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Grüne Wochen im Finanzamt

Thomas Eigenthaler, Chef der Steuergewerkschaft, über Personalengpässe und ein ganz besonderes Verfahren, damit fertig zu werden – zum Vorteil der Steuerzahler.

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Herr Eigenthaler, die schwarz-gelbe Koalition sucht nach Möglichkeiten für Steuersenkungen. Warum sind Sie dagegen?

Wir halten in der derzeitigen Situation nichts von Steuersenkungen. Die Kassen sind leer. Alle Haushalte in Bund, Ländern und Gemeinden sind unterfinanziert. Jedes Jahr müssen neue Schulden aufgenommen werden. Der Staat insgesamt hat bald zwei Billionen Euro Schulden. Jetzt Steuern zu senken, wäre grob fahrlässig.

Aber die Abmilderung der sogenannten kalten Progression, durch die Arbeitnehmer bei Lohnerhöhungen überproportional mehr Steuern zahlen müssen, wäre doch gerecht.

Wir haben einen progressiven Steuersatz. Ich kenne keine kalte und keine heiße Progression, ich kenne eine Progression. Seit Jahrzehnten gilt: wenn man mehr im Geldbeutel hat, dann wird auch der Steuersatz höher. Und ich sehe keine zwingende Notwendigkeit, das zu ändern.

Nun gibt es Vorschläge, den Spitzensteuersatz anzuheben, um finanziellen Spielraum zu schaffen. Wäre das nicht fair?

Ich verstehe, dass jemand nach einer Gegenfinanzierung sucht, wenn er an einer anderen Stelle Steuern senken möchte, etwa im Bereich der unteren und mittleren Einkommen. Um unterm Strich bei null rauszukommen, muss man oben etwas drauflegen. Das ist für mich ein mathematisches Problem.

Immer wieder gibt es auch Forderungen, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen. Zu Recht?

Der Bundesfinanzhof hat gerade erst geurteilt, dass der Soli verfassungsgemäß ist. Er wird von West- wie Ostdeutschen bezahlt, um den noch bestehenden Finanzbedarf für die deutsche Einheit zu bezahlen. Daher ist es richtig, dass der Solizuschlag weiter bezahlt wird.

Wenn das so ist, müsste er spätestens mit Auslaufen des Solipaktes II enden.

Ja. Ich kann mir gut vorstellen, dass man 2020 zu einer neuen Überlegung kommt. Aber bis dahin sind es noch zehn Jahre.

Der Bundesrat hat gerade die von der Koalition geplanten Steuervereinfachungen abgelehnt. Ist die von der Regierung groß angepriesene Zwei-Jahres-Steuererklärung damit endgültig gestorben?

Diese Steuervereinfachungsvorschläge der Koalition sind nur plakativ. Die geringfügige Erhöhung des Arbeitnehmerpauschbetrages ist nur ein Placebo. Auf den Monat umgerechnet bringt das einem Arbeitnehmer nicht mehr als das Geld für eine Currywurst. Und die Zwei-Jahres-Steuererklärung ist purer Unsinn.

Warum?

Derjenige Steuerzahler, der vom Staat Geld zurückbekommt, wird natürlich keine zwei Jahre warten. Und bei demjenigen, der nachzahlen muss, schneidet sich der Staat ins eigene Fleisch, wenn er ein Jahr auf sein Geld warten muss. Es bringt nichts. Man müsste auch noch die steuerliche Datenverarbeitung in den Finanzämtern umprogrammieren. Mein Fazit: außer Spesen nichts gewesen.

Sie beklagen die Arbeitsplatzsituation in den Finanzämtern. Wie viel Personal fehlt denn?

Wir sind der Meinung, dass bundesweit mindestens 10.000 Personen an Steuerpersonal mehr eingesetzt werden müssten: bei der Steuerfahndung, der Betriebsprüfung, aber auch im ganz normalen Innendienst, wo die Steuererklärungen bearbeitet werden. Gerade dort ist es in den letzten Jahren zu einer immensen Arbeitsverdichtung gekommen.

Würden sich die neuen Leute nicht durch höhere Steuereinnahmen selber finanzieren?

Wir wundern uns, dass gerade dieses Argument, das wir seit Jahrzehnten vortragen, kaum gehört wird. Jeder Steuerbeamte, jeder Beschäftigte in den Finanzämtern erwirtschaftet durch seine Verwaltungsarbeit ein Vielfaches von dem, was er kostet. Selbst ein Beschäftigter im Finanzamt, der die normalen Steuerklärungen bearbeitet, erzielt durch seine Prüfung ein erhebliches Mehrergebnis, sodass sich an sich jede zusätzliche Person im Finanzamt rechnet.

Was sind eigentlich in Finanzämtern grüne Wochen?

Grüne Wochen sind umgangssprachlich die Zeiten, in denen in Finanzämtern Steuererklärungen bei Personalengpässen einfach durchgewinkt werden. Wir prüfen dann nicht, sondern übernehmen die Steuererklärung ungeprüft. Das ist natürlich eine Bankrotterklärung gegenüber dem Prinzip der Steuergerechtigkeit, weil man das Finanzamt dann auch gleich ganz abschaffen könnte.

Gibt es grüne Wochen flächendeckend und wie lange dauern sie in der Regel?

Die grünen Wochen gibt es nicht flächendeckend. Sie dauern im Einzelfall aber schon mal sechs, acht Wochen. Sonst kommt man nicht über zwölf Monatsrunden im Jahr.

Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof will mal wieder die Steuer radikal vereinfachen. Nur noch ganze 146 Paragrafen und einen Höchststeuersatz 25 Prozent. Wäre das der Befreiungsschlag?

Die Deutsche Steuergewerkschaft schätzt Paul Kirchhof sehr. Wir stimmen aber mit seinen Vorschlägen nicht überein. Der Kern seines Bundessteuergesetzbuches ist der einheitliche Steuersatz, von bestimmten Einstiegsszenarien mal abgesehen. 25 Prozent für alle ist seine Devise. Das wäre ein gigantisches Steuerentlastungspaket für alle die, die heute 42 Prozent im Höchststeuersatz oder gar 45 bei der Reichensteuer bezahlen. Das ist sozial nicht gerecht. Zum Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes gehört, dass starke Schultern proportional mehr leisten als schwache Schultern. Das wird mit Kirchhof aufgegeben. Sein Programm bringt Milliardenausfälle, ist nicht bezahlbar.

Mit der Schweiz wird bald ein Steuerabkommen unterzeichnet. Wissen Sie schon, was da an Schwarzgeld nachversteuert werden soll?

Nein. Alles ist sehr geheim. Das macht in einem demokratischen Staat natürlich skeptisch. Wir hören, dass für die Zukunft eine Abgeltungssteuer für Gelderträge in der Schweiz installiert werden soll. Das wäre in Ordnung. Uns stört aber gravierend, dass diese Abgeltungssteuer auch über viele Jahre, im längsten Fall bis 13, 14 Jahre rückwirkend gelten soll. Das ist ein Schlag ins Gesicht der ehrlichen Steuerzahler, die hierzulande damals noch 53 und jetzt 42 Prozent Steuern bezahlen. Selbst die über 26000 Leute, die sich bis jetzt selbst angezeigt haben, haben das bezahlt. Und jetzt sollen die, die sich am längsten der Ehrlichkeit entzogen haben, mit einem Discount-Steuersatz wegkommen. Das ist ein Witz.

Gespräch: Peter Heimann