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Görlitzer Busse steuern zur letzten Runde

Die Niederschlesische Verkehrsgesellschaft hat ihrem Personal gekündigt. Vorsorglich – denn noch wird verhandelt.

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© Rolf Ullmann

Von Ralph Schermann

Görlitz. Wieder steht ein Traditionsunternehmen vor dem Aus. In diesen Tagen erhalten alle Mitarbeiter der Niederschlesischen Verkehrsgesellschaft (NVG) „blaue Briefe“. Zum Jahresende sollen die Kündigungen der rund 30 Kollegen wirksam werden – Busfahrer und Werkstattarbeiter.

„Für Außenstehende ist das nicht nachvollziehbar, für uns Busfahrer war diese Entwicklung aber vorhersehbar“, sagt Frank Knötig, der Betriebsratsvorsitzende der NVG. Die Arbeitnehmervertretung sieht ebenso wie die Gewerkschaft Verdi im Verkauf von Anteilen den Beginn des Untergangs. „Wir waren mit 75 Bussen und zwei Betriebshöfen gut aufgestellt, bis wir mit Einsparungen für die Marktwirtschaft ,fit gemacht‘ wurden“, erinnert Knötig. Die erste Einsparung sah so aus, dass 30 von hundert Kollegen gehen mussten.

2012 verlor die NVG die Konzession ihrer Linien an das Bautzener Unternehmen Regiobus Oberlausitz (RBO). „Keiner hat damals verstanden, warum uns die Politik die Linien wegnahm, denn wir waren immer zuverlässig“, überlegt Busfahrer Michael Haase, auch ein Betriebsratsmitglied. Wieder waren 30 Kollegen zu viel. „Dank großer Anstrengungen von Geschäftsführung und Betriebsrat gelang es, bis auf einen Kollegen alle in andere Verkehrsunternehmen zu vermitteln“, nennt Frank Knötig als Kraftakt. Die andere Hälfte verblieb, weil die NVG für fünf Jahre einen Subunternehmervertrag bei der RBO aushandelte und damit einige Fahrten weiter bediente. Dieser Vertrag läuft Ende 2017 aus.

„Wir verhandeln weiter“, bestätigt NVG-Geschäftsführer Frank Müller. Auch Verdi-Sprecher Jens Förster informiert, dass in den nächsten Tagen Gespräche zwischen RBO und NVG in Bautzen anstehen: „Es geht darum, im Schüler- und Linienverkehr ab Januar 2018 Zuschläge zu erhalten.“ Das entspräche auch dem Modus anderer Subunternehmer. Denn während diese seit 2012 ihre Verträge jährlich auffrischen, hatte die NVG als einziger eine Festschreibung für fünf Jahre erreicht. „Unser Ziel ist, 2018 weiterzumachen, und ich bin sehr optimistisch, dass das so wird“, erklärt Geschäftsführer Frank Müller. Die jetzt verteilten Kündigungen seien vor diesem Hintergrund lediglich vorausschauend erfolgt, falls doch keine Verlängerung für 2018 zustande käme. „Unser Unternehmen ist tarifgebunden und muss deshalb auch Kündigungsfristen von bis zu sieben Monaten berücksichtigen“, erläutert Müller. Sobald ein Vertrag erreicht würde, bekämen alle Kollegen sofort wieder ein Arbeitsangebot.

Auch das wäre freilich nur eine Übergangslösung. Denn dass die NVG nicht mehr auf Dauer bestehen wird, ist allen Beteiligten klar. „Anderes wäre nicht denkbar, da müsste schon ein Wunder geschehen“, sagt Michael Haase. „Ja, nach jetzigem Stand soll der Betrieb der NVG perspektivisch stillgelegt werden“, ist auch Gewerkschafter Jens Förster überzeugt. Frank Müller sagt sogar den Grund: „Es ist uns einfach nicht möglich, schwarze Zahlen zu schreiben.“ Dieses wirtschaftliche Desaster könne er nur kompensieren, weil neben dem Linien- noch Gelegenheitsverkehr betrieben wird. Busfahrer wie Haase oder Knötig sehen zudem, dass die NVG zu viele Strecken als Subunternehmer bekommen habe, die unwirtschaftlich zwischen Fahrplan-Takten zu viele Leerkilometer aufwiesen. Der Subunternehmer-Fahrplan selbst indes wird vom Landkreis vorgegeben.

Diese Entwicklung ärgert vor allem die Gewerkschaft. „Die öffentliche Hand, in diesem Fall der Landkreis Görlitz als verantwortlicher Aufgabenträger, wird in Verantwortung gehen müssen“, fordert der zuständige Verdi-Sekretär Sven Vogel. Denn „die NVG war schließlich bis 2004 eine hundertprozentige Tochter des Kreises, bevor sie aufgrund politischer Entscheidungen in die Privatisierungsmühle kam“.

Frank Knötig glaubt nicht an so eine Hilfe: „Wir Fahrer vertrauen nicht mehr der Politik. Es sind genau jene noch im Amt, die die Ausschreibungskriterien 2012 formulierten und festlegten und keinerlei sozialen Mindeststandard mit aufnahmen. Sie forderten Niederflurbusse, Klimaanlagen, Abgasnormen, doch keinen Mindesttarif für Fahrer, wie ihn die NVG fairerweise auch als Subunternehmer weiterzahlt.“ Tatsächlich schaffte 2012 Regiobus gleich 16 neue Busse für den Einsatz im Landkreis Görlitz an und investierte rund 2,5 Millionen Euro, betonte damals RBO-Geschäftsführer Uwe Rößler. 16 der 30 gekündigten NVG-Fahrer stellte RBO damals fest bei sich an, darunter den Leiter der Außenstelle Weißwasser. „Heute arbeiten im einstigen NVG-Hauptsitz Weißwasser nur noch vier Mitarbeiter, die meisten haben ihren Sitz im NVG-Betriebshof auf der Nikolaus-Otto-Straße im Gewerbegebiet bei Klingewalde“, nennt Frank Müller eine weitere Änderung gegenüber früheren Zeiten.

Anders als in Ostsachsen haben Busfahrer allerdings deutschlandweit noch gute Chancen. Kaum hörten zum Beispiel Regiobus Potsdam und Verkehrsgesellschaft Belzig vom Desaster der NVG, boten sie bereits Hilfe an: „Wir suchen dringend Fahrer für Belzig, Beelitz, Potsdam, Brandenburg, Werder und Stahnsdorf, erkennen Betriebszeiten anderer Unternehmen an, zahlen Tarif, Urlaubsgeld sowie Altersvorsorge und haben einen Verkehrsvertrag bis 2026“, schreibt Geschäftsführer Hans-Jürgen Hennig. Kämen Görlitzer Fahrer zu ihm, hätten sie zudem einen guten Bekannten als Chef: Hennig leitete einst den VEB Kraftverkehr Görlitz, bevor aus diesem die jetzt so unsichere NVG wurde.