte auch Polens Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk. © Pawel Sosnowski

Von Steffen Menzel

Mitunter erzählen Bücher Geschichten, die ebenso spannend wie ihr gedruckter Inhalt sind. Nämlich immer dann, wenn ein besonderes Ereignis oder ein spezielles Schicksal damit verknüpft ist.

Auch in der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften gibt es eine ganze Reihe solcher außergewöhnlichen Bücher und Objekte. Eines, das vom äußeren Erscheinungsbild völlig unscheinbar daherkommt, ist das „Brandbuch“ der Martha Helwig.

Das Brandbuch der Marth Helwig.
Das Brandbuch der Marth Helwig. © Städtische Sammlungen
Martha Helwig hat auf die Buchklappe notiert, was mit dem Buch geschehen ist.
Martha Helwig hat auf die Buchklappe notiert, was mit dem Buch geschehen ist. © Städtische Sammlungen
Das Brandbuch der Martha Helwig.
Das Brandbuch der Martha Helwig. © Städtische Sammlungen

Am 19. März 1691 ereignete sich in der Stadt Görlitz eine der größten Brandkatastrophen ihrer Geschichte. Im Bierhof des Christian Richter an der Jüdengasse brach nachmittags ein Feuer aus, das schnell ein Quartier zwischen Untermarkt – Fleischergasse – Karpfengrund – Nikolaigasse – Petersgasse und Hothergasse erfasste. Die wütenden Flammen griffen auch auf die Peterskirche über und zerstörten deren innere Ausstattung nahezu vollständig. Im Feuer gingen aber nicht nur die sakralen Schätze der größten Görlitzer Stadtkirche unter, sondern auch das Hab und Gut der vom Brand betroffenen Bürger und Bürgerinnen.

Eine dieser Geschädigten war die Witwe Martha Helwig in der Nikolaigasse 11. Unter den rund 200 in Schutt und Asche gelegten Häusern war „auch mein Hauß auff der Niclaus Gaße, welches gantz und gar ausgebrant, und fast aller mein Hauß und Vorrath in dem Feuer mit aufgegangen“, wie sie selbst rückblickend auf den Unglückstag schrieb.

Martha Helwig, geborene Ferber, war seit dem 16. November 1676 mit dem Juristen Gottfried Helwig (1651–1689) verheiratet und lebte seit dessen frühen Tod allein mit ihrem Sohn Johann Gottfried (1679–1713) in dem Gebäude. Bei der Beräumung des Brandschutts kam unter den Trümmern ein Buch zum Vorschein, das nahezu unversehrt den Flammen widerstanden hatte.

Es muss der Besitzerin wie ein Wunder gewirkt haben, denn es waren ihr „auch unterschiedlich schöne geistreiche Bücher, unter welchen auch dieses gewesen, so alle mitteinander beysammen auff meinem Schränckchen in der Stube gestanden, verbrand, von welchen allen nicht ein eintzig Blätchen blieben.“

Bei dem erhalten gebliebenen Werk handelt es sich um ein christliches Erbauungsbuch des Theologen Johann Arndt (1555–1621) unter dem Titel „Vier Bücher vom wahren Christenthumb“, gedruckt in Lüneburg im Jahr 1660 und herausgegeben von den Brüdern Hans und Heinrich Stern. Die Schrift gehörte zu den erfolgreichsten Büchern christlicher Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts. Insgesamt erlebte das „Wahre Christentum“ 123 Auflagen. Es gilt als eine der wichtigsten Quellen des Pietismus, einer sich seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ausbreitenden Frömmigkeitsbewegung innerhalb der protestantischen Kirche.

  • Hier können Sie sich für unseren kostenlosen Görlitz-Niesky-Newsletter anmelden.

Um künftigen Generationen über die außergewöhnlichen Umstände zu berichten, die zum Erhalt dieses Buches führten, schrieb Martha Helwig auf dem Vorsatzblatt, dass „also durch Gottes wunderbare Schickung in diesen grossem Feuer dieses schöne Buch mir zum Trost und Erbauung erhalten und wiedergefunden worden. Welches zum Gedächtnüß ich hirein auf gezeichnet.“

Am 20. August 1696 verstarb die Besitzerin des Buches und schon einen Monat später wurde auch das Wohnhaus verkauft. Das „Brandbuch“ blieb jedoch im Familienbesitz. Eine Enkelin der Martha Helwig, Johanne Erdmuthe Fischer, schenkte es dann im Jahr 1733 der Milichschen Stadt- und Gymnasialbibliothek. Damit erfüllte sich der Wunsch ihrer Großmutter, dass dieses Buch zum Gedenken an die Ereignisse von 1691 erhalten bleiben möge, denn noch immer kann es uns diese Geschichte erzählen.

Unser Autor Dr. Steffen Menzel ist Leiter der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften bei den Görlitzer Sammlungen für Geschichte und Kultur.