Von Linda Barthel, zzt. Brüssel
Eine Fahrt über den Striezelmarkt macht Romy Pötzschke immer wieder gern. Die 33-Jährige ist mit dem Rollstuhl unterwegs. Deshalb liegt es ihr am Herzen, dass der Weihnachtsmarkt so wenige Barrieren wie möglich hat. „Kurz nach der Eröffnung testen wir immer, was sich im Vergleich zum Vorjahr verbessert hat“, so die Dresdnerin. Ein gutes Ergebnis dürfte auch die Stadt interessieren. Denn diese hat sich im September für den Access City Award 2014 beworben. Mit dem Preis wird jährlich eine Stadt ausgezeichnet, die nachweislich die Bedingungen für Menschen mit Behinderungen verbessert hat.
Gestern Abend fiel in Brüssel die Entscheidung. Ins Finale hatten es sieben von insgesamt 102 Anwärtern aus der Europäischen Union geschafft. Neben Dresden durften auch die Städte Belfast (Nordirland), Burgos (Spanien), Göteborg (Schweden), Grenoble (Frankreich), Málaga (Spanien) und Posen (Polen) auf den Award hoffen. Am Ende ging die nicht dotierte Auszeichnung an Göteborg. Die Dresdner landeten nicht auf dem Treppchen. Weitere Platzierungen wurden nicht benannt. Eine besondere Auszeichnung bekam die Stadt aber für die gute Information und Kommunikation für Behinderte.
Doch auch darüber hinaus hat sich in der Stadt in den vergangenen Jahren viel getan. Eine große Zahl an Sehenswürdigkeiten, Museen, Theatern und Sportstätten ist mittlerweile barrierefrei. Induktionsschleifen für Hörgeschädigte gibt es unter anderem in der Semperoper und der Kreuzkirche. Die Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB) bieten für ihre blinden Fahrgäste außerdem ein Informationssystem an, mit dessen Hilfe zum Beispiel die in die Haltestelle einfahrende Bahn erkannt wird.
So behindertenfreundlich ist Dresden
Die Stadt ist seit Sommer zudem eine der ersten in Deutschland, die mit einem Aktionsplan die UN-Behindertenrechtskonvention umsetzt. So müssen unter anderem alle geplanten Bauprojekte barrierefrei gestaltet werden.
Zu wenige barrierefreie Wohnungen
Dennoch gibt es nach wie vor Luft nach oben. Das schätzt Sylvia Müller, die städtische Behindertenbeauftragte, ein. „Das Kopfsteinpflaster im historischen Zentrum ist zum Beispiel ein Problem, und es fehlen auch Wohnungen für Rollstuhlfahrer“, zählt sie zwei Punkte auf, die ihr immer wieder Sorgen bereiten. „Dafür müssten endlich Investoren und Genossenschaften bewegt und die Sächsische Bauordnung sowie das Flächenmanagement der Stadt geändert werden“, sagt Müller.
Außerdem gebe es an der Brühlschen Terrasse weiterhin nur einen behindertengerechten Aufgang an der Neuen Synagoge. Seit Jahren sorgt das bei körperlich Behinderten für Unmut. Denn am Schloßplatz wird dringend ein Personenaufzug benötigt. „So etwas muss in die Haushaltsplanung der Stadt und des Freistaats aufgenommen werden“, sagt Müller. Noch ist unklar, wann es dafür Geld geben wird.
Müller sieht in Dresden jedoch auch positive Entwicklungen. Seit 1990 hätten sich die Lebensbedingungen für Behinderte deutlich verbessert. „Es gibt mehrere Orte in der Öffentlichkeit, an denen mittlerweile alle gleichberechtigt sind“, so Müller. Dazu würden unter anderem einige Kindertagesstätten – zum Beispiel am Alaunplatz und Am Lehmberg – zählen, aber auch Museen, Spielplätze, Grünflächen und das Glücksgas-Stadion.
Für die DVB gibt es von der Behindertenbeauftragten ebenfalls Lob. „Rund 60 Prozent aller Straßenbahnhaltestellen und 38 Prozent der Bushaltestellen sind heute barrierefrei“, so Müller.
Weitere Projekte sind bereits vorbereitet. So sollen im kommenden Jahr auch die Haltepunkte auf der Pennricher sowie der Schandauer Straße bis zur Ludwig-Hartmann-Straße ausgebaut werden. „Sobald die Fahrbahn grundhaft erneuert wird, gestalten wir die Haltestellen in 98 Prozent aller Fälle barrierefrei“, sagt DVB-Sprecher Falk Lösch. Ein Thema bereitet ihm jedoch Kopfzerbrechen. Der DVB-Begleitservice mit 24 Mitarbeitern könnte Mitte 2014 vor dem Aus stehen. Denn von dem beteiligten Projektträger Chancen für Sachsen e. V. fehlt bislang die Zusage zur weiteren Finanzierung.
DVB wollen Begleitservice erhalten
Innerhalb des Hilfsangebots werden gehbehinderte Menschen auf Wunsch bei ihrer Fahrt mit Bus oder Bahn begleitet. „Es ist äußerst wichtig, dass der Service weiterhin angeboten wird. Sonst würde sich die Lebensqualität vieler Leute verschlechtern“, erklärt Kati Stephan, Vorstandsvorsitzende des Dresdner Verbands der Körperbehinderten. Auch die DVB sind sehr daran interessiert, das Angebot am Leben zu halten. „Wir hoffen, dass die Stadt, falls nötig, auch die Initiative ergreift“, so Lösch.
Das sollte zu erwarten sein. Denn die Dresdner betonten in ihrer Bewerbung die positive Entwicklung des behindertengerechten Personennahverkehrs.
Falls Hilfe benötigt wird, kann die Stadt also zeigen, dass sie sich ihrer Pflicht bewusst ist. „Die Platzierung beim Award ist ab jetzt auch ein Druckmittel“, sagt Behindertenbeauftragte Sylvia Müller.