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Pulverfabrik Großenhain: Holt die Vergangenheit den Flugplatz ein?

Zehn Jahre bereiteten die Großenhainer die Ansiedlung eines Großinvestors auf dem ehemaligen Flugplatz vor. Dass dieser der Rüstungskonzern Rheinmetall sein könnte, stimmt nicht froh.

Von Catharina Karlshaus
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Eine Kulisse, die dieser Tage passend scheint. Denn was sich über dem geschichtsträchtigen Großenhainer Flugplatz zusammenbraut, bleibt noch abzuwarten.
Eine Kulisse, die dieser Tage passend scheint. Denn was sich über dem geschichtsträchtigen Großenhainer Flugplatz zusammenbraut, bleibt noch abzuwarten. © Kristin Richter

Großenhain. Ihm ist unübersehbar die Gnade der Unwissenheit vergönnt. Auch wenn sich an diesem Apriltag über ihm zusammenzubrauen scheint, was schon um das gut 150 Hektar große Areal tobt, liegt der Großenhainer Flugplatz in sichtlicher Gleichmut da. Ein geschichtsträchtiges Fleckchen Erde, welches selbstverständlich nichts davon ahnen kann, dass nur wenige Kilometer entfernt die Verantwortlichen im Großenhainer Rathaus mit Anfragen zu seiner Zukunft konfrontiert werden.

Gleich nun, ob Einwohner, ortsansässiger Unternehmer, Zeitung, Radio- oder Fernsehsender. Von Interesse ist, was in erster Linie die Großenhainer selbst gern wissen würden. Stimmt es, was seit Ende März landauf, landab gemunkelt wird? Hat der Rüstungskonzern Rheinmetall tatsächlich die Absicht, eine Pulverfabrik, in welcher auch chemische Vorprodukte für Munition hergestellt werden sollen, auf dem neu entwickelten Industriegebiet zu bauen? Entgegen aller bisherigen Verlautbarungen nicht etwa auf einem Standort zwischen Leipzig und Bitterfeld, sondern tatsächlich auf der im Besitz des Freistaates Sachsen befindlichen Fläche am Rand der Röderstadt? Ein millionenschweres Vorhaben zur Beseitigung des Munitionsmangels der Bundeswehr, das Rheinmetall-Chef Armin Papperger im Januar als ein Projekt der "nationalen Sicherheit" bezeichnete?

Ex-Verteidigungsminister befürwortet Projekt

Und folgerichtig für den ehemaligen Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière, der im Gespräch mit der Sächsischen Zeitung erst letzte Woche daran erinnerte, dass doch bitteschön auch die Deutschen ihren Beitrag im Rahmen des Verteidigungsbündnisses leisten müssten - und dazu gehöre eben auch die Produktion von Waffen und Munition in der Bundesrepublik.

Überlegungen, von dem dieser geschichtsträchtige Teil Großenhains keinen blassen Schimmer hat. Dass ihm nämlich plötzlich droht, jene Vergangenheit einzuholen, die eigentlich von den Stadtvätern überwunden geglaubt war. Der 1913/14 erbaute und bereits im Ersten Weltkrieg bedeutsame Flugplatz - zahlreiche bekannte Flieger der damaligen Zeit, Zivilflieger sowie Angehörige der Luftwaffe wurden hier ausgebildet - sollte laut Oberbürgermeister Sven Mißbach „in keinster Weise mehr einer militärischen Nutzung zugeführt werden“.

Nicht angeknüpft werden sollte an eine Historie, die dem Gelände am 20. März 1936 etwa den Besuch des Oberbefehlshabers der deutschen Luftwaffe, Hermann Göring, bescherten. Ihm unter den Nationalsozialisten aufgrund seiner guten Wetterbedingungen die Rolle eines Frontflugplatzes zukommen ließ und schließlich bis 1993 von den sowjetischen Streitkräften unter anderem als Sonderwaffenlager für Kernwaffen genutzt wurde.

Fast 150 Hektar groß ist das sogenannte Industriegebiet Nord, die größte zusammenhängende Fläche im Besitz des Freistaates Sachsen.
Fast 150 Hektar groß ist das sogenannte Industriegebiet Nord, die größte zusammenhängende Fläche im Besitz des Freistaates Sachsen. © Siegfried Michael Wagner

Immerhin: Fast 90 Jahre lang war der Flugplatz eine militärische Sperrzone. Im deutschen Kaiserreich, unter Adolf Hitler und in der DDR hieß es: „Zutritt streng verboten.“ Kein Wunder auch! Mindestens 6.000 Menschen – Soldaten und technisches Personal der Roten Armee – waren in Großenhain stationiert, mit ihnen 40 Jagdbomber vom Typ "Suchoi".

Nicht zu vergessen auf dem Territorium des Platzes jener Bunker vom Typ „Granit“, über den nur hinter vorgehaltener Hand geredet werden durfte. In aller Heimlichkeit von 1972 bis 1974 errichtet, um angeblich zu verbergen, was bis heute offiziell niemand bestätigt hat - Material zum Zusammenbau einer funktionsfähigen Atombombe.

Geschichte und Geschichten, die den Flugplatz an diesem Apriltag 2023 nicht plagen. Aber jene, die sich wie Stadtbaudirektor Tilo Hönicke seit den 1990er-Jahren mit seiner Zukunft beschäftigen. Vom ersten Augenblick an hat der 63-Jährige das schwer kontaminierte und mit Kerosin verseuchte Gebiet mitentwickelt. „Die Arbeit, welche die Stadtverwaltung in den vergangenen Jahren gemeinsam mit dem Freistaat und vielen Kooperationspartnern in die Projektentwicklung gesteckt hat, wird sich auszahlen. Es ist alles vorbereitet“, freute sich Tilo Hönicke im Januar noch.

Menschen in Kopf und Herz vorbereiten

Ein Gespräch mit Sächsische.de, in welchem der erfahrene Bauexperte jedoch auch zu bedenken gab, es werde mit der Schaffung von Wohnraum, Plätzen in Kindergärten und Schulen, Freizeitaktivitäten und Kapazitäten in Restaurants angesichts eines international agierenden Unternehmens nicht getan sein. Nein, man müsse auch Köpfe und Herzen öffnen.

Bleibt abzuwarten, ob derlei gemeinsame Bemühungen von Stadt, Landkreis und Freistaat notwendig werden. Ob vielleicht allen Befürchtungen, Enttäuschungen und eigentlichen Visionen zum Trotz - entwickelt lange vor dem Ukrainekrieg - am Ende doch über die Schaffung von 500 bis 600 Arbeitsplätzen durch Rheinmetall und die verlässliche Zahlung von Steuern durch das in 33 Ländern agierende Unternehmen diskutiert werden muss. Und ob sich schließlich niemand auch in Sachsen dem gegenwärtig deutschlandweit diskutierten Ruf nach massiver Unterstützung der Bundeswehr und Beseitigung der geschaffenen Materialmisere entziehen kann.

Während der Rüstungskonzern mit Sitz in Düsseldorf auf SZ-Anfrage bekundete, alle möglichen Optionen momentan noch abzuklären und daher keine Aussagen treffen zu wollen, hält sich auch die sächsische Landesregierung gegenwärtig bedeckt. Und derjenige, um den es eigentlich geht? Hat die Gnade der Unwissenheit.