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Landkreis Görlitz: Wolf dringt in Schafkoppel ein

In Meuselwitz sind mehrere Zackelschafe tot, zwei verschwunden. Es ist nicht der erste Vorfall in jüngster Zeit. Die Halter überlegen nun, aufzugeben.

Von Constanze Junghanß
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Rissgutachter Gabriel Widmer untersucht auch das Umfeld um den Kadaver.
Rissgutachter Gabriel Widmer untersucht auch das Umfeld um den Kadaver. © Constanze Junghanß

Der Tod riecht streng. Die vollen Pansen hat der Wolf aus den Tieren herausgerissen, sie liegen neben den Kadavern. Schleifspuren im hohen Gras. In Blickweite, vielleicht 100 Meter entfernt, das Haus von Familie Scholz/Hocke. Tausende Fliegen summen, haben Eiernester zwischen die abgenagten Rippen gelegt. Durch die Wärme stinkt es schnell und beinahe unerträglich. Die kleine Herde Zackelschafe ist über Nacht von 14 auf neun Tiere geschrumpft. Die übrig gebliebenen Schafe scheinen unruhig, an entspanntes Grasen ist nicht zu denken.

Als Diego Scholz die Herde in Meuselwitz auf die Wiese stellte, wollte der Familienvater alles richtig machen: Den „hoffentlich sicheren“ und etwa 1,50 Meter hohen Wolfsschutzzaun hat der Freistaat zu 100 Prozent finanziert, Strom fließt durch die Strippen, zwei Esel wurden zu den Schafen geholt. Esel sollen in einigen Fachkreisen als Herdenschutztiere gelten, erzählt der 43-Jährige. Genutzt haben weder Zaun noch Esel. Der Wolf sah in der historischen Haustierrasse mit den nach oben gedrehten langen Hörnern eine leichte Beute. Scholz ist sauer. Weniger auf den Wolf. „Dem mache ich keinen Vorwurf“, sagt er. Sondern auf den Freistaat: „Sachsen verwaltet im Moment nur die Schäden, die durch den Wolf entstehen.“

"Aktive Vergrämungsmaßnahmen werden jedoch abgelehnt“, ärgert er sich. Damit meint er nicht den Abschuss von Wölfen. Es gebe andere Möglichkeiten, wie Lebendfallen und Umsiedlung oder Lärmvertreibung. Auch dass die Lausitzer Wölfe nicht alle besendert sind, bemängelt er. Fünf der Wölfe in Sachsen tragen Sender und übermitteln so Daten an das sächsische Wolfsmonitoring. Im letzten Monitoringjahr stellte das Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie sachsenweit 29 Rudel, drei Paare und zwei Einzeltiere fest.

Springen Wölfe über den Zaun?

In Melaune, dem Nachbardorf, tötete der Wolf im April drei Zackelschafe der Familie. Auch da: Kleinsttierhaltung, ökologisch, artgerecht. Und sogar mit einem doppelten Elektrozaun gesichert. „Zielgerichtete, kräftige Kehlbisse. Trittsiegel innerhalb der Koppel“, stellte der Rissgutachter fest. Diego Scholz zeigt das Schadensprotokoll. 150 Euro bekam der Halter pro totem Schaf.

Peggy Hocke und Diego Scholz halten eine alte Haustierrasse, auch zum Hochwasserschutz. Ob sie das nun weitermachen, ist ungewiss.
Peggy Hocke und Diego Scholz halten eine alte Haustierrasse, auch zum Hochwasserschutz. Ob sie das nun weitermachen, ist ungewiss. © Constanze Junghanß

Der Freistaat nehme viel Geld in die Hand, um Schäden durch den Wolf zu regulieren und Schutzmaßnahmen zu fördern, sinniert der Meuselwitzer. Und doch sei „vermutlich allen Beteiligten bewusst, dass das alles nichts nützt.“ Diego Scholz bekam mit dem Rissprotokoll im April eine E-Mail von der Fachstelle Wolf. Daraus ersichtlich: Möglicherweise gibt es in der Region Wölfe, die springen. Andere graben sich offenbar unter Elektrozäunen durch. Der dreifache Vater hebt die Schultern: Was die teuren Schutzzäune dann überhaupt noch bewirken, sei die große Frage, sagt er.

Am Mittwochnachmittag kommt der Rissbegutachter aus Dresden, um die toten Tiere in Meuselwitz zu untersuchen. Fotos werden gemacht, Spuren angeschaut. Wie bei einem Fernsehtatort werden Schildern mit Nummern bei jedem toten Tier in die Erde gesteckt, Wunden vermessen. Zwei der Zackelschafe sind komplett verschwunden, ein schwarzes Lamm liegt mit gebrochenen Augen unweit des Elektrozauns, die anderen Kadaver meterweit voneinander entfernt im hohen Gras. Gabriel Widmer protokolliert alles genau, schaut nach Kehlbissen.

Gutachter greift zum Messer

Dazu muss der Gutachter zum Messer greifen, um mögliche Einblutungen unter der Haut nachzuweisen. Ein fester schneller Schnitt unter dem Kiefer. Fleisch klafft. Die Schafshälse sind durchlöchert. Bei einem Zackelschaf ist sichtbar deutlich zu sehen, dass selbst der Kehlkopf durchgebissen ist. Kein schöner Anblick. Vielleicht haben sich im Nachhinein bereits Fuchs, Dachs oder Marder an den Kadavern zu schaffen gemacht. Über der Koppel kreisen Raubvögel.

Karin Bernhardt, Pressesprecherin vom Landesumweltamt, hat am Donnerstag bereits die Ergebnisse aus Meuselwitz auf dem Tisch. „Todesursache: Wolf hinreichend sicher“, sagt sie. Der Halter wird eine Entschädigung bekommen, so die Pressesprecherin.

Doch ob die Meuselwitzer Familie in Zukunft weiter die alte Haustierrasse hält? Sicher sind sich Diego Scholz und seine Frau Peggy nicht. „Die Schafe sind eigentlich die beste Option gegen Verwaldung der Grünfläche und tragen damit gleichzeitig zum Hochwasserschutz am Schwarzen Schöps bei“, erklärt der Halter. Der Fluss plätschert hinter dem Elektrozaun. Unweit entfernt stehen die nächsten Häuser.