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Großraumbüro Leitstelle

Notrufe aus dem Altkreis Döbeln gehen ab sofort in Chemnitz ein. In der neuen Leitstelle herrscht vor allem eins: Ruhe.

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© Toni Söll/Archiv

Von Maria Fricke

Döbeln/Chemnitz. Sie ist so gut abgesichert, wie ein Bank, die neue integrierte Rettungsleitstelle in Chemnitz. Das rund 17,8 Millionen Euro teure Gebäude, das seit Ende März diesen Jahres in Betrieb ist, ist mit zahlreichen Kameras überwacht, sowohl im Innen- als auch im Außenbereich. Der Zugang erfolgt über Codes und spezielle Schüssel sowie durch eine Sicherheitsschleuse. Der Grund für die hohe Sicherheit: Die sensiblen Daten, die in der Leitstelle aufbewahrt werden, begründet Gert Berger. Der Brandrat ist der stellvertretende Leiter der Leitstelle, in der seit dem 29. August auch die Notrufe aus dem Altkreis Döbeln eingehen.

Gegen 5 Uhr wurden die Telefonanlagen von Grimma auf Chemnitz umgeschaltet, ein Meilenstein, dem eine lange Vorbereitung vorausging. „Zu der Zeit ist in der Leitstelle noch nicht so viel los“, begründet Berger den Zeitpunkt. Gleichzeitig seien die für die Umstellung notwendigen Mitarbeiter, wie zum Beispiel von der Telekom oder in den Technikzentralen, vor Ort gewesen. „Man hofft, dass alles gut geht. Aber es bleibt eine angespannte Situation“, schildert der 55-jährige Chemnitzer. Denn: „Das Leben geht trotz der Umstellung weiter. Uns darf kein Notruf entgehen“, betont Berger. „Schließlich merken wir von einem Notfall nur, wenn bei uns das Telefon klingelt.“ Am Ende atmen alle auf. Die Umstellung hat geklappt. Bereits im Vorfeld sind innerhalb von zwei Tagen die Brandmeldeanlagen verschiedener Einrichtungen, unter anderem von Pflegeheimen, umgeschaltet worden.

Zwei Mitarbeiter des ehemaligen Rettungszweckverbandes Grimma, der bisher unter anderem für den Altkreis Döbeln zuständig gewesen ist, sind mit nach Chemnitz gewechselt. Sie besetzen als Disponenten die Arbeitsplätze, die vorwiegend für den Landkreis Mittelsachsen vorgesehen sind. Bei Bedarf nehmen sie aber auch Anrufe aus anderen Regionen entgegen, betont Brandrat Berger. Vor-Ort-Kenntnisse benötigen die Disponenten heute kaum noch, um einen Einsatzort genau bestimmen zu können. Mittels gezielter Nachfragen und den Daten des Einsatzleitstellenrechners lässt sich inzwischen fast jeder Einsatzort eindeutig festlegen.

„In den meisten Fällen wissen die Anrufer eine Adresse oder eine Straße“, sagt Gert Berger. Gibt es in einer Region mehrere identische Straßennamen oder Ortsbezeichnungen, so sind diese mit verschiedenen Koordinaten in der Geodatenbank hinterlegt, auf die die Mitarbeiter zurückgreifen. Mittels Nachfragen klären die Disponenten schließlich eindeutig, wo der Notfall ist. Sie können sich Wanderkarten mit Höhenprofilen anzeigen lassen und fragen, ob die Straße bergauf geht. Sie können auch Luftbilder nutzen und erfragen, ob der Anrufer von seinem Standort aus beispielsweise einen Teich oder eine Kirche sieht.

Darüber hinaus liefert die Technik, mit denen die Anrufe in der Leitstelle eingehen, auch Informationen. Von Mobiltelefonen lässt sich über Funkmasten der Standort ausloten. Festnetztelefone haben ebenfalls eine feste Adresse. Kritisch wird es in Bereichen, in denen kein Empfang ist. „Dann kommt der Notruf aber auch nicht bei uns an“, so Berger. In der Regel suchen die Anrufer solange, bis sie Empfang haben oder bekommen Hilfe von Ortskundigen. Kann doch einmal ein Einsatzort nicht genau festgelegt werden, hilft die Polizei.

Um all die technischen Vorteile nutzen zu können, musste die Datengrundlage, mit der die Leitstelle arbeitet, erneuert werden. Die Systeme aus den bisherigen Einrichtungen in Chemnitz oder Grimma sind mit dem neuen kaum zu vergleichen. Laut Berger basieren die alten Systeme auf Excel-Tabellen, während das neue mit Geodatenbank und den Koordinaten arbeitet.

Gerade diese Technik ist es auch, die es nach Ansicht von Berger schwierig macht, mehrere kleinere Leitstellen in den Regionen zu betreiben. Denn die Technik kostet Geld, in der Anschaffung sowie im Unterhalt. Vorteil der fünf großen Leitstellen, die es in Sachsen gibt – neben Chemnitz sind das die Leitstellen in Dresden, Bautzen, Leipzig und Zwickau – ist die gemeinsame technische Basis, die eine Kommunikation untereinander erleichtert. Und die kommt täglich vor.

Leitstelle für eine Millionen Leute

Denn die Leitstellen koordinieren nicht nur die Notrufe, die unter 112 für Rettungsdienst und Feuerwehr eingehen, sondern auch die Krankentransporte. Und da komme es oft vor, dass Patienten von Döbelner Einrichtungen oder Ärzten nach Leipzig oder Dresden überwiesen werden. Aber auch in Notfällen kann eine Zusammenarbeit möglich sein, unter anderem in Grenzregionen oder wenn bei einem Einsatz spezielle Ausrüstung, wie zum Beispiel Schutzanzüge, erforderlich ist.

Im zentralen Bereich der Leitstelle, in dem die Notrufe eingehen, gibt es 19 Arbeitsplätze. Über deren Auslastung lässt sich derzeit nur spekulieren. Ist die Leitstelle ab Mitte 2018 voll ausgelastet, könnten tagsüber zwischen 15 und 17 Plätze besetzt sein, nachts vier bis fünf. In der erste Woche nach der Integration des Altkreises Döbeln seien pro Tag rund 200 Notrufe aus den Bereichen Chemnitz, Stollberg und Döbeln eingegangen, so Berger. „Zwischen 2 und 5 Uhr gehen nur wenige Anrufe ein. Das heißt aber nicht, dass es keine Notfälle gibt. Sie werden um diese Zeit nur nicht bemerkt“, sagt Berger.

Trotz Großraumbüro auf rund 360 Quadratmetern herrscht in dem Raum Ruhe. Die Türen sind verschlossen. Möbel, Decken und Wände mit Schallschutz versehen. Jedem Disponenten stehen vier Bildschirme zur Verfügung. Dazu ein Bildschirm, der sich mit den Händen bedienen lässt. Telefoniert wird mit Kopfhörern und Mikrofon. Informationen für alle Mitarbeiter werden über große Bildschirme an der Wand mitgeteilt.

Die Zeiten an den Arbeitsplätzen sind begrenzt. Wie lange die Mitarbeiter hochkonzentriert Notrufe entgegennehmen, entscheiden sie selbst. „Am Tag sind die Pultbesetzungszeiten kürzer, es gibt längere Unterbrechungen, in der Nacht sind sie länger“, sagt Berger. Alle Disponenten haben selbst Erfahrung als Einsatzkraft, waren bereits für Feuerwehr oder Rettungsdienst unterwegs. In Lehrgängen an der Landesfeuerwehrschule haben sie sich zum Leitstellendisponenten qualifizieren lassen.

Auch Berger kennt beide Seiten. Er hat 1983 bei der Feuerwehr in Chemnitz angefangen, von 1997 bis 2013 für den Rettungsdienst gearbeitet. Vor vier Jahren kehrte er zur Chemnitzer Feuerwehr zurück und ist seitdem speziell für die neue Leitstelle zuständig. Gemeinsam mit dem Harthaer Sebastian Arnold leitet er die Einrichtung, in der zurzeit um die 35 Disponenten als Angestellte der Stadtverwaltung Chemnitz arbeiten. Knapp 90 sollen es nach Angaben der Stadt einmal werden. Bis Mitte 2018 werden sie für rund eine Millionen Einwohner zuständig sein, die auf einer Fläche von rund 4 100 Quadratkilometern leben. Neben der Leitstelle Freiberg werden bis dahin noch die Bereiche Annaberg und Aue-Schwarzenberg integriert.